Im November noch hatte er seinen Vertrag um eine weitere Saison verlängert. Doch jetzt hat Marco Streller gemerkt, dass er nicht mehr Profifussballer sein mag. Ende Saison hängt der Basler Captain seine Schuhe an den Nagel – der FC Basel wird ihn vermissen.
Der erste Schuss war gleich ein Treffer. Bloss ging er ins falsche Tor. Als Marco Streller am 11. Juli 2001 sein Debüt für den FC Basel im St.-Jakob-Park gab, da tauchte er im FCB-Strafraum auf, lenkte einen Ball ab – und traf in der 90. Minute für Servette zum Ehrentreffer beim Basler 3:1-Sieg. Niemand hätte vermutet, dass dieser damals knapp 20-Jährige einst zu einer Basler Galionsfigur werden würde, die Karli Odermatt das Wasser reichen kann.
Und doch ist er das geworden, dieser Marco Streller, der damals von vielen Beobachtern belächelt wurde wegen seiner dünnen Beine und seinen nicht immer elegant anmutenden Bewegungen. Wenn Streller Ende Mai 2015 als 34-Jähriger sein letztes Spiel in Rotblau bestreiten wird, ein Jahr früher als angenommen, dann wird Fussballbasel in Wallung geraten. Und der FC Basel, er wird einen Teil seiner Seele verlieren.
Das hat nicht allein damit zu tun, dass Streller ein sogenannter Ur-Basler ist. Einer, der auch als Profi ein Fan jenes Clubs geblieben ist, mit dem er einst im alten Joggeli mitgefiebert hatte. Das waren andere auch – und doch flogen ihnen die Herzen nicht so vorbehaltlos zu, wie Marco Streller bei seinem zweiten Aufenthalt beim FCB vom Sommer 2007 an.
Einer zum Anfassen
Streller hat sich die Zuneigung der Basler verdient, indem er sich selber geblieben ist – und sich gleichzeitig radikal verändert hat. Auf dem Platz, da ist wenig übrig geblieben vom Bruder Leichtfuss, der er in seinen ersten Fussballerjahren sein konnte. Daneben aber blieb er immer irgendwie der Typ Feierabend-Kicker. Da wirkte er stets greifbar, nie gekünstelt oder abgehoben.
Nicht, dass er seit der Geburt seiner zwei Kinder noch wie in seinen jungen Jahren regelmässig im Ausgang anzutreffen gewesen wäre. Doch wer sich die Nacht des Fasnachtsmittwoch in der Nähe der Hasenburg um die Ohren schlug, der konnte damit rechnen, irgendwann gemeinsam mit Streller in der Schlange vor einem Cliquenkeller zu stehen. Und er stand wirklich in der Schlange, VIP-Behandlung brauchte und wollte er da nicht. Wo andere FCB-Fussballer kaum mehr in der Stadt anzutreffen sind, wirkte der «Pipi» immer wie einer zum Anfassen.
Marco Streller als lebendiger Helgen im Cliquenkeller. (Bild: Philipp Loser)
So war er ein Anker, der seinen FCB fest mit Stadt und Region verband. Das ist nicht unwichtig für einen Fussballverein, der soeben bekannt gegeben hat, dass er die 100-Millionen-Franken-Schallmauer durchbrochen hat und mit all seinen Erfolgen unter dem latenten Verdacht steht, demnächst abzuheben.
Der personifizierte FCB
Auf dem Rasen und in der Kabine werden die Basler ihren Captain sowieso vermissen. Er war während nun siebeneinhalb Jahren die Klammer in einer Mannschaft, in der einer fast schon als Urgestein gilt, wenn er drei Saisons in Rotblau spielt. Drohte mal etwas richtig schief zu laufen – auf dem Platz oder daneben – war es oft Streller, der das Ruder doch noch herumriss.
Vor allem aber war immer zu spüren: Da zerreisst sich auf dem Platz einer für seinen Club, dem er nicht nur über den Lohnausweis verbunden ist. «Es geht um die bedingungslose Liebe zum Club und zur Stadt», hat er der TagesWoche einmal erklärt, wie man als Fussballer zur Identifikationsfigur werden kann. Kein Wunder, wird kein Basler in anderen Schweizer Stadien so herzhaft ausgepfiffen wie Streller – er ist der personifizierte FCB auf dem Fussballfeld.
Vom 3.-Liga-Kicker zum Nationalspieler
Dabei war der Aescher etwas unverhofft und erst spät in den Elitefussball gekommen, er war keiner dieser komplett auf Profikarriere programmierten Nachwuchs-Leute, die heute in den Nachwuchs-Zentren dieser Welt herangezogen werden. Streller machte eine Lehre auf der Bank, er spielte in der 3. Liga bei Arlesheim und stieg in die 2. Liga auf. Rumpfstabilisierung war in diesem Umfeld ein Fremdwort, das Bier danach ging als Regeneration durch.
Bei den Junioren des FC Aesch hatte Streller mit einem gewissen Alex Frei zusammen gespielt. Später trafen sie sich wieder in der Schweizer Nationalmannschaft und beim FCB. Frei sei der Talentiertere gewesen, erzählte Streller einmal der «NZZ am Sonntag». Wenn Frei bei den Aescher Junioren in einer Saison 100 Tore schoss, dann traf Streller nur 70 Mal.
Aber wahrscheinlich war es schlicht so, dass Streller die Tore nicht ganz so vergiftet suchte wie sein zwei Jahre älterer Teamkollege. Denn wo Frei seinen Weg durch Arbeit und Ehrgeiz machte, da musste sich Streller locker und geborgen fühlen.
In Rennes, wo sich Frei vom kaum eingesetzten «petit suisse» zum Torschützenkönig der Ligue 1 durchbiss, wäre Streller wohl eingegangen wie eine Sumpfeiche in der Wüste. Als er den FCB im Winter 2004 nach bloss einer halben Saison als Stammspieler bereits wieder verliess, da entschied er sich gegen den FC Liverpool und für den VfB Stuttgart. Ganz einfach, weil Basel von Stuttgart aus schnell zu erreichen ist.
In Deutschland wurde Streller zwar einmal als Ergänzungsspieler Meister mit dem VfB. Doch dem wirklichen Durchbruch standen viele grosse und kleine Verletzungen im Weg. Und vermutlich auch seine jugendliche Lust, etwas vom Leben zu haben, nicht alles bedingungslos dem Fussball unterzuordnen.
Harmonie und Anerkennung
Zu seinem besten Fussball fand er nicht zufällig in Basel, wo er zuhause ist. Harmonie und Anerkennung braucht er, um wirklich funktionieren zu können. Und Freude an seiner Arbeit, dem Fussballspielen.
All das fand er in der Nationalmannschaft seit jenem verhängnisvollen Zungenspiel vor seinem Elfmeterfehlschuss an der Weltmeisterschaft 2006 nicht mehr. Darum spielte er schon nicht mehr für die Schweiz, als er in Basel zum stärksten Streller seiner Karriere gereift war.
Auch beim FCB gab es Momente, in denen er nicht glücklich war. Das Basler Spätwerk von Christian Gross gehörte dazu. Und auch unter Murat Yakin wirkte es nicht so, als ob Streller jeden Morgen freudestrahlend auf den Trainingsplatz eilen würde.
Die beiden Phasen zeigen jedoch, welche Entwicklung der Stürmer durchgemacht hat. Wirkte sich der Konflikt mit Gross noch direkt auf seine Leistungen aus, so schoss Streller den FCB unter Yakin unter anderem zu einem 2:1-Auswärtsieg gegen Chelsea.
Der Hunger ist nicht mehr da
Siebenmal ist Streller bislang mit dem FCB Meister geworden und dreimal Cupsieger; er hat 308 Spiele für Basel bestritten und 139 Tore erzielt. Es werden noch ein paar dazu kommen. Dann ist Schluss. Und das, obwohl die Basler Fans erst am 23. November letzten Jahres die Vertragsverlängerung ihres Captains bejubeln durften.
Damals glaubte er noch, «den Hunger auf Fussball» mindestens bis Sommer 2016 zu verspüren, wie er damals sagte. Das hat sich nun über die Winterpause geändert. Er habe immer mehr gespürt, «dass der richtige Zeitpunkt zum Aufhören früher sein wird», erklärte der 33-Jährige am Donnerstag auf der Website des FCB: «Denn mir ist es wichtig, im Vollbesitz meiner Leistungsfähigkeit abzutreten.»
Was kommt danach?
Es könnte ein grosser Abgang mit einem Double-Gewinn und einer grossen, nostalgischen Party auf dem Barfüsserplatz werden. Und danach? Es geht immer weiter im Fussball. Dereinst wird Marco Streller zu den «weisch no» der FCB-Mythen gehören.
Doch bis dahin ist noch etwas Zeit, um zu geniessen.
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Wir erinnern an dieser Stelle gerne an ein Interview mit Marco Streller von Ende 2013: «Es spielt keine Rolle, woher du kommst. Wichtig ist, dass jemand vermitteln kann, was es bedeutet, für diesen Club zu spielen, dass jemand dieses Feuer weitergeben kann.»
Wer danach nicht genug hat, noch etwas Lektüre: Der Blick in die Medien: Reaktionen und Würdigungen