Er trägt das Gelbe Trikot bei der Tour de France, aber nicht die grossen Sympathien. Die aktuelle Debatte um das Leistunsgvermögen des Briten Chris Froome zeigt, in welchem Dilemma der Profi-Radsport unverändert steckt. Beim Fernsehkonsum wirkt sich das in der Schweiz nicht aus – in Deutschland schon.
Hat er oder hat er nicht? Gedopt? Der Profi-Radsport schlägt sich vor aller Augen mal wieder mit seiner Erzfrage herum. Eine Frage, die oft genug mit einem Ja beantwortet werden musste. Mitunter auch erst im Nachhinein.
Chris Froome trägt das Gelbe Trikot bei der Tour der France, aber nicht die grossen Sympathien. Mit einem Becher voll Urin, so erzählte er, sei er vom französischen Strassenrand aus beworfen worden, und Schuld an alledem sind natürlich wieder einmal die Medien. Sagt Chris Froome.
Der in Freiburg/Breisgau lebende Berliner Simon Geschke hat die erste Alpen-Etappe nach Pra Loup nach einer Alleinfahrt gewonnen, und der in Lausen wohnhafte Luzerner Mathias Frank aus dem IAM-Team schaffte es mit dem fünften Tagesrang neu in die Top 10 auf Platz 8 mit 8,47 Minuten Rückstand auf Chris Froome, der gefordert war, das Gelbe Trikot aber letztlich souverän verteidigte.
Sein Himmelssturm in den Pyrenäen warf Fragen auf, Experten rechneten Wattzahlen hoch und mutmassten, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Am Dienstag, am Ruhetag, unternahm Froomes Rennstall Sky einen Ausreissversuch. Im Quartier in Sisteron, also dort, wo feinstes Lammfleisch herstammt, stellte die Teamleitung ihren Sieganwärter als Unschuldslamm hin.
Die präsentierten Leistungsdaten von Froome sollen die Ferndiagnosen der Experten entwerten und belegen, dass der 30-Jährige sauber ist.
Die Trittfrequenz hinauf nach La Pierre-Saint-Martin von 97 Umdrehungen pro Minute sei durchschnittlich, so sein Trainer Tim Kerrison: «Die Daten bewegen sich im Rahmen der letzten vier Jahre.» Froome äusserte sich auch: «Wir wollen diese wahnsinnigen Spekulationen stoppen.» Dass die aufgetischten Daten stimmen, muss man dem Team, einst angetreten mit dem Anspruch, den Radsport unter anderem mit Transparenz zu erneuern, einfach glauben.
«Unbeliebt wie Armstrong» – das ist kein schöner Vergleich
Einer, der es nicht mehr glaubt, ist Sportwissenschaftler Ross Tucker, den die «NZZ» in Südafrika erreicht hat, und der sagt: «Mein Eindruck ist, dass Doping wieder verbreiteter ist als vor ein paar Jahren.» Der «Tagesanzeiger» konstatiert, dass seit Froomes erstem Toursieg «die Zweifler nicht verschwunden sind, ihre Zahl ist im Gegenteil noch gewachsen.»
Und die «Süddeutsche Zeitung» kommt zum Schluss, Froome sei «unbeliebt wie Armstrong». Das ist kein schöner Vergleich.
Das Maillot Jaune von Christopher Froome bewacht von seinen Wasserträgern. (Bild: Keystone/YOAN VALAT)
Froome ficht das nicht. Am Mittwoch musste er ein bisschen kämpfen, um den letzten verbliebenen Widersacher, Nairo Quintana, in Schach zu halten. Eine Radlänge liess er den Kolumbianer in Pra Loup vor ihm die Ziellinie überqueren.
Froome wird, das sagen wiederum andere Experten des Radsports, das Gelbe Trikot bis nach Paris bringen und nach 2013 zum zweiten Mal gewinnen. Die bösen Geister, die der Profi-Radsport aus der Flasche gelassen hat, wird er jedoch so schnell nicht loswerden, und bis zur Glaubwürdigkeit ist es ein so langer Weg wie vom Gipfel des Mont Ventoux zu Fuss bis auf die Champs-Élysées.
SRF versorgt eine treue Gemeinde
In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt die Tour de France ein Phänomen. Die Aficionados säumen die Strecke wie eh und je in ungezählter Vielzahl. Und das Schweizer Fernsehen SRF erreicht eine zwar kleine, dafür treue Radsportgemeinde. Knapp 51’000 Zuschauer sassen 2014 im Schnitt vor dem TV, 50’500 waren es nach den Zahlen von Mediapulse in der mittleren Tour-Woche dieses Jahres. Der Martkanteil war mit 16,7 Prozent sogar einen Punkt höher.
Klein, aber treu: Die TV-Fangemeinde des Radsports in der Schweiz. (Bild: Reuters/ERIC GAILLARD)
Anders sieht es dagegen in Deutschland aus, wo die ARD nach einer selbstverordneten Dopingskandal-Pause wieder eingestiegen ist und mit den Liveübertragungen enttäuschende Quoten erzielt. 1,09 Millionen schauten im Schnitt bei den ersten neun Etappen zu, der Marktanteil lag bei neun Prozent.
2003, beim entscheidenden Einzelzeitfahren der Jubiläums-Tour zum 100. Geburtstag, fieberten am 26. Juli noch 6,11 Millionen Zuschauer vor den Fernsehern mit Jan Ullrich. Das Erste erzielte einen Fabel-Marktanteil von 47,4 Prozent, und dem damaligen Triumphator Lance Armstrong sind dieser und weitere Tour-Siege längst aberkannt.
Aber die Tour bleibt die Tour. Sie rollt bergauf, bergab, nun in den Alpen.
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