Chancen und Tücken für eine neue Tennis-Generation

Am Samstag beginnen in Basel die Swiss Indoors. Mit dabei ist Milos Raonic. Der Kanadier gehört zur Gruppe der Jungen, die den Älteren den Rang ablaufen könnten. Doch die Nachkommen der Big-Four setzen sich ihre Grenzen zuweilen selbst – wie Skandalprofi Nick Kyrgios zeigt.

Milos Raonic of Canada reacts during the men's singles match against Pablo Lorenzi of Italy in the Shanghai Masters tennis tournament at Qizhong Forest Sports City Tennis Center in Shanghai, China, Wednesday, Oct. 12, 2016. (AP Photo/Andy Wong)

(Bild: Keystone/ANDY WONG)

Am Samstag beginnen in Basel die Swiss Indoors. Mit dabei ist Milos Raonic. Der Kanadier gehört zur Gruppe der Jungen, die den Älteren den Rang ablaufen könnten. Doch die Nachkommen der Big-Four setzen sich ihre Grenzen zuweilen selbst – wie Skandalprofi Nick Kyrgios zeigt.

Auf den ersten Blick scheint alles wie immer bei den Swiss Indoors. Zum herbstlichen Hallenzauber begrüsst Impresario Roger Brennwald einmal mehr ein Weltklassefeld in der St. Jakobshalle, hohe Besucherzahlen weisen darauf hin, dass dieser Tennis-Schauplatz den Schwankungen der Branchenkonjunktur trotzt. Auch terminlich, also strategisch, spielen die Swiss Indoors eine herausragende Rolle so kurz vor dem Saisonfinale der Tour in Londons O2-Arena.

Swiss Indoors 2016, 22.-30. Oktober 2016, St. Jakobshalle
ATP-500, Hartbelag, 2’152’000 Euro Preisgeld

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Im Wanderzirkus der Tennisnomaden scheint eine Zeit der Veränderung, vielleicht gar Umwälzung angebrochen. Erstmals seit vielen Jahren werden bei den beliebten Titelspekulationen, ob nun auf Grand-Slam-Ebene oder auch bei den wichtigen Tourevents, nicht automatisch und selbstverständlich die angestammten Kandidaten genannt. «Es ist durchaus möglich, dass sich ein Zeitenwechsel im Welttennis anbahnt», sagt John McEnroe, der ehemalige Superstar und scharfsinnige TV-Experte, «auch wenn sich das in der Weltrangliste noch nicht schwarz auf weiss niederschlägt.» 

Die Nummer eins hat zwischenzeitlich den Spass am Spiel verloren.

Die Grossen Vier – mit diesem Begriff war für eine kleine Ewigkeit die machtvolle Spitzengruppe im Herrentennis umschrieben: Roger Federer, Rafael Nadal, später auch Novak Djokovic und Andy Murray machten die Titel mit für die Konkurrenz frustrierender Hartnäckigkeit unter sich aus.

Doch wie sieht das im Hier und Jetzt aus? Federer hat nach endlosen Verletzungsproblemen die Arbeit in diesem Seuchenjahr bereits eingestellt, Nadal kämpft sich nach langwieriger körperlicher Malaise mühsam wieder nach vorn, Djokovic laborierte lange an einer Handgelenksverletzung herum, die ihn in Wimbledon und bei den Olympischen Spielen behinderte. Selbst Murray, der daheim, auf dem Rasen des All England Lawn Tennis Clubs und in Rio triumphierte, wirkte oft leicht überspielt und ausgelaugt in dieser schwer herausfordernden Spielzeit.



ARCHIV --- ZUM OLYMPIA-AUS UND VORZEITIGEN SAISON-AUS VON ROGER FEDERER STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILD ZUR VERFUEGUNG --- Roger Federer of Switzerland during his semifinal match against Milos Raonic of Canada, at the All England Lawn Tennis Championships in Wimbledon, London, Friday, July 8, 2016. (KEYSTONE/Peter Klaunzer) *** NO SALES, NO ARCHIVES ***

Roger Federers gesenkter Kopf bei der Partie in Wimbledon, die er gegen den Mittzwanziger Milos Raonic verliert. (Bild: Keystone/PETER KLAUNZER)

Bei Djokovic, der sich im Frühling seinen letzten grossen Traum mit dem French-Open-Sieg erfüllte, stellt sich sogar – erst dezent, dann deutlicher – eine grössere Sinnfrage: Der Serbe bekannte zuletzt, er habe seinen Spass am Sport vorübergehend verloren, ihm habe der Biss gefehlt, um nach dem Paris-Triumph weiter bedeutenden Titeln nachjagen zu können. Die Frage, die um Djokovic, die Nummer eins, kreist: Was kommt nun bei der Neujustierung von Zielen und Perspektiven?

» Novak Djokovic bietet in seiner Krise ein Bild der Zerrissenheit

Die Promotion der neuen Generation

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich der Blick zunehmend auf neue Köpfe und Typen richtet – und nicht etwa nur, weil die ATP eifrigst in einer Marketingoffensive die Vertreter der «New Generation» promotet. Vielen scheint die Möglichkeit, dass die angestammte Hackordnung nachhaltig in Bewegung gerät, so konkret wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr.

«Es gibt den grossen Wunsch in der Szene nach etwas Neuem. Neue Stars, frische Champions würde man gerne sehen», sagt Altmeister Jimmy Connors. Kurios genug, dass gerade er das sagt, schliesslich schuf der charismatische Strassenkämpfer vor einem Vierteljahrhundert im zarten Alter von 39 noch einmal eine Saga der Beharrungskraft und Leidenschaft – gestoppt wurde er damals bei den US Open erst im Halbfinale.

Die heterogene Gruppe junger Herausforderer

Wenn man von einer eventuellen Wachablösung des Establishments spricht, muss man allerdings deutlich differenzieren. Einer wie Milos Raonic (26), der kanadische Technokrat am Racket und die Nummer 2 am Basler Turnier hinter Stan Wawrinka, zählt zu den Mittzwanzigern – er ist deutlich erfahrener und ausgebuffter als Newcomer wie Australiens Enfant terrible Nick Kyrgios (21), der die Swiss Indoors wegen einer Sperre nach einem Skandalspiel verpasst, und der Deutsche Alexander Zverev (19) oder der Amerikaner Taylor Harry Fritz (18). Dazwischen liegt noch jemand wie der aufstrebende Österreicher Dominic Thiem mit 23 Jahren. 

Nick Kyrgios, der Australier mit dem genialen Touch, könnte zum Exempel für die tückischen Aufstiegswege im modernen Tennis werden.

Es ist keine homogene Gruppe, die sich da gebildet hat, um die Topleute aufzuscheuchen – doch sie alle haben in dieser Saison mit ihrem sportlichen Vorankommen für Aufmerksamkeit und Schlagzeilen gesorgt. Raonic, der gnadenlose, konsequente Gewaltaufschläger, hat unter den Herausforderern die Nase vorn – das dokumentierte sich am eindrucksvollsten mit dem Erreichen des Wimbledonfinales in dieser Saison.

Raonic, ehrgeizig wie perfektionistisch veranlagt, galt schon zu Juniorenzeiten als einer der potenziellen Stars der Zukunft. Sein Vorhaben, zu den absoluten Spitzenleuten zu gehören, löste der Kanadier mit montenegrinischen Wurzeln recht bald ein. Als erster Spieler seines Heimatlands rückte er in die Top Ten vor, im Sommer 2013 punktgenau beim Turnier in Montreal – und zwar auch deswegen, weil er nach dem erfolgreichen Transfer vom Junioren- ins Erwachsenentennis weiter hart an seinen Ambitionen und der Verbesserung seines Spiels arbeitete.



Milos Raonic of Canada hits a return shot against Pablo Lorenzi of Italy during the men's singles match of the Shanghai Masters tennis tournament at Qizhong Forest Sports City Tennis Center in Shanghai, China, Wednesday, Oct. 12, 2016. (AP Photo/Andy Wong)

An den Swiss Indoors in Basel als Nummer 2 gesetzt: der Kanadier Milos Raonic. (Bild: Keystone/ANDY WONG)

Längst ist der Mittzwanziger Raonic nicht mehr nur auf seinen Formel-1-Service, also Aufschläge weit jenseits der 200-Stundenkilometer-Grenze, und seine ebenso pfeilschnelle Vorhand zu reduzieren – er glänzt auch durch gut vorbereitete Netzattacken und die Qualität, in entscheidenden Momenten hellwach zu agieren.

Dass Raonic seine Kräfte oft noch nicht ausreichend stabil bei den kostbaren Grand-Slam-Events einsetzte, hatte ihn selbst geärgert. «Bei den Majors passte das Puzzle nicht zusammen. Ich war nicht bereit für die Herausforderung», so Raonic. Auch deshalb holte er sich prominente Unterstützung an seine Seite, neben dem Spanier Carlos Moya zuletzt für die Wimbledon-Expedition auch Altmeister McEnroe.

Die Skandalnudel Nick Kyrgios verpasst Basel

Dessen Tipp war, auch aus der Beobachtung von Raonic als TV-Experte: «Du musst mehr Statur und Präsenz auf dem Platz zeigen. Die Gegner müssen spüren, dass ihnen da jemand mit Format und Gewicht gegenübersteht.» Für das Wimbledon-Turnier galt dann schlicht: geraten, getan. Im Halbfinale besiegte er immerhin Federer, den Grasflüsterer – auf grüner Unterlage noch immer ein besonderer Coup für jeden Berufsspieler.

Kyrgios, auf der anderen Seite, der zweite bedeutende Name aus der Gruppe der nachrückenden Asse, der nun wegen seiner Sperre nicht in Basel aufschlagen kann – er machte aus den richtigen, aber auch den komplett falschen Gründen Schlagzeilen. Der Australier mit dem genialen Touch, der alle Möglichkeiten und Talente hat, um einmal eine zentrale Tennisrolle zu spielen, könnte auch zum Exempel für die tückisch schweren Aufstiegswege im modernen Tennis werden.



FILE - In this Saturday, Oct. 8, 2016, file photo, Australia's Nick Kyrgios reacts after getting a point against Gael Monfils of France during the semifinal match of Japan Open tennis championships in Tokyo. The ATP has suspended Nick Kyrgios for at least 3 weeks and fined him extra $25,000 for conduct contrary to 'integrity' of tennis. (AP Photo/Koji Sasahara, File)

Leider nein: Gerne hätte man in Basel die Skandalnudel Nick Kyrgios erlebt. Aber der Australier ist von der ATP wegen unsportlichem Verhalten gesperrt worden. (Bild: Keystone/KOJI SASAHARA)

Wie belastend das Erwachsenwerden im grell ausgeleuchteten Profibusiness sein kann, erst recht für einen komplexen Charakter wie Kyrgios, illustrieren immer neue Vorfälle – lang, zu lang ist die Chronik der Skandale und Eklats um Kyrgios. Gerade erst, direkt nach seinem grössten Karriereerfolg, dem Sieg in Tokio, liess er sich zu einem, vorsichtig ausgedrückt, lustlosen Auftritt in Schanghai hinreissen. Bei der Zwei-Satz-Niederlage gegen den Deutschen Mischa Zverev zeigte Kyrgios keinerlei Engagement und Motivation, als Wettkämpfer am Spiel teilzunehmen. 

Die Zukunft könnte also jetzt in Person von Kyrgios beginnen. Genau so gut aber auch niemals. In Basel wird man das vor Ort frühestens 2017 beurteilen können.

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