Am 4. Oktober boxt der Prattler Arnold Gjergjaj im Schwergewicht um einen europäischen Titel. Er ist nicht der erste erfolgreiche Schwergewichtsboxer des Boxclubs Basel: Hans K.o.-Müller stand 1948 sogar kurz vor dem Olympiasieg, ehe er Opfer eines Ringrichters wurde.
Wenn einer den Übernamen «K.-o.-Müller» hat, dann kommt das nicht von ungefähr. 360 Kämpfe soll der Basler Hans Müller bestritten haben. 240 davon gewann er durch Knock-out, was um so beeindruckender ist, als seine Amateurkämpfe jeweils nur über drei Runden gingen.
Am 4. Oktober kämpft der Prattler Schwergewichtsboxer Arnold «the Cobra» Gjergjaj gegen Adnan «Bosnian Lion» Redzovic um den Europa-Titel der nicht EU-Staaten. Die TagesWoche hat zum Kampf ein Paket mit diesen Berichten zusammen gestellt:
Der am 22. Dezemer 1915 geborene Müller war der beste Schweizer Schwergewichtsboxer der Geschichte. Und wäre ihm nicht der Zweite Weltkrieg dazwischen gekommen, er hätte wohl eine Profikarriere eingeschlagen.
So aber blieb Müller Amateur, arbeitete im Wasserwerk Birsfelden und feierte in seiner Karriere zwischen 1934 und 1952 14 Schweizer Meistertitel. Boxte der «Hansli» in Basel, dann war das eine grosse Schau. Fans schrieben vor den Kämpfen schon mal einen Schnitzelbangg, in dem gewünscht wurde:
«Nitt boxe, für im ‹Volk› si Gluscht
Das wär jo numme Zytverluscht.
Nur glii di Hammer, waisch di harte
Nitt dass i zlang muess uff di warte.
Die «Basler Nachrichten» stellten nach seinem Tod fest, Müller sei in Basel so populär gewesen wie die Fussballer Seppe Hügi und Karli Odermatt. Seine Kämpfe müssen eine Art Volksfest gewesen sein mit einem Publikum, das aktiver Teil der Veranstaltung war und mit Zwischenrufen für einen Teil der Unterhaltung sorgte. «Hansli, lass ihn doch auch noch etwas boxen!» Oder: «Hans, machs kurz, wir haben Durst!»
Hans K.o.-Müller in seinem Element: Sieg durch Kampfabbruch in der 1. Runde vor 1600 Zuschauern gegen den Berner Jost im Jahr 1950.
Seinen grössten Erfolg und zugleich seine bitterste Niederlage aber erlebte Müller fern der Heimat. 1948 boxte sich Müller an den Olympischen Spielen in London bis in den Halbfinal.
Dabei besiegte er den Uruguayer Augustin Munis im Achtelfinal seinem Übernamen entsprechend durch K.o., obwohl ihm die «National-Zeitung» wenig zugetraut hatte: «Die Chancen des Schweizers standen auf dem Gefrierpunkt.» Doch Müller gelang eine taktische Meisterleistung: «Da machte dieser Müller, was ihn zum Sieg führen sollte: er nahm ihm die Luft weg!»
Die Schläge in die Magengegend waren Müllers Lieblings-Strategie, wie er später dem «Sport» erzählte. «Drei Amateurrunden sind rasch vorbei», habe er sich gesagt. Einer oder mehrere harte Uppercuts in den Magen, der Gegner senkte die Deckung, neigte vornüber und lieferte sich automatisch seinem schweren rechten Kinnhaken aus. «Ich brauchte nur noch zu zielen.»
Im Viertelfinal besiegte Müller noch etwas überraschender den Engländer Jack Gardner, der später Europameister der Profiboxer wurde, nach Punkten.
«Unfassbares Fehlurteil»
Was dann gegen Gunnar Nilsson geschah, wuchs mit der Zeit zu einer Art Mythos heran. Der «Sport» schreibt in den 1960er-Jahren von einem «unfassbaren Fehlurteil». Im Jahr 1995 war Müllers Halbfinal dann im «Magazin» der «Basler Zeitung» schon zu «einem der beschämendsten Tiefschläge der olympischen Boxgeschichte» geworden.
Fakt ist, dass Müller seinen Halbfinal gegen Nilsson nach Punkten verlor. Eine Niederlage, die ihn bis an sein frühes Lebensende 1967 verfolgen sollte, weil er davon überzeugt war, dass er den späteren Goldgewinner Rafael Iglesias im Final besiegt hätte.
Er habe Nilsson «in jeder Runde zweimal zu Boden» geschickt, soll Müller später erzählt haben. Ganz so einseitig war der Kampf aber wohl nicht, wie die Zeitungsberichte aus dem Jahr 1948 nahelegen.
Wie ein Sack fiel der Schwede zu Boden
Müller musste seinen Halbfinal noch am gleichen Tag wie seinen über drei Runden hart erkämpften Viertelfinal-Sieg über Gardner bestreiten. Um Kraft zu sparen, setzte der Basler auf seine bewährte Taktik, die er in fast allen seinen Kämpfen anwandte: «Langes Abtasten lag mir nicht. Ich ging sofort auf den Gegner los und deckte ihn mit Serien ein. Meist war mit sofortigem Zuschlagen schon der Grundstein zum Erfolg gelegt.»
Das Rezept schien auch gegen Nilsson aufzugehen. «Auf einen fürchterlichen Direkten in der ersten Runde fiel der Schwede wie ein Sack zu Boden», schrieb die «Sport Information». Dann aber – und damit zum Skandal – habe der Ringrichter vergessen, Nilsson auszuzählen: «Er war so überrascht, dass er Sekunden vergehen liess, ehe er überhaupt zu zählen begann. Nach der Meinung eines französischen Offiziellen, der die Zeit privat gestoppt hatte, war Nilsson während 13 Sekunden down!»
Hans Müller mit der Basler Box-Trainerlegende Hans Gass an den Olympischen Spielen 1948 in London.
Müller muss sich kurz wie der Sieger gefühlt haben, ehe er realisierte, dass der Ringrichter den Schweden bloss bis acht angezählt hatte. Nilsson kam zurück in den Kampf und erholte sich in der Folge so gut, dass Müller in der zweiten Runde selbst kurz zu Boden ging. In der Schlussrunde kam der Basler dann «kaum mehr zu Wort und musste sich nach Punkten geschlagen geben», notierte die «Sport Information».
Nun hatten sich die Ringrichter an diesem Olympischen Turnier nicht eben mit Ruhm bekleckert. Mehrere Kampfrichter wurden sogar noch während der Wettkämpfe nach haarsträubenden Fehlurteilen ausgeschlossen. Doch die NZZ hielt explizit fest, die «erstaunlichen Leistungen der Ringrichter» hätten zwar auch an Müllers Halbfinaltag angedauert, aber: «Es betrifft nicht das Urteil gegen den Schweizer.»
Die Hand so geschwollen, dass sie nicht mehr in den Handschuh passte
Für Müller aber hatte das langsame Zählen des Ringrichters gleich doppelte negative Folgen: Er verlor nicht nur seinen Halbfinal, er musste auch für den Kampf um Bronze Forfait geben.
Die «Basler Zeitung» behauptet 1995, die Schweizer Delegation sei «unter Protest» abgereist. Die Zeitungen von 1948 erzählen aber eine andere Geschichte: Müller hatte sich im Kampf gegen Nilsson verletzt: «Seine rechte Hand war derartig geschwollen, dass er den Boxhandschuh nicht anziehen konnte.» (NZZ)
So oder so reiste Hans Müller ohne Edelmetall zurück nach Basel. Und die Erinnerungen an den «K.o.-Müller», an den besten Schweizer Schwergewichtsboxer der Geschichte, sie verblassten nach seinem Tod nach und nach. Bis nur noch der Skandal von London schemenhaft übrig blieb.
Schweizermeister Mittelgewicht: 1939, 1943
Schweizermeister Halbschwergewicht: 1940, 1941, 1942, 1944, 1945, 1946.
Schweizermeister Schwergewicht: 1944, 1948, 1949, 1950, 1951.
Dazu einmal Schweizer Militärmeister.
Olympiateilnehmer: 1948 (4. Platz), 1952.
Europameisterschafts-Teilnehmer: 1942, 1951.
Die «Basler Nachrichten» berichten über Müllers Halbfinal an den Spielen 1948.