Warum es passiert ist, kann man sich spontan nicht erklären. Hat sich da eine Hymne verirrt? War es eine schlichte Tonprobe? Jedenfalls schallt am Freitag, Marcel Koller hat die Medienrunde gerade beendet, die Champions-League-Melodie durch den menschenleeren St.-Jakob-Park.
Ein Zeichen? Wenn ja – für was? Für die Sehnsucht nach den unvergesslichen Nächten in der Champions League? Für die Basler Tristesse im europacuplosen Herbst 2018, dem ersten seit 17 Jahren?
Am Sonntag jedenfalls wird der FC Basel dort auftreten, wo am Mittwoch ganz hochoffiziell die Hymne von den Besten erklungen war. Bei der Premiere der Young Boys in der Champions League und dem unter dem Strich eindeutigen 0:3 gegen Manchester United. Ein Spiel, das eher im Zeichen von nüchternem Lehrgeldbezug denn unter der Erfüllung kühnster Berner Träume gestanden hatte.
In diesem Stade de Suisse von Bern wird nach drei Wochen Länderspielpause und Cup-Wochenende der Spielbetrieb in der Liga wieder aufgenommen. Mit YB, das eine makellose Weste von sechs Siegen aus sechs Spielen hat, und mit dem FCB, der unter Koller zwar noch kein Super-League-Spiel verlor, mit neun Längen jedoch schon bedrohlich zurückliegt.
Das Spitzenspiel des Schweizer Fussballs schlechthin der letzten Jahre wird ähnlich wie am Mittwoch vor prächtiger Kulisse stattfinden. 27’300 Tickets, davon 17’885 Dauerkarten, waren am Freitag weg, und es könnte gut sein, dass Bern dieses Kräftemessen zum dritten Mal in Folge ein ausverkauftes Haus (31’100) beschert.
Koller: «Zwölf Punkte würden sich nicht gut anfühlen»
Zum ersten Mal in jüngerer Vergangenheit sind bei diesem Gipfeltreffen die Rollen umgekehrt und eindeutig verteilt. «YB ist der Favorit», sagt Marcel Koller. Das musste ein Basler Trainer schon lange nicht mehr konstatieren. Nach jahrelanger Dominanz haben die Young Boys den Serienmeister, unter dem sie selbst so leiden mussten, überholt. Mit 15 Punkten Vorsprung auf Basel sind die Berner im Mai Meister geworden, und nun lautet die spannende Frage bereits vor der siebten Runde: Hängt YB den FCB schon wieder frühzeitig ab?
Bei einer Basler Niederlage wären es zwölf Punkte Rückstand auf YB. Eine Vorstellung, die Koller schulterzuckend und mit dem Hinweis auf verbleibende 29 Spiele quittiert. Mit einem Eingeständnis auch («Das würde sich sicher nicht gut anfühlen») sowie mit einer Haltung («Will nicht über eine Niederlage reden»), die man im Joggeli seit den Zeiten von Christian Gross in dieser Bestimmtheit nicht mehr vernommen hat.
Viel spricht für YB, wenig für den FCB
Alle Indikatoren sprechen für die Young Boys: Ihre breite Brust, ihr Selbstverständnis, ihr eingespieltes Team, das nicht jenen Aderlass hinnehmen musste, der prophezeit worden war, der gefährlichste Angriff, die beste Verteidigung. Für den FC Basel spricht: wenig.
Das 1:5 in Basel Anfang Mai, als das Meisterrennen bereits entschieden war, einmal ausgenommen, haben die Berner gegen Basel inklusive eines Cup-Halbfinals die letzten sieben Spiele gegen den FCB nicht verloren. Der letzte FCB-Sieg datiert vom 10. August 2016, ein 3:0 daheim nach Treffern von Luca Zuffi, Birkir Bjarnason und einem Eigentor.
Damals stellten die Basler unter Trainer Urs Fischer ihren eigenen Startrekord mit neun Siegen im ersten Saisonquartal aus der Saison 2003/04 ein. Ein Kunststück, das sich die Young Boys nun anschicken zu wiederholen.
Koller: «Haben Spieler, die YB Schmerzen bereiten können»
Es sei denn, die Basler selbst gebieten dem Berner Alleingang Einhalt. «Wir wollen Punkte mitnehmen aus Bern», sagt Koller, «aber dafür müssen wir unser Bestes abrufen. Auch wir haben Spieler mit individuellen Qualitäten, die YB Schmerzen bereiten können.»
Die zurückliegende Trainingswoche war die erste, in der Koller seit seinem Amtsantritt in Basel mit der Mannschaft vernünftig trainieren konnte – von fünf verletzten, potentiellen Stammspielern abgesehen (Omlin, Suchy, Stocker, Campo und Zambrano). Umstände, über die der Cheftrainer nicht jammern will.
Startelf macht sich fast von selbst
21 Feldspieler und drei Torhüter waren am Freitag auf dem Trainingsplatz beim FC Basel. Einer davon steht im Stade de Suisse nicht zur Verfügung: Taulant Xhaka ist nach der Gelb-Roten Karte gegen Thun gesperrt. Fünf weitere Spieler bevölkern die Reha-Abteilung: Torhüter Jonas Omlin, Marek Suchy, Valentin Stocker, Samuele Campo sowie Carlos Zambrano.
Eine mögliche Aufstellung macht sich mit einer Ausnahme fast selbst. Im Abwehrzentrum deuten die Trainingseindrücke auf das Duo Cömert/Balanta hin, auf dem linken Flügel wird Trainer Marcel Koller wohl zwischen Kevin Bua und Noah Okafor hin- und hergerissen sein:
Hansen – Widmer, Cömert, Balanta, Petretta – Serey Dié, Frei – van Wolfswinkel, Zuffi, Okafor (Bua) – Ajeti.
Intensiv ist gearbeitet worden auf dem Kunstrasen im Campus, eine Unterlage, zu deren Fans Koller nicht gehört («Bin ein Naturbursche»). Am Umschaltspiel wird gebüffelt, direkt kombiniert, kritisiert, korrigiert, die Zwischenräume erforscht – oder wie es Koller ausdrückt: «Wir versuchen, den Spielern unsere Idee vom Spiel einzuhämmern.»
Zwei Berner Serien sind beendet
Ob das schon reicht, den Young Boys nicht nur die Stirn zu bieten, sondern ihnen die erste Niederlage in der Super League beizubringen? Zwei Serien gingen für die Berner am Mittwoch schon zu Ende: Seit der 0:1-Heimniederlage gegen Dynamo Kiew in der Europa League, also seit dem 2. November 2017, hatte YB in 38 Spielen mindestens ein Tor erzielt. Und das 0:3 gegen Manchester war ausserdem die erste Niederlage im elften Pflichtspiel der Saison.
Am Berner Selbstvertrauen rütteln wird das wohl kaum. Und mit der Stringenz, der Entschlossenheit und dem Wettkampfglück auch, mit dem die Young Boys durch die ersten drei Monate der Saison marschiert sind, hat YB-Sportchef Christoph Spycher gut reden, wenn er betont: «Es ist nicht der Moment, Bilanz zu ziehen.» Am Sonntagabend wird man aber immerhin ein bisschen mehr wissen.
Am Samstag erscheint auf tageswoche.ch ein Interview mit YB-Sportchef Christoph Spycher.