David Moyes präsentiert sein Manchester United ganz gerne als Underdog. Im Viertelfinal der Champions League gegen Bayern München sehen das endlich alle so – selbst die eigenen Fans. Gemütlicher wird die Lage für den United-Trainer deswegen nur bedingt.
Seit der FC Bayern vor vier Jahren im Viertelfinal der Champions League im Old Trafford antrat, hat sich am Sir Matt Busby Way viel verändert. Statt Alex Ferguson sitzt David Moyes auf der Bank. Manchester United logiert nur im oberen Mittelfeld der Tabelle. Und der alte, unerschütterliche Glaube an die eigene Grösse der Red Devils scheint ob der ruinösen Ergebnisse in der laufenden Spielzeit verschütt gegangen.
Barcelona–Atletico Madrid (Di)
Manchester Utd.–B. München (Di)
Real Madrid–Bor. Dortmund (Mi)
Paris SG–Chelsea FC (Mi)
«Selbst wenn wir Tabellenerster wären, wäre Bayern der Favorit», sagte Verteidiger Phil Jones vor dem Hinspiel bescheiden, «denn sie haben ein superbes Team voller individueller Klasse.» Unausgesprochener Nachsatz: «Wir nicht.»
Moyes wird, auch wenn sich das zunächst sehr merkwürdig anhört, Jones‘ Einschätzung aus mehreren Gründen wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Der 50-Jährige sieht sich gut aufgehoben in der Aussenseiterrolle, im Duell mit den Münchnern hat er zum ersten Mal in dieser deprimierenden Debütsaison nicht wirklich etwas zu verlieren. Gegen «das wahrscheinlich beste Team Europas», wie Moyes Pep Guardiolas Mannschaft rühmte, darf man den Kürzeren ziehen.
Das denken neben den englischen Buchmachern – die Quote für einen United-Heimsieg (6,5:1) war in der Geschichte der Champions League nie höher – auch die meisten der United-Fans. Umso stärker werden sie ihr Team im «Theater der Träume» anfeuern. Der englische Fussball-Anhänger liebt es, in vermeintlich aussichtslose Schlachten zu ziehen.
Moyes kritisiert sein Kader
Jones‘ ernüchternde Bestandsaufnahme passt dem von Ferguson persönlich auserwählten Nachfolger beim englischen Meister zudem gut ins Programm. Das Kader, das ihm die Clubikone hinterlassen habe, sei in die Jahre gekommen und brauche dringend Auffrischung, plädiert der Schotte seit Monaten. «Auch für Sir Alex wäre es hier eine schwere Saison gewesen», behauptete er vor dem 4:1-Sieg gegen Aston Villa am Samstag.
Diese Strategie ist riskant. Sie findet einerseits Zustimmung in den Medien und an der Basis, und ist auch dazu geeignet, Moyes‘ Zeit zu verschaffen. Ferguson, unter dem Transferpolitik ein «family business» war – sein Bruder Martin war der Chefscout – habe keine funktionierenden Strukturen für Spielersichtung hinterlassen, diese müssten erst aufgebaut werden, heisst es.
Die Clubführung arbeite bereits emsig an Neuverpflichtungen für die nächste Saison, lässt der Verein Woche darüber hinaus Woche für Woche inoffiziell verlauten; es stehe sehr viel Geld zur Verfügung. Die Rede ist von über 300 Millionen Franken.
Die Führungsspieler scheinen wenig inspiriert
Andererseits hat Moyes mit seiner permanenten Geringschätzung der jetzigen Mannschaft sein eher schwaches Standing in der Kabine naturgemäss nicht verbessern können. Hinter vorgehaltener Hand gibt es sehr viel Kritik an seinen nicht als zeitgemäss empfundenen Trainingsmethoden und an der oft sehr plump wirkenden Taktik.
Hierarchiegrössen wie Wayne Rooney, Robin van Persie und Ryan Giggs mussten zuletzt häufiger Berichte über Dissonanzen mit ihrem Vorgesetzten dementieren. «Er schafft es nicht, die Spieler zu inspirieren», sagt ein Mitarbeiter des Vereins. Letzteres fällt nicht schwer zu glauben.
Ferguson war wie alle grossen Trainer ein sehr guter Schauspieler. Er verstand es stets, Souveränität, Kontrolle und absolutes Selbstbewusstsein zu kommunizieren. Moyes, der laut eigener Aussage «ganz bleich im Gesicht» wurde, als ihn Ferguson bei Tee und Gebäck in dessen Haus das Amt anvertraute, kann jedoch nicht gut schauspielern.
Er wirkt, wie der irische Fussballjournalist Ken Early vergangenen Woche schrieb, vielmehr «wie ein Mann, der verzweifelt versucht, nicht aus Versehen ein fürchterliches Geheimnis auszuplappern. Das Geheimnis, dass nicht einmal er sicher ist, ob er diese Aufgabe wirklich erfüllen kann.»
Ausgerechnet City soll das Vorbild für United sein
Der frühere Everton-Trainer hatte vor dem 0:3 im Heimspiel gegen Liverpool die Erzrivalen als Favoriten bezeichnet und dann hinterher, als die Kritik der erbosten Fans auf ihn einprasselte, ungeschickt hinzugefügt, dass jeder «average man» (Durchschnittsbürger) das genauso gesagt hätte. Die United-Anhänger sind nach zwei Jahrzehnten der nationalen Dominanz nicht gewillt, Durchschnitt zu tolerieren.
Ein ähnlicher Fauxpas unterlief Moyes nach dem 0:3 gegen die verhassten Nachbarn von Manchester City am vergangenen Dienstag. Es sei sein Ziel, mit seinem Team auf das Niveau des Stadtrivalen zu kommen, sagte Moyes. Er hat es nach neun Monaten im Amt noch immer nicht geschafft, die bei Everton kultivierte Underdog-Mentalität abzulegen. Nur gegen die Bayern sieht man ihm diese Einstellung nach.
Ein von Fans gechartertes Flugzeug, das während des Villa-Spiels mit einem „Moyes raus“-Banner über das Stadion flog, wurde ausgepfiffen. Diese Aktion ging vielen Zuschauern zu weit. Aber die Lage bleibt trotz der niedrigen Erwartungshaltung gespannt. Es mag sich vieles verändert haben. Doch an Blamagen will man sich im Old Trafford auch weiterhin nicht gewöhnen.
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