Bernhard Russis düstere Diagnose

Vor der Abfahrt am Hahnenkamm (Samstag, 11.30 Uhr, SRF2 live) hofft Vorjahressieger Didier Cuche auf ein Wiedererwachen der Schweizer Skirennfahrer. Viel realistischer aber ist eine weitere Demütigung. Und Bernhard Russi ortet tiefgehende Probleme im Lager der Schweizer.

Zusammen mit Matthias Hüppi kommentiert Bernhard Russi auch in der bevorstehenden Saison die Skirennen im Schweizer Fernsehen. Hier 2007 bei der Lauberhorn-Abfahrt in Wengen. (Bild: SF/Christian Wyss)

Vor der Abfahrt am Hahnenkamm (Samstag, 11.30 Uhr, SRF2 live) hofft Vorjahressieger Didier Cuche auf ein Wiedererwachen der Schweizer Skirennfahrer. Viel realistischer aber ist eine weitere Demütigung. Und Bernhard Russi ortet tiefgehende Probleme im Lager der Schweizer.

Didier Cuche weiss, was sich gehört. Also verzichtete der pensionierte Schweizer Ski-Star und fünffache Kitzbühel-Sieger auch auf harsche, öffentliche Kritik an seinen Landsleuten und präsentierte sich in Zeiten der akuten Ski-Krise als Zweckoptimist. «In Kitzbühel ist immer alles möglich», sagte also Cuche, «da kann man schnell einmal zwei Sekunden verlieren.» Aber in seiner Stimme schwang dann doch mehr Wunschdenken als Überzeugung mit.

Denn viele plausible Gründe gibt es nicht mehr, an ein versöhnliches Ende dieses Winters und an einen positiven Auftritt der Schweizer Herren bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Schladming zu glauben. Der Super G in Kitzbühel war ein weiterer von so vielen Tiefpunkten in dieser Saison. Nach 30 gestarteten Läufern lagen die fünf Schweizer Fahrer auf den letzten sechs Positionen, zwei Sekunden hinter dem norwegischen Sieger Aksel Lund Svindal, der im vierten Super G der Saison zum dritten Mal erfolgreich war. Am Ende rutschten Sandro Viletta (29.) und Patrick Küng (30.) gerade noch so in die Punkteränge. Eine Trendwende sieht anders aus.

Russi sieht Nachholbedarf bei der Technik

So diplomatisch Cuche über seine ehemaligen Kollegen urteilt, so schonungslos fällt die Kritik von Bernhard Russi aus. «Dieses Ergebnis tut sehr, sehr weh», gesteht der Abfahrtsolympiasieger von 1972. «Es heisst ja immer: ‹Die können das Skifahren doch nicht verlernt haben›, aber ich behaupte: Man kann es sehr wohl verlernen.» Russi ortet bei den Schweizer Läufern vor allem in der Ski-Technik einen extremen Nachholbedarf: «In diesem Bereich hinken wir augenscheinlich hinterher.»

Schuld daran, so Russi, seien auch die falschen Vorbilder. «Vielleicht», sinniert der 64-Jährige, «vielleicht hat man sich im Riesenslalom auch zu lange an Didier Cuche orientiert. Aber jeder hat sehen können, dass Cuche im letzten Winter im Riesenslalom leistungsmässig eingebrochen ist.» Damit lassen sich laut Russi auch die schlechten Ergebnisse in den Speeddisziplinen erklären. «Es ist eine Binsenweisheit, dass der Riesenslalom die Basis für die schnellen Disziplinen ist.» Dazu stimme auch das Mannschaftsgefüge nicht. «Mir ist der Komfortbereich im Team zu gross. Da fährt niemand die Ellbogen aus», kritisiert Russi.

Didier Cuche war so einer, der die Fans polarisiert und auch mobilisiert hat. Bei seiner Rückkehr nach Kitzbühel, wo er sechs Mal gewonnen hat (5 Abfahrten, 1 Super G), wurde der 38-Jährige Vorjahrssieger sentimental. Mit Kunden seiner Sponsoren fuhr Cuche in den letzten Tagen noch einmal die Streif ab. «Wie ich oben gestanden bin, da hat mich richtig die Wehmut gepackt», berichtet der Westschweizer, «ich verbinde mit diesem Ort einfach nur schöne Erinnerungen und Momente.»

Wäre Cuche noch immer schnellster Schweizer?

Im Ski-Zirkus behaupten einige Experten und Trainer, Cuche, der austrainiert wirkt wie eh und je, wäre auch nach knapp einem Jahr Renn-Pause immer noch schneller als die aktuellen Schweizer Rennläufer. Der 38-Jährige will sich auf solche Spielchen und Spekulationen freilich nicht einlassen. «Ich glaube aber, dass die Top 30 noch möglich wären.»

Fünf Mal in Folge hat Swiss Ski zuletzt den Sieger auf der gefährlichsten Abfahrt der Welt gestellt (viermal Cuche, einmal Didier Defago). Zum Leidwesen der österreichischen Hausherren, die auf Revanche sinnen. «Es wird Zeit, dass nicht die Schweizer vom Podest lachen», meint der Österreicher Klaus Kröll. Sein Teamkollege Hannes Reichelt wiederum ist hocherfreut, dass Cuche die Karriere beendet hat. «Das ist ein Vorteil für uns Österreicher.»

Didier Cuche hofft zwar weiter auf eine Sensation in der Abfahrt: «Ich würde gerne einen Schweizer vorne sehen, damit die Serie verlängert wird.» Aber weit wahrscheinlicher scheint eine neuerliche Demütigung wie im Super G von Kitzbühel.

Ein schwacher Trost, dass es grosse Ski-Nationen gibt, denen es noch schlechter ergeht. Im Super G von Kitzbühel war kein einziger Deutscher im Klassement zu finden.

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