«Der Ball ist überall ein bisschen rund»

Granit Xhaka, vor einem halben Jahr vom FC Basel zu Borussia Mönchengladbach gewechselt, über seine ersten Erfahrungen in der Fussball-Bundesliga und den Umgang mit der ersten komplizierteren Phase in seiner noch jungen Karriere.

«So eine Phase macht einen Spieler nur stärker.» Granit Xhaka über die erste Delle in seiner Karriere. (Bild: Moritz Müller)

Granit Xhaka, vor einem halben Jahr vom FC Basel zu Borussia Mönchengladbach gewechselt, über seine ersten Erfahrungen in der Fussball-Bundesliga und den Umgang mit der ersten komplizierteren Phase in seiner noch jungen Karriere.

Mitte Oktober hat sich das Blatt gewendet für Granit Xhaka. Seither sitzt er auf der Reservebank bei Borussia Mönchengladbach, ist der steile Aufstieg des Fussballprofis aus Basel ins Stocken geraten. Eine neue und keine einfache Erfahrung für Xhaka, über die er im Gespräch mit der TagesWoche reflektiert. In den ersten beiden Spielen der Bundesliga-Rückrunde blieb für ihn wieder nur die Rolle des Reservisten, die Geduld des 20-jährigen Nationalspielers wird auf die Probe gestellt.

Sein Verein, der ihn im Sommer 2012 für eine hohe Summe vom FC Basel losgeeist hat, demonstriert diese Ausdauer. Ein Angebot von Lazio Rom (mit Ex-YB-Trainer Vladimir Petkovic und dem Gegner in der nächsten Europa-League-Runde) schlug er aus, und Gladbachs Manager Max Eberl sagt: «Ein Wechsel kommt für uns nicht infrage. Wir wissen, was Granit Xhaka kann.» Der sportliche Leiter schreibt dem Talent aber auch etwas ins Stammbuch: «Er muss natürlich ranklotzen.»

Kleines Quiz zum Aufwärmen, Granit Xhaka: Wissen Sie noch, welches besondere Fussballspiel am 28. Juli 2010 stattfand?
Das war mein erstes Profispiel, glaube ich.

Champions-League-Qualifika­tion mit dem FC Basel in Debrecen, und ein 17-jähriger Youngster namens Xhaka steuert das Tor zum 2:0 bei.
(grinst) Ja, das war so.

War das – im Nachhinein betrachtet – Ihr Ticket in den grossen Fussball? Sind Sie an diesem Tag bei den Profis angekommen?
Für mich war schon besonders, überhaupt erstmals im Aufgebot zu stehen. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich einen Einsatz kriege. Dann komme ich in der 90. Minute rein und mach beim ersten, zweiten Ballkontakt das Tor. Da hab ich gemerkt, dass wirklich was gehen kann.

Letztes Frühjahr wollte Sie Thorsten Fink, Ihr ehemaliger Trainer beim FC Basel, zum HSV nach Hamburg holen. Was gab den Ausschlag für den Wechsel nach Mönchengladbach?
Ich konnte mit Borussia gleich international spielen und wollte auch mal einen neuen Trainer kennenlernen, den nächsten Schritt machen. Das waren die wesentlichen Punkte.

Hat man es als Schweizer in der Bundesliga eher schwer, oder ­geniesst man sofort Respekt? Immerhin sind Sie längst in der Nationalmannschaft etabliert.
Ich finde es nicht wichtig zu sagen, der kommt von der Schweiz und der von da oder da. Ich meine, der Ball ist überall ein bisschen rund. Klar ist die Super League nicht so stark wie die Bundesliga, aber ich glaube, wir werden oft unterschätzt.

Was hatten Sie sich zu Beginn für die erste Saison in Mönchengladbach vorgenommen?
Der Druck war sicher hoch, die Zuschauer haben viel verlangt von mir. Ich bin für 8,5 Millionen Euro geholt worden, glaube ich. Es war eine neu formierte Mannschaft, die musste sich erst finden. So haben wir in den ersten Spielen zu viele Tore kassiert. Da musste der Trainer reagieren und ein bisschen defensiver spielen lassen. Deswegen bin ich momentan noch auf der Bank.

Nun müssen Sie Ihre Erwartungen an diese Saison herunterschrauben. Borussia steht in der Tabelle im Mittelfeld, im Verein heisst es, man müsse sich vorerst dort konsolidieren. Ist das nicht etwas unbefriedigend?
Ich kenne das auch aus Basel. In der Schweiz haben wir immer um den Titel gespielt, und hier wollen die Fans nach der tollen letzten Saison am liebsten wieder Dritter, Vierter, Fünfter werden. Im Prinzip ist mit der Mannschaft auch viel möglich. Aber die Spiele sind hier jede Woche eng, ob gegen den Ersten oder den Letzten. Das zeichnet die Bundesliga auch aus.

Wird in der Mannschaft diskutiert, welche Ziele realistisch sind?
Wir reden eigentlich nicht darüber, wo wir am Schluss stehen wollen, sondern schauen von Spiel zu Spiel. Aber das Ziel ist sicher, dass wir nächste Saison wieder international spielen können.

Was hat sich sonst für Sie verändert, was ist anders in Ihrem neuen Verein?
Basel war und ist immer noch hervorragend, aber in manchem ist Gladbach voraus. Das Stadion ist grösser, die Stimmung überragend – obwohl das auch in Basel so war. Ich habe mich dort wohl gefühlt, und jetzt fühle ich mich hier wohl. Von dem her bereue ich nichts, was ich bisher gemacht hab.

«In Deutschland ist alles viel grösser und die Menschen sind offener»

Was ist anders in Deutschland, welche Unterschiede fallen Ihnen auf?
Vor allem, dass man hier schneller Auto fahren kann. (lacht) Nein, man kann Basel nicht mit Gladbach vergleichen, das ist viel grösser hier. Allgemein sind die Menschen offener in Deutschland. Aber vielleicht kommt mir das auch so vor, weil ich in der Schweiz schon alles kenne.

Sind Sie inzwischen in Ihrem neuen Umfeld angekommen?
Ich war fast zwei Monate im Hotel, das war keine ganz einfache Zeit. Mittlerweile hab ich ein Haus in ­Erkelenz (Kreisstadt, etwa 20 Kilometer entfernt), wo mich Papa, Mama und mein Bruder ab und zu besuchen.

Ihr Vater ist für Ihre Karriere nicht unwichtig gewesen. Was hat er Ihnen mit auf den Weg ­gegeben?
Dass ich immer der bleiben soll, der ich auch vor zehn Jahren schon war. Ich hab keinen Grund zu lügen und nenne die Dinge wie sie sind.

Kommt Ihr Vater zu den Spielen?
Ich brauche die Familie, egal wo ich bin. Mein Papa ist fast ständig bei mir, und mit meinem Bruder telefoniere ich jeden Tag. Er war auch schon mal hier.

Sie haben zusammen mit Ihrem Bruder für die Familie ein Haus in Pristina gekauft. Wie oft schaffen Sie es in die Heimat der Eltern im Kosovo?
In Pristina bin ich zwei Mal im Jahr, im Sommerurlaub und im Winter. Und jetzt haben wir den Eltern auch ein Haus in Biel-Benken gekauft. Ich versuche, ihnen das zurückzugeben, was sie mir gegeben haben. Sie können da bald einziehen, das wissen sie nur noch gar nicht.

Ist Ihr Bruder Taulant auch Ihre wichtigste Quelle für den Stand in der Super League?
Klar verfolge ich die Super League noch. Vor allem den FC Basel, das bleibt immer in meinem Herzen.

Wie schätzen Sie die Situation an der Tabellenspitze ein? Wird es ein Zweikampf mit GC?
Es sieht danach aus, wenn nicht noch Sion dazukommt.

Drücken Sie den Grasshoppers die Daumen, weil Ihr Bruder dort spielt?
Klar, denen auch. Aber der FCB geht immer noch vor.

«Plötzlich auf der Bank zu sitzen war schlimm. Aber so eine Phase macht einen Spieler nur stärker.»

Sie haben im Fussball bisher sehr viel sehr schnell erreicht und finden sich plötzlich auf der Bank wieder. Haben Sie damit schon umzugehen gelernt?
Das ist eine Prüfung wie in der Schule: Entweder du schaffst es und kommst weiter oder du schaffst es nicht und bist weg. In Basel schien zwei Jahre lang immer nur die Sonne. Dann hat der Trainer in Gladbach nach den ersten Spielen umgestellt und einen defensiveren Mann gebracht. Das war schlimm in den ersten Wochen, weil ich lange nicht mehr auf der Bank gesessen hatte. Ich hab meinen Bruder angerufen, weil er das aus Basel kennt, und ihn gefragt, wie das für ihn war. Ich musste es akzeptieren. Ich bin aber nicht einer, der schnell aufgibt. So eine Phase macht einen Spieler nur stärker.

Es gibt wohl auch niemand im Verein, der Ihr grosses Potenzial in Zweifel zieht – sonst hätten Sie ja wohl auch kaum einen Fünf-Jahres-Vertrag bekommen, oder?
Ich habe dieses Vertrauen auch ­gespürt, das ist schön zu wissen. Ich habe jetzt 40 internationale Spiele in den Beinen, A-Nationalteam, Champions League, Europa League. Und ich glaube nicht, dass ein Verein wie die Borussia einfach 8,5 Millionen für nichts hinblättert.

Hat Trainer Lucien Favre Ihnen mal gesagt, was ihm konkret bei Ihrem Spiel fehlt?
Ich bin auf ihn zugegangen und habe gefragt, warum ich nicht spiele. Da­rauf hat er mir ein paar Sachen gesagt, was aber zwischen ihm und mir bleibt. Das habe ich in den letzten Monaten im Training umzusetzen versucht. Ich habe auch keine Wahl: Der Trainer ist der Chef, und ich probiere, ihm jeden Tag zu zeigen, dass ich bereit bin, und wenn sich eine Chance ergibt, werde ich sie nutzen.

Machen Sie sich Sorgen, für die Nationalmannschaft zu wenig Spielpraxis zu haben? Haben Sie sich mit Ottmar Hitzfeld darüber unterhalten?
Ich hatte mit ihm ein gutes Gespräch beim Freundschaftsspiel in Tunesien. Aber Nationalmannschaft ist Nationalmannschaft, und Gladbach ist Gladbach. Und egal, wo ich bin: Ich versuche immer zu zeigen, dass ich bereit bin.

Sie haben kein Theater gemacht als Reservist, dennoch gab es eine Äusserung, die kritisch aufgenommen wurde. Sie sagten, wenn Sie schon in allem perfekt wären, würden Sie nicht für die Borussia, sondern in Barcelona spielen. Gibt es etwas in Ihrer Aussendarstellung, das Sie im Nachhinein bereuen?
Ich werde mich für nichts entschuldigen, denn ich habe nie etwas gegen den Verein, die Mannschaft oder ­einen Spieler gesagt. Es gab diesen kleinen Streit mit Marc (Torwart Marc-Andre ter Stegen; Red.), aber wir haben uns vorher und nachher wieder sehr gut verstanden. So was gehört dazu. Es sind Emotionen im Spiel, und wir sind Männer, wir ­können das unter vier Augen regeln. Vielleicht muss ich lernen, Dinge ­anders zu formulieren. Das ist ein Unterschied zur Schweiz: Die Journalisten übernehmen hier jeden Satz und schreiben alles.

«Ich wollte mit ­jedem Ball Dinge machen, die ich noch nie gemacht habe – auch in der Schweiz nicht. Mein Fehler.»

Hat es Ihr Kumpel Xherdan Shaqiri bei Bayern München leichter? Er ist zunächst als ­Ergänzungsspieler geholt ­worden und hat relativ häufig gespielt.
Das kann man schlecht miteinander vergleichen. Xherdan kam da ohne Druck hin. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass er seinen Weg machen würde. Ein Superspieler und ein Supertyp. Wir schreiben uns ab und zu eine SMS. Und beim Spiel in München im Dezember (1:1) haben wir nachher unsere Trikots getauscht.

Ist die hohe Ablösesumme für Sie wie ein Rucksack voller Steine gewesen?
Ich wollte den Leuten hier am Anfang vielleicht zu viel zeigen. Wollte bei ­jedem Ballkontakt Dinge machen, die ich eigentlich noch nie gemacht habe – auch in der Schweiz nicht. Mein Fehler. Aber durch Fehler lernt man auch. Und ich bin ein Typ, der lieber nach vorne schaut.

Haben Sie sich Anfang Januar im Trainingslager in Dubai anbieten können?
Das Trainingslager lief für alle gut, nicht nur für mich. Konkurrenz ist genug da, das ist auch gut so. Am Ende entscheidet der Trainer, und das müssen alle akzeptieren.

Sie sind 2009 U17-Weltmeister geworden. Was ist jetzt mit der Nationalmannschaft möglich? Wird es nicht Zeit für das nächste grosse Turnier?
Natürlich, 2014 in Brasilien. Wir sind auf einem guten Weg, stehen oben, haben ein super Torverhältnis und spielen momentan einen sehr schönen Fussball. Wenn alles gut läuft und wir das Maximum geben, können wir aus den zwei Spielen ­gegen Zypern sechs Punkte holen.

Sie haben über die Jahre ganz verschiedene Trainer erlebt. Wer von denen hat Sie geprägt?
Jetzt habe ich zwei ältere Trainer und davor waren es zwei jüngere. Ottmar Hitzfeld und Lucien Favre sind vielleicht ein bisschen weiter weg von den Spielern, während Thorsten Fink und Heiko Vogel wie Kumpels sind. Aber lernen kann man von jedem.

«Ich will eine richtige Karriere machen und nicht nur fünf Jahre mal mitspielen»

Und in welchen Bereichen kann der Fussballer Xhaka denn noch zulegen?
Ich will mich in allen Bereichen noch verbessern. Weil ich nicht nur fünf Jahre mal mitspielen, sondern eine richtige Karriere machen will. Ich bin sehr ehrgeizig und möchte viele neue Sachen lernen. Deswegen ist es auch gut, mal die Situation kennenzulernen, in der ich gerade stecke. Man sollte immer am Boden bleiben und wissen, wo man gerade steht.

Wie finden Sie einen Ausgleich zum Fussball? Gibt es Dinge, die Sie am Ende des Tages noch gerne tun?
Ich höre sehr gerne Musik und spiele im Internet mit Freunden aus der Schweiz auf der Playstation «Fifa 13». Ich bin einer, der gerne zu Hause ist. Aber wenn Kumpels kommen, gehen wir auch schon mal was trinken. Ich haben in Gladbach viele Mitspieler, die sehr jung und auch lustig sind.

Und was ist mit diesen lustigen Mitspielern möglich in der zweiten Saisonhälfte?
Wir müssen vor allem unsere Heimspiele gewinnen, dann können wir oben mithalten. Wir wollen nicht ein Jahr international und dann wieder gegen den Abstieg spielen.

Sie sehen hier also weiter eine Perspektive für sich?
Ja, klar. Ich bin nicht hergekommen, um nach einem halben Jahr wieder zu gehen. So schnell laufe ich nicht davon. Ich will natürlich wieder ­meinen Stammplatz haben, aber das geht nicht von heute auf morgen. Ich muss Geduld haben, hart arbeiten – und dann schauen wir weiter.

Granit Xhaka

Es ist kein landsmannschaftlicher Vorteil für Granit Xhaka, in Mönchengladbach den Schweizer Lucien Favre (im Bild links) als Trainer zu haben. Derzeit muss sich der 20-jährige Profi hinten ­anstellen, und das nach einer bis vor Kurzem reibungslos entwickelten Karriere: Im Kleinbasel geboren und beim FC Concordia fussballerisch eingestiegen, mauserte sich der Mittelfeldspieler mit kosovarischen Wurzeln beim FC Basel zu einem der grössten Talente des Schweizer Fussballs. 2009 wurde Xhaka mit der U17-Auswahl Weltmeister, mit dem FCB zweimal Schweizer Meister und Cupsieger, und im Juni 2011 debütierte er in der ­A-Nationalmannschaft, für die er inzwischen 15 Länderspiele absolviert hat. Im Sommer 2012 wurde er für den für Gladbacher Verhältnisse als Rekordsumme taxierte Ablösebetrag von 8,5 Millionen Euro transferiert. Xhakas eineinhalb Jahre älterer Bruder Taulant spielt bei den Grasshoppers. (cok)

Ein Beitrag des Schweizer Fernsehens über einen Besuch bei Granit Xhaka in Mönchengladbach

Und so spielt Granit Xhaka Fussball:

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.02.13

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