Er wirkte ausgebrannt. Ihm sass die Steuerfahndung im Nacken. Bei Lionel Messi schien sich eine ganzheitliche Krise anzubahnen. Am Dienstag spielt der FC Barcelona im europäischen Supercup-Final gegen den FC Sevilla. Mit dabei: der Argentinier, ohne ein Gramm Fett – und mit einer aussergewöhnlichen Trainingsmotivation.
Bilder sagen mehr als Worte, erst recht, wenn es um Lionel Messi geht. Seit seiner Rückkehr vom Strand hat der vierfache Weltfussballer noch nichts gesagt, er beliess es vorige Woche bei einer Lehrstunde im Testspiel gegen die AS Roma und einem gemeinsamen Foto mit dem von ihm verehrten Francesco Totti danach: zwei Prachtathleten mit nacktem Oberkörper – kein Gramm Fett.
Diejenigen, die gern irdische Argumente suchen für den himmlischen Fussball des Argentiniers, weisen schon seit Längerem auf einen italienischen Ernährungsberater hin. Durch die Zusammenarbeit mit Giuliano Poser hat Messi vier Kilo verloren, und wenn es stimmt, dass – und damit genug der Weisheiten – im gesunden Körper ein gesunder Geist wohnt, dann erklärt das womöglich auch seine wiedergefundene Motivation nach den Jahren 2013 und 2014, als er ausgebrannt wirkte, der Muskel zwickte, die Steuerfahndung nervte und sich alles zu einer Art ganzheitlichen Krise zusammenfügte.
Wobei ein Insider wie Messis früher Mentor, das Barça-Urgestein Charly Rexach, auch dieses scheinbar komplexe Dilemma im Nachhinein auf einen relativ leichten Nenner brachte: «Messi ass mehr Pizza, als gut für ihn war.»
«Die Welt geniesst Messi, wir verdammen ihn.»
Über die Menüordnung bei der argentinischen Nationalelf ist nicht alles bekannt, aber trotzdem kann auch seine jüngste Erfahrung mit der Heimatauswahl begreiflich machen, warum Messi vor dem europäischen Supercup-Final so besonders, nun ja, hungrig wirkt. Auch einer wie er findet immer noch Leute, denen er etwas beweisen muss.
Oder zu beweisen müssen glaubt: dem Teil seiner Heimat, der ihn vehement wie nie für das Scheitern bei einem Turnier verantwortlich machte. «Beschämend», leitartikelte das grosse Sportblatt «Olé» über seinen Auftritt im verlorenen Final der Copa América gegen Chile und eröffnete damit eine Debatte, die Argentiniens Fussball-Instanz Jorge Valdano «zum Fremdschämen» findet: «Die ganze Welt geniesst ihn, wir verdammen ihn.»
Die Bewegtbilder des Testspiels zwischen Barcelona und der AS Roma – Ivan Rakitics Traumtor inklusive:
Selbst Argentinien dürfte ihn allerdings wieder feiern, sollte er heute im Duell des Champions-League-Siegers mit dem Europa-League-Sieger Sevilla die übliche Gala abliefern. Messi ist im Boris-Paitschadse-Nationalstadion von Tiflis besonders gefordert, denn Barça ist von den Personalproblemen ereilt worden, die es vorige Saison auf fast unheimliche Weise vermeiden konnte.
Aus der unveränderten Stammelf – die Neuzugänge Arda Turan (von Atlético Madrid) und Aleix Vidal (Sevilla) dürfen wegen der Fifa-Sanktion gegen den Klub erst ab Januar eingesetzt werden – fehlt die komplette linke Flanke. Verteidiger Jordi Alba ist verletzt, Angreifer Neymar erkrankt. Messis liebster Spielgefährte hat sich Mumps eingefangen. Ihn dürfte Pedro ersetzen, der seinerseits kurz vor einem Wechsel zu Manchester United steht.
Messi verkürzt seinen Urlaub und kehrt früher ins Training zurück
Wo Neymars Körper womöglich auch den Preis für die PR-getriebene Rastlosigkeit in den Ferien (über 50’000 Flugkilometer zählte die Presse) bezahlt, präsentierte sich Messi schon Ende Juli wieder zum Training in Barcelona: eine Woche früher, als ihm eigentlich Urlaub zugestanden war.
Ein stärkeres Signal kann sich ein Trainer von seinem Star nicht wünschen. Luis Enrique sei «besessen» von dem Match in Tiflis und den gefürchtet hochtourig agierenden Sevillanern, schreibt die Zeitung «Sport»: Er habe seinen Spielern eingebimst, dass dieses Finale den Verlauf der Saison prägen werde. Zum Guten – oder zum Schlechten, wie 2006, als eine 0:3-Supercup-Pleite gegen denselben Gegner die Dekadenz der Ära von Ronaldinho und Trainer Frank Rijkaard einläutete.
Luis Suarez (links) und Lionel Messi – zwei Exponenten des Klasse-Offensivtrios, das Neymar ergänzt. (Bild: Keystone/ALEJANDRO GARCIA)
Mit seinen Appellen scheint der Coach offene Türen einzurennen. «Der Hunger dieser Mannschaft ist beeindruckend», sagt der ehemalige Basler Ivan Rakitic. Über einen relativen Neuankömmling wie ihn oder einen Youngster wie Marc-André ter Stegen muss man sich sowieso keine Sorgen machen: Der deutsche U21-Nationaltorhüter kürzte sich ebenfalls den Urlaub und startet leicht favorisiert in das neuerliche Rennen um die Nummer Eins mit Chiles Südamerikameister Claudio Bravo.
Barcelona reitet auf der Messi-Welle, solange wie sie nur trägt
Aber eben auch die bereits mit 24 Klubtiteln dekorierten Messi oder Andrés Iniesta wirken hochambitioniert – niemand hört den Ruf der Geschichte deutlicher als die Routiniers.
Ein Erfolg gegen Sevilla soll den Weg ebnen für weitere Titel im spanischen Supercup gegen Athletic Bilbao (14.8., 17.8.) sowie der Klub-WM kurz vor Jahresende und damit zu einer Wiederholung des einmaligen Titel-Sextetts von 2009. Nicht einmal Barça hingegen hat bisher geschafft, was die Generation Messi endgültig unsterblich machen würde: als erste Mannschaft die Champions League zu verteidigen.
Präsident Bartomeu wies kürzlich nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass es trotz der stattlichen Anzahl von vier Siegen in den letzten zehn Jahren auch etliche verpasste Chancen gab für eine Ausnahmeelf um einen Ausnahmefussballer.
Damit soll Schluss sein. Mag Argentinien rätseln, in Barcelona wollen sie die Welle Messi reiten, soweit sie nur trägt.