Vom Meisterkübel mag auf dem GC-Campus noch keiner reden. Aber die Grasshoppers spüren ein wiederentdecktes Selbstvertrauen.
André Dosé hat schon viel gemacht in seinem Leben. Einst ging er in die USA und verdiente drei Dollar die Stunde, indem er von einem Kleinflugzeug aus Pestizide über Felder versprühte. Die Dreimannfirma, für die er damals arbeitete, ging Konkurs, weil die beiden anderen Mitarbeiter in einen Baum flogen und starben.
«Ich musste immer kämpfen», sagt Dosé, «als junger Mensch in Amerika und später auch bei der Swiss.» Dosé war der CEO, der 2002 antrat, um die Swiss aufzubauen. Oft wusste er nicht, wie es am nächsten Tag weitergehen sollte. Einmal musste er 3000 Leute entlassen. Es waren solche Ereignisse, die ihn sagen lassen: «In schwierigen Zeiten muss man manchmal leiden, aber man wird demütig.»
Dosé war die Wahl, als die Grasshoppers im vergangenen Frühjahr einen Nachfolger für den unglücklichen Roland Leutwiler suchten. Es war eine verblüffende Wahl, weil sich bis dahin seine praktischen Erfahrungen im Fussball auf seine Zeit als Goalie beim SC Baudepartement beschränkten.
Da rümpft Dosé seine Nase
Nun ist Dosé der Pilot eines Vereins, in dem alle nur noch ein Lachen im Gesicht tragen. Gut, eine kleine Ausnahme gibt es. Man muss Dosé nur auf das Thema ansprechen, das er so gar nicht mag: den möglichen Gewinn der Meisterschaft. Da rümpft er die Nase und erinnert sofort ans vergangene Jahr: «Als wir anfingen, hiess unser Ziel, nichts mit dem Abstieg zu tun haben.»
GC war gezeichnet von einer eklatanten Führungsschwäche, die sich unter Leutwiler als Präsident und Ciriaco Sforza als Trainer breitgemacht hatte. Dosé fand hier vor, was er suchte: eine Aufgabe, die ihn fordert. Er räumte auf, entliess unter anderem Sforza, holte Uli Forte, hörte auf Erich Vogel, den streitbaren Geist alter GC-Zeiten, machte Dragan Rapic zum Sportkoordinator, und GC bekam, Stück für Stück, ein neues Gesicht, «ein recht schönes Gesicht», wie Veroljub Salatic heute sagt.
Seinen Captain gab GC nicht ab
Salatic ist wesentlicher Teil davon, als Spieler, der in seinem Zwischenjahr auf Zypern zur Führungsfigur gereift ist. Der FC Basel warb um ihn, kaum hatte die Saison begonnen. «Die Basler kamen, nachdem sie ihn noch im Sommer für nicht gut genug befunden hatten», erzählt Dosé. Salatic liess sich auch von den gebotenen vier Millionen Franken nicht locken. Nein, seinen Captain wollte GC nicht verlieren. Das Angebot des FC Basel war wenigstens nicht zu Salatics Nachteil, er bekam eine Gehaltserhöhung von geschätzt 20 Prozent, auf 720’000 Franken.
Das neue GC wuchs schnell, verblüffend schnell. Die Verantwortlichen geben gerne zu, dass sie bei ihren Transfers im Sommer auch Glück hatten. Das trifft nicht nur auf den Strategen Salatic zu, sondern ebenso auf die Innenverteidiger Milan Vilotic und Stéphane Grichting. Zusammen führen sie die Mannschaft, auf und neben dem Platz.
Und hinter ihnen steht jener 22-jährige Roman Bürki, der unter Forte zu einem Goalie gereift ist, der seine Aggressivität zum Wohl des Ganzen kanalisieren kann. Bürki, Vilotic, Grichting und Salatic sind das defensive Gewissen, «vier Topleistungsträger», so Forte. Auf sie baut er, und der Rest «muss Gas geben».
Neun Spiele in Folge gewannen die Zürcher im Herbst einmal, sieben Mal blieben sie dabei ohne Gegentor. Sie bewegten sich dabei an ihrem Limit. Um nun neue Möglichkeiten zu schaffen und sich «oben festzukrallen», wie es Forte gerne formuliert, wurden sie über den Winter aktiv.
Transfers beweisen Ambitionen
Der Brasilianer Willian Rocha, Leihgabe von Recife, soll das Angebot in der Defensive vergrössern, Anatole Ngamukol ist gar ein deutliches Bekenntnis der GC-Ambitionen. Für eine Million Franken wurde der Stürmer aus Thun geholt. Und noch einer steht für die gewachsene Lust, irgendwann wieder Titel zu gewinnen. Bürki wird von YB definitiv übernommen, für rund 750’000 Franken fixe Ablöse.
Forte macht in diesen Tagen ein neues Selbstverständnis in seiner Mannschaft aus. «Man weiss, man kann etwas», sagt er. Und doch bleibt er der Mahner, der sich bewusst ist: «Der Grat zwischen Selbstverständnis und Überheblichkeit ist ganz schmal.» Der Start in die Rückrunde liefert erste Indizien, wie gut die Spieler auf ihren Trainer hören. In Genf geht es gegen Servette, den Tabellenletzten.
Mit vier Punkten Vorsprung auf Basel haben die Grasshoppers als Leader überwintert. Und was macht Forte? Er zählt auf, welche Transfers sich der FCB gegönnt hat, erklärt ihn wahlweise zum «team to beat» und zur «One-Man-Show» der Liga. Er redet, wie es Präsident Dosé gerne hört: «Ein dritter Platz wäre für uns ein Riesenerfolg.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13