Wie Marco Wölfli mit seinem Sohn an der Hand durch die Interviewzone schlendert, hat etwas Beruhigendes. Nicht so wichtig, dieser Fussball. Läuft es auf dem Feld nicht, gibt es Entscheidenderes im Leben eines 35-Jährigen mit Nachwuchs. Nur: Wölfli braucht diese Ablenkung vom Fussball im Moment gar nicht. Denn den Young Boys läuft es vorzüglich.
Wenige Minuten vor dieser Szene hat YB das Spiel gegen den FC Sion 1:0 gewonnen. Die Berner führen die Super League nach 23 Runden mit elf Punkten Vorsprung an, wobei der FC Basel auf dem zweiten Rang ein Spiel weniger absolviert hat.
«Guillaume hat einfach s’Näsli.»
Seit diesem Jahr ist Wölfli wegen David von Ballmoos‘ Verletzung wieder die Nummer 1 im Berner Tor. Er gewann mit YB alle vier Spiele, musste zwei Gegentreffer hinnehmen und spielte zwei Mal zu Null; und das nach über vier Jahren auf der Bank. Wölfli hatte sich im Dezember 2013 gegen den FC Thun an der Achillessehne verletzt, verpasste die Weltmeisterschaft 2014 und war nach der Genesung hinter Yvon Mvogo nur noch die Nummer 2 bei YB.
Nicht einmal die Rolle als Cup-Goalie blieb ihm, dabei erlebte Wölfli in diesem Wettbewerb eines der emotionalsten Spiele seiner 16-jährigen Karriere: Im April 2009 spielten die Young Boys im Cup-Halbfinal gegen den FC Basel. Wölfli wehrte sich 120 Minuten lang erfolgreich gegen Marco Streller, Scott Chipperfield und Valentin Stocker und wurde im Elfmeterschiessen mit drei Paraden endgültig zum Held im ausverkauften Stade de Suisse.
Der Cup-Halbfinal 2009 in Bildern:
YB überstand die Hürde FC Basel und den bisher letzten Cup-Halbfinal der Clubgeschichte, scheiterte im Final aber am FC Sion. In der Meisterschaft standen die Young Boys am Ende zwar vor dem FC Basel, aber sechs Punkte hinter dem Meister FC Zürich. Kurz: Sowohl in der Liga als auch im Cup arbeitete YB weiter am Stempel des ewigen Zweiten. Ein Prädikat, für das Marco Wölfli wie kein Zweiter steht.
Doch damit könnte Schluss sein und Wölfli im Spätherbst seiner Karriere endlich einen Titel gewinnen. Oder zwei. In der Liga sieht es gut aus und im Cup braucht YB noch zwei Siege zum Titel. Am Dienstag (20.15 Uhr) spielen die Berner im Stade de Suisse den Halbfinal gegen den FC Basel.
Steve von Bergen hat vergessen, wie man Fehler macht
Angesichts des Rückstands auf die Berner scheint es für die Basler einfacher, den Cup zu gewinnen als die Meisterschaft. Oder wie es YB-Mittelfeldspieler Djibril Sow ausdrückt: «Der Druck ist definitiv nicht bei uns, sondern bei Basel.» Sow bildet zusammen mit Sékou Sanogo das zentrale Mittelfeld in Berns 4-4-2-Grundordnung und damit das fast unüberwindbare Herzstück. Das Duo ist etwas vom Besten, was es in der Super League gibt.
Dazu kommt, dass mit Kevin Mbabu ein rechter Abwehrspieler am Werk ist, der durch Tempo und präzise Flanken besticht. Miralem Sulejmani ist mit zehn Treffern bester Torschütze der Super League, und es gibt nur wenige, die sich derart oft zur Grundlinie durchspielen wie der Serbe. In der zentralen Abwehr überzeugt Kasim Nuhu mit seiner Physis und seiner Spielauslösung an der Seite von Steve von Bergen, der irgendwie vergessen hat, wie man Fehler macht.
Und ganz vorne ist Guillaume Hoarau nach einer Oberschenkelverletzung zurück. Der Franzose hat in den letzten vier Spielen sechs Tore erzielt, sein Mannschaftskollege Loris Benito sagt: «Guillaume hat einfach s’Näsli.» Im Spiel gegen Sion hat sich der Stürmer allerdings verletzt, nach dem entscheidenden Tor, das YB «drei dreckige Punkte» einbrachte, wie Trainer Adi Hütter sagt.
Gemäss Hütter ist Hoarau leicht angeschlagen. Über einen Einsatz will der Österreicher am Spieltag entscheiden, die offensive Schaffenskraft hängt allerdings nicht nur vom Franzosen ab. Allein Sulejmani (11), Jean-Pierre Nsame (11) und Roger Assalé (18) haben in dieser Spielzeit wettbewerbsübergreifend 40 Tore erzielt. In der Liga sind die 53 Tore der besten Offensive auf zwölf Spieler verteilt.
Vier Punkte haben die Berner in zwei Super-League-Partien gegen Basel gewonnen. Steve von Bergen sagt: «Wir sind ungeschlagen gegen den FCB, haben viel Selbstvertrauen und werden einfach unser Spiel spielen.»
Marco Wölfli, der Mann, der schon so lange dabei ist, sagt derweil nichts. Er hat seinen Sohn an der Hand. Es gibt eben auch vor einem Cup-Halbfinal Wichtigeres.
Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt
Laut Meteoschweiz erwartet Bern am Dienstagabend zwischen -8 und -10 Grad. Die Young Boys, die für die Partie 23’000 Tickets abgesetzt haben (Stand: Montag), empfehlen den Zuschauern sich entsprechend einzudecken: «Selbstverständlich dürfen Decken, Sitzkissen, Wärmepads etc. ins Stade de Suisse mitgenommen werden», schreibt der Verein in einer Medienmitteilung.
Für die Spieler sind die Temperaturen kein Problem. Steve von Bergen sagt zwar, «die ersten Sprints schmerzen etwas in den Lungen», ansonsten merke man aber im Spiel wenig, «der Motor ist dann schliesslich warm», sagt Loris Benito. Und für die Akteure auf der Bank haben die Young Boys gesorgt: «Wir haben Decken, dicke Jacken und dicke Schuhe, Bettflaschen und heissen Tee», sagt Christian Fassnacht nach dem Spiel gegen Sion, das er bis zu seiner Einwechslung auf der Bank verfolgte. (saw)
Der FCB – Cup-Schreck für die Young Boys
1941 sind sich der FC Basel und die Young Boys erstmals im Schweizer Cup begegnet. Es gab einen Basler 3:0-Heimsieg, und bis in die Gegenwart ging der FCB im K.o.-Wettbewerb in insgesamt 14 Auseinandersetzungen mit den Bernern zehn Mal als Gewinner hervor. 1959/60 setzte sich YB erstmals durch, damals noch in einem Wiederholungsspiel in Bern (5:3), nachdem die erste Partie in Basel 1:1 geendet war.
Zwischen 1962 und 1979/80 kam es zu sechs Cup-Duellen im Wankdorfstadion; die ersten vier gewann der FCB, ehe YB 1975/76 und 1979/80 das Blatt wenden konnte. 1988/89 und 1996/97 setzte sich der FCB jeweils daheim in zwei Achtelfinals durch.
Im neuen Jahrtausend wurde keines der drei Cup-Spiele in der regulären Spielzeit entscheiden. 2001/02 (Halbfinal) gewann der FCB im Joggeli mit 4:3 nach Penaltyschiessen, ein Jahr später hiess es im Viertelfinal in Bern nach Verlängerung 4:3 für den FCB, und das 3:2 nach Penaltyschiessen (0:0 n.V.) im Stade de Suisse war im Halbfinal von 2008/09 das letzte Aufeinandertreffen. Im Endspiel um den Schweizer Cup standen sich die beiden Klubs noch nie gegenüber. (cok)