Der Absturz der AC Bellinzona – ein Symptom des Tessiner Sports

Der so gut wie feststehende Konkurs der AC Bellinzona müsste dem Tessiner Fussball klar machen, dass es so nicht weiter geht. Zu verzettelt sind die Kräfte im kleinen Raum südlich des Gotthards.

ZUR KONKURSEROEFFNUNG UEBER DER AC BELLINZONA STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILD ZUR VERFUEGUNG --- Ein AC Bellinhona Schild auf einem Stallen neben dem leeren Stadio Comunale in Bellinzona, aufgenommen am Montag, 22. April 2013. (KEYSTONE/Ti-Press/Gabriele (Bild: Keystone/GABRIELE PUTZU)

Der so gut wie feststehende Konkurs der AC Bellinzona müsste dem Tessiner Fussball klar machen, dass es so nicht weiter geht. Zu verzettelt sind die Kräfte im kleinen Raum südlich des Gotthards.

Es gab einst, als die Super League noch Nationalliga A hiess und aus 14 Vereinen bestand, Jahre, in denen ihr ein Tessiner Quartett angehörte – wie 1953, als der FCB zu seinem ersten Meistertitel marschierte. Als der FC Lugano 1949 als letzter Tessiner Club den Titel über den Gotthard holte, wurde die AC Bellinzona Sechster, der FC Locarno Siebter, der FC Chiasso Elfter. Die Absteiger hiessen Urania Genf und – Grasshoppers.

Heutzutage, da die zweithöchste Liga, die längst nicht mehr Nationalliga B, sondern Challenge League heisst, erstmals nur noch zehn Clubs umfasst, spielen die vier A-Vereine von ehedem allesamt dort. Aber wie sie das tun: Zwar hätte Bellinzona ein Kader, das für die Rückkehr in die Super League gut genug sein könnte – aber seit dem finanziellen Einbruch des Präsidenten Gabriele Giulini kämpft der Verein nicht mehr um den Aufstieg, sondern ums nackte Überleben. Der Vollzug des Konkurses ist wohl nur noch eine Frage von Tagen.

Jenseits von Bellinzona sind die Probleme nicht kleiner

Hinter Bellinzona ist Chiasso als Tabellenfünfter zwar zum wiederholten Mal eine sportliche Überraschung, aber finanziell ein Leichtgewicht, das in der kommenden Saison, mit einer neuerlichen Budgetreduktion auf kaum eine Million Franken, noch leichtgewichtiger wird.

Der Präsident und Odysseus

Eine Million Franken als Garantie braucht die AC Bellinzona, dazu weitere drei Millionen, um die Saison zu Ende spielen zu können, um 900’000 Franken Sozialleistungen nachzahlen zu können und 1,8 Millionen an Mieten. Das hat Präsident Gabriele Giulini der «Neuen Zürcher Zeitung» erläutert. Im Interview räumt er Fehler beim Jonglieren mit dem Geld ein: «Ich habe die Risiken nicht gut berechnet.» Das zu umschreiben wählte Giulini ein anschauliches Bild: «Um nicht den Verlockungen der Sirenen zu erliegen, hatten Odysseus und seine Matrosen zwei Optionen: Sie steckten sich Wachs in die Ohren oder fesselten sich an einen Mast. Ich habe beides nicht getan.»

Der FC Lugano kommt zwar aus der wirtschaftlichen Metropole des Kantons. Aber nach mehrmals verpasstem Aufstieg und dem zuerst teilweise, auf Saisonende als definitiv angekündigten Rückzug des italienischen Investors Enrico Preziosi ist in nächster Zeit nicht mit einem FCL zu rechnen, der über die für ein Spitzenteam nötigen Ressourcen verfügt. Der Architekt Angelo Renzetti, der aktuelle Präsident, ist jedenfalls auf verzweifelter Suche nach Investoren.

Und da ist noch der FC Locarno. Immer wieder hat er sich dank jungen Spielern und einzelnen bemerkenswerten Ausländertransfers, wie zuletzt jenem des Albaners Armando Sadiku, in der Liga gehalten. Doch in dieser Saison hielt er nicht mehr mit, lässt sich der sportliche Abstieg nicht vermeiden. Und doch bleibt Locarno wohl oben: Als Profiteur des finanziellen Debakels der AC Bellinzona, die 1948 der zweitletzte Meister aus dem Tessin war.

Solidarität in der Notlage

Noch spielt die ACB zwar. Vor zehn Tagen gewann sie beim Tabellendritten Winterthur 2:0. Dann schlug sie den Tabellenvierten aus Wil gleich zweimal, im Comunale 8:0, in St. Gallen 2:1. Die Mannschaft des Trainers Martin Andermatt siegte ungeachtet dessen, dass am Morgen des Heimspiels gegen Wil eine Anhörung vor dem Konkursrichter anstand, dass dieser Richter Marco Ambrosini, im Privatleben ACB-Anhänger, am Morgen vor dem Auswärtsspiel den Konkurs über den Verein verhängte.

Die Spieler, immerhin mittlerweile wieder bis Ende März bezahlt, fanden sich zu einer Solidarität wie sie für Menschen in Notlage durchaus typisch ist. Es will sich ja auch jeder aus dem Kader der ACB zeigen für die Zukunft. Darunter sind die vom FC Basel seit der Winterpause ausgeliehenen Spieler Pascal Schürpf, Kwang Ryong Park und Simon Grether. Diese drei Spieler sind immerhin in der priviligierten Situation, dass ihn der Lohn vertraglich vom FCB garantiert ist.

Dass die Zukunft nicht mehr in Bellinzona sein kann, wird spätestens am 2. Mai klar sein, wenn die Justiz über den vom Verein eingelegten Rekurs befindet. Am 19. März hat die ACB wegen Zahlungsunfähigkeit die Bilanzen deponiert.

Fünf Millionen Franke auf die Schnelle – mindestens

Präsident Giulini, Spross einer schwerreichen italienischen Unternehmerfamilie, hat die 50 Millionen Franken, die er nach dem Tod des Vaters vor drei Jahren erbte, offensichtlich aufgebraucht hat. 25 Millionen, so heisst es, gingen in dieser Zeit in die ACB, zehn Millionen ins Stadionprojekt in Castione-Arbedo, aus dem trotz positiver Abstimmung in der Gemeinde höchstwahrscheinlich doch nichts wird, und den Rest habe er mit geschäftlichen Spekulationen verbraucht.

Die Suche nach Investoren, die in die Lücke springen, war bisher vergeblich. Was Giulini dem Konkursrichter zu bieten hatte, waren nur noch Worte, keinerlei messbare Anzeichen eines Sanierungskonzepts. Nicht erfüllt haben sich jedenfalls die Spekulationen, es würden die zwei Brüder Giulinis ihrem Gabriele rettend beistehen. Zu tilgen wären Schulden, die gemäss Giulinis Anwalt Emanuele Stauffer zwischen vier und fünf Millionen Franken liegen. Andere Quellen im Tessin kolportieren sogar einen Betrag von 8,5 Millionen.

Ärger bei der Konkurrenz, Hoffnung der Liga

Die Swiss Football League hofft derweil, die ACB spiele wenigstens die Saison zu Ende, allenfalls auch nach einem Konkurs wie es vor zehn Jahren Lausanne-Sports in der Nationalliga B tat. «Sportliche Gründe» lassen die Liga das so sehen, damit nicht die Resultate der ACB seit dem Winter gelöscht werden müssen, was für die einen Gegner Siege, für die andern Niederlagen waren.

Aber manche Stimme – wie jene des Aarauer (Aufstiegs-)Trainers René Weiler – sagt, dass es mit dem «Sportlichen» doch schon längst vorbei sei, wenn eine Mannschaft an der Spitze mitspiele, die gar nicht bezahlt werden könne.

Natürlich stellt sich die Frage, wie es um die Urteilsfähigkeit Giulinis stand, als er vor anderthalb Jahren Hakan Yakin einen Sechsjahresvertrag gab. Und es muss sich die Liga fragen lassen, was ihr Lizenzierungssystem überhaupt wert ist, wenn ein Jahr nach dem Konkurs von Neuchâtel Xamax schon der nächste folgt.

Das triste Bild, das der Tessiner Sport abgibt

Es ist jedenfalls ein tristes Bild, das der Tessiner Fussball in diesen Tagen bietet. Aber es ist ja auch so, dass vier Profiteams auf diesem kleinen Raum zu viel sind. Denn es bewegen sich dort auch die Eishockey-Platzhirsche HC Lugano und HC Ambri-Piotta, der auch Jahr für Jahr um seine Zukunft kämpfen muss.

Überdies starteten in die Basketball-Nationalliga-A gleich drei Tessiner Clubs, von denen sich mittlerweile einer zurückgezogen hat, Vacallo aus – finanziellen Gründen. Aus dem Tessin stammt neuerdings auch der Volleyballmeister, Lugano. 40 bis 45 Millionen Franken werden, so ist zu schätzen, im Tessin jährlich in den Sport investiert – nicht wenig, aber zu wenig für so viele Mäuler, die zu stopfen wären.

Vielleicht hat der Absturz der ACB jedoch etwas Gutes: Weil er das Ende des Tabus markieren könnte, dass es keine Fusionen gibt. Denn bisher fuhrwerkt im Tessin jeder der Clubs lieber für sich. Vielleicht ist nach dem Konkurs der ACB und mit einer Challenge-League-Lizenz für Locarno ein Zusammengehen dieser Clubs Basis einer gedeihlicheren Zukunft – eines stabilen Clubs im Sopraceneri. Die Zeit aber, da es vier Tessiner Nationalliga-Clubs gab, scheint definitiv vorbei zu sein.

Datum Spiel Resultat
27.04.2013 Wohlen – Chiasso 17.45
27.04.2013 Lugano – Wil 17.45
28.04.2013 Biel – Locarno 16.00
28.04.2013 Bellinzona – Vaduz 16.00
29.04.2013 Winterthur – Aarau 19.45
R Mannschaft Sp S U N G : E P  
1. Aarau 28 19 4 5 57 : 33 61  

2. Bellinzona 28 18 5 5 44 : 23 58 (-1)
3. Winterthur 28 14 4 10 47 : 36 46  
4. Wil 28 13 4 11 49 : 52 43  
5. Chiasso 28 10 6 12 29 : 36 36  
6. Lugano 28 8 9 11 40 : 38 33  
7. Vaduz 28 9 6 13 36 : 38 33  
8. Wohlen 28 8 8 12 28 : 37 32  
9. Biel 28 8 7 13 38 : 47 31  

10. Locarno 28 3 7 18 21 : 49 16  

Bellinzona wegen Lizenzverstoss 1 Punkt Abzug

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