Das Treffen der Titanen? Brutal ernüchternd

Im Halbfinale unterliegt Roger Federer Novak Djokovic deutlich. Der Serbe steht im Finale und führt nun im Direktvergleich mit sämtlichen grossen Widersachern.

epa05131357 Roger Federer (R) of Switzerland leaves the court after losing the semi final match against Novak Djokovic (L) of Serbia at the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, 28 January 2016. EPA/MADE NAGI

(Bild: MADE NAGI/Keystone)

Im Halbfinale unterliegt Roger Federer Novak Djokovic deutlich. Der Serbe steht im Finale und führt nun im Direktvergleich mit sämtlichen grossen Widersachern.

Was erwartet man, wenn die Nummer 1 der Welt gegen die Nummer 3 der Welt spielt? Und was erwartet man, wenn die Nummer 3 auch noch Roger Federer heisst? Sicher nicht das, was sich über ganz weite Strecken eines Duells zwischen Branchenführer Novak Djokovic und dem Maestro abspielte.

Denn ein Treffen der Titanen, der erwartete Klassiker auf Augenhöhe, das war die 45. Matchauflage zwischen dem Serben und dem Schweizer gewiss nicht. Dieses australische Rendezvous bot viel zu viel Einbahnstrassen-Tennis, und es war eine brutale Ernüchterung nicht nur für Federer und seine Fans, sondern auch für alle, die klammheimlich auf ein Ende der Djokovic-Dominanz im Tourzirkus gehofft hatten.

6:1, 6:2, 4:6, 6:3 siegte der Djoker schliesslich in zwei Stunden und 25 Minuten. Teilweise spielte er auf, als sei er gerade aus einem anderen Universum auf den Centre Court heruntergebeamt worden – einfach ausserirdisch gut.

Erschreckende Konstanz in den entscheidenden Momenten

«Ich hatte den perfekten Start – und am Ende auch den richtigen Kampfgeist», sagte Djokovic nach seiner fast verrückt guten Abendshow, die ihn in sein sechstes Australian-Open-Endspiel katapultierte. Alle fünf bisherigen Finals hat der 28-jährige Capitano des Welttennis gewonnen. Sein Gegner wird am Freitag zwischen dem Schotten Andy Murray und Kanadas Aufschlag-Kanonier Milos Raonic ermittelt.

Aber wer will Djokovic in diesen Tagen und im Zenit seiner Karriere stoppen? Einen Mann, der vor allem dann eine totale Kontrolle über seine Gegenspieler entwickelt, wenn es wirklich zählt.

Ein paar schwache Momente hatte er sich in den zurückliegenden Melbourne-Runden geleistet, sogar ein Match über die volle Distanz musste er gegen den Franzosen Gilles Simon bestreiten. Doch in der Stunde der Wahrheit, auf der Zielgeraden eines Majors, gibt es praktisch keine Aussetzer bei Djokovic. Da ist Schluss mit lustig für jeden, der ihm Auge in Auge gegenübersteht. 



epa05131400 Novak Djokovic of Serbia celebrates his win against Roger Federer of Switzerland during their semi final match on day eleven of the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, 28 January 2016. EPA/JOE CASTRO AUSTRALIA AND NEW ZEALAND OUT

Novak Djokovic kann sich feiern lassen. Kaum ein Experte zweifelt nach dem Sieg über Federer daran, dass der Serbe in Australien den Titel holen wird. (Bild: JOE CASTRO/Keystone)

Federer hatte wohl auch eine leise Hoffnung, dass es Chancen geben könnte im Hier und Jetzt gegen den Weltranglisten-Ersten – aber was dann über ihn hereinbrach in den ersten beiden Sätzen, gehörte zum Schlimmsten überhaupt in seiner fast zwei Jahrzehnte dauernden Beschäftigung als Tennis-Reisender.

Federer als erster Zuschauer

51 Minuten war Federer nichts weiter als die Person, die Djokovics Gala vom besten Platz aus sehen durfte: Erst ging Satz 1 in 22 Minuten verloren, dann Satz 2 in 29 Minuten. Ein Spassvogel in den sozialen Netzwerken schlug in dieser Phase vor, jetzt helfe nur noch ein drastisches Mittel, um den Spuk zu beenden: Federers Frau Mirka müsse aus dem Stadion rennen und einen Feueralarm auslösen.

Federer stand vor einem Debakel, schien auf ganz schnellem, abschüssigen Weg in die vierte grosse Niederlage gegen Djokovic (nach Wimbledon-Finale, US Open- und WM-Finale 2015), doch er rappelte sich noch einmal auf. Er gewann den dritten Satz mit 6:3 und hielt bis zum 3:3 auch den vierten Satz leidlich offen. Er «war wieder im Match drin», wie er später sagte.

Nur: Die grosse, dramatische Kehrtwende konnte er nicht mehr inszenieren, gegen einen Djokovic, der auf der Zielgeraden wieder hochkonzentriert und praktisch fehlerfrei spielte. «Du kannst solche Matches nur gewinnen, wenn deine Überzeugung grösser ist als dein Zweifel», sagte der Serbe. Ein Satz, der wie in Stein gemeisselt auch für seine ganze Karriere gelten könnte.

Der Dominator unter den Weltbesten

Er hat in seiner Karriere zunächst das Kunststück fertiggebracht, zwei Herren namens Federer und Nadal von ihren angestammten Spitzenplätzen zu verdrängen und hat sich dann selbst als steter Bewahrer der Macht etabliert.

Die Lage nun Anfang 2016? Da war zunächst der Kantersieg von Djokovic im Endspiel von Doha gegen Nadal, vom Matador hinterher mit den Worten quittiert: «Ich habe noch nie jemanden so spielen gesehen.» Und da war nun das Match gegen Federer, noch beeindruckender, noch bestechender, noch herausragender.

«Novak hat im Moment die beste Zeit seines Lebens. Er ist die Referenzperson für jeden», sprach der geschlagene Federer. Die nackten Zahlen und Fakten gaben ihm da recht, denn erstmals in Djokovics Karriere führte er im persönlichen Vergleich nach diesem magischen Donnerstag nun gegen alle relevanten Konkurrenten, also die anderen Spieler aus den Top Fünf: Gegen Federer (23:22), gegen Nadal (24:23), gegen Murray (21:9) und gegen Wawrinka (21:4).

Australien bleibt das Land des Lächelns, das Land, der Schauplatz, an dem sich Djokovic im Jahr 2008 mit seinem ersten Grand-Slam-Titel als künftige Grösse im Männertennis ankündigte. Er gewann auch 2011, 2012, 2013 und 2015. Kein anderer stand öfter im Finale des Melbourne-Majors.

Am Sonntag könnte er das halbe Dutzend Pokalcoups vollmachen, der Perfektionist, der anscheinend immer noch ein bisschen besser wird. Selbst nach einem schon nahezu perfekten Jahr 2015. Erschreckend genug für alle, die mit ihm im Wettbewerb stehen.

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