Erstmals hat sich das Schweizer Frauennationalteam für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Trotzdem kämpfen Fussballerinnen noch immer um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Ein Überblick zu Hindernissen, Chancen und Veränderungen in der Frauenabteilung des grössten Mannschaftssports des Landes. Mittendrin: der Basler Verein Old Boys.
Ob das Mädchen weiss, wie exakt sie die Probleme des Frauenfussballs auf den Punkt bringt, ist nicht klar. Als ihr Trainer Roman Wipfli nach getaner Arbeit auf dem Feld die Einzahlungsscheine für den Jahresbeitrag verteilt, sagt die knapp Zwölfjährige: «Das Geld geht dann an die Junioren, damit sie sich neue Trikots kaufen können.» Das ist zwar nicht wortwörtlich die Realität. Richtig ist aber, dass es die Frauen- und Juniorinnenabteilungen schwer haben, zu ihren Rechten zu kommen und wahrgenommen zu werden.
Das beginnt bei den Jüngsten und zieht sich weiter bis zur Nationalmannschaft: Als Ana Maria Crnogorcevic während der Übertragung des WM-Spiels Italien gegen Costa Rica als Expertin im Fernsehstudio sass, kam sie nicht nur selten zu Wort; vor der anschliessenden Partie der Schweiz gegen Frankreich, dem Hauptakt des Tages aus Schweizer Sicht, wurde sie höflich verabschiedet. Die Analyse der 2:5-Niederlage der Schweizer gegen die Equipe Tricolore übernahmen ganz selbstverständlich die Herren Alain Sutter und Gilbert Gress.
Das junge Mädchen und die Nationalspielerin kämpfen mit dem gleichen Problem: Dem Frauenfussball fehlt die Anerkennung. Daran hat auch die beeindruckende Qualifikation des Nationalteams für die Weltmeisterschaft der Frauen 2015 vorerst nichts geändert. Sie wurde medial vermeldet, ging aber im Trubel um das Männerturnier in Brasilien unter. Zu unrecht, denn es ist das erste Mal, dass sich ein Schweizer Frauenteam für ein grosses Turnier qualifiziert hat – nachdem es für eine WM, EM oder für Olympische Spiele 22 Mal nicht gereicht hatte.
Die Ausbildung ist professioneller geworden
Dass die Schweizer Frauen im kommenden Jahr in Kanada erstmals WM-Partien bestreiten werden, deutet auf einen Aufschwung im Schweizer Frauenfussball hin. Für diesen gibt es mehrere Faktoren: «Die Ausbildung im Schweizerischen Fussballverband (SFV) wurde zunehmend intensiver, besser und professioneller», sagt Marco von Ah, Leiter Kommunikation des SFV. Er sieht einen wesentlichen Grund für die sportliche Hausse auch darin, dass es mehrere Spielerinnen «in ausländischen Ligen zu den besten Clubs geschafft haben und dort offensichtlich lernen, besser als in der Schweizer Liga mit Druck, Konkurrenzsituationen und einem hohen Spielrhythmus umzugehen.»
Ein weiterer, vor allem längerfristig wichtiger Faktor ist, dass es inzwischen Vereine gibt, die den Mädchen eine umfassende fussballerische Grundausbildung anbieten. Beispielsweise der Basler Verein BSC Old Boys, in dem das junge Mädchen mit dem Einzahlungsschein spielt. 2010 wurde auf der Schützenmatte die Idee geboren, die Juniorinnen bereits ab fünf Jahren zu schulen.
«Dass Mädchen nicht Fussball spielen können, hält sich hartnäckig in den Köpfen.»
Früher, sagt der ehemalige OB-Juniorinnentrainer Mattias Rhinisperger, seien die Mädchen gewöhnlich erst mit 14 oder 15 Jahren zum Fussball gestossen. Mittlerweile unterhält OB neben den beiden Frauenteams vier Altersklassen bei den Juniorinnen: von F- bis hin zu den B-Juniorinnen.
Die Ausbildung der Mädchen, so das Ziel des Basler Traditionsvereins, soll derjenigen der Buben angepasst werden. Roman Wipfli, der dem Mädchen den Einzahlungsschein verteilte, erklärt: «Wir müssen den Mädchen eine Entwicklung ermöglichen, damit sie technisch und spielerisch von Anfang an auf dem Niveau der Knaben sind.»
Es fehlen: Trainer und Plätze für die Mädchen
Die Anpassung an die männlichen Junioren kommt auch daher, dass die Mädchen erst bei den B-Juniorinnen in einer reinen Mädchenmeisterschaft antreten können. Vorher spielen die Juniorinnen in gemischten Meisterschaften, im Falle von OB sogar ausserordentlich erfolgreich: Turniersiege, Wintermeisterschaften und Vizemeisterschaften gehören zum Palmares der E-Juniorinnen – alles gegen Knabenmannschaften.
Rhinisperger, der inzwischen beim FCB als Juniorinnentrainer angeheuert hat, kennt die Gründe für diese Erfolge: Erstens seien die Mädchen in jungen Jahren den Knaben körperlich überlegen. Erst ab Pubertätsbeginn wendet sich dieser Vorteil zugunsten der Buben. Zweitens dürfen Mädchen ein Jahr länger in einer Altersklasse spielen als die Jungs. Und drittens zahle sich die gleiche Grundausbildung für Juniorinnen aus. Trotzdem: «Dass Mädchen nicht Fussball spielen können, hält sich hartnäckig in den Köpfen», sagt Rhinisperger, und fügt an, dass bei OB zu wenig Trainer für die vorhandenen Juniorinnen zur Verfügung stünden.
Die Nachfrage ist gross, bestätigt auch Wipfli, der nicht nur Trainer sondern auch Frauenchef bei OB ist: «Wir haben derart viele Anfragen, dass wir den Andrang mit der vorhandenen Infrastruktur und den uns zur Verfügung stehenden Trainern nicht bewältigen können. Kommt dazu, dass sich nur wenige Juniorentrainer für einen Wechsel zu den Mädchen motivieren lassen.» Für Wipfli, der im Waisenhaus Basel als Sozialpädagoge arbeitet, steht eine Lösung im Vordergrund: «Es bräuchte mehr Vereine, die sich dem Mädchenfussball annehmen. Die Last würde sich so auf mehrere Schultern verteilen.»
Abgesehen vom Luxusproblem, zu viele Juniorinnen zu haben, stellen sich der Mädchenabteilung der Old Boys weitere Schwierigkeiten. «Die Mädchen dringen in den Bereich des Knabenfussballs ein, wir brauchen Plätze für unsere Trainings», sagt Wipfli und fügt ernüchtert an: «Da werden die Jungs aber immer noch bevorzugt.»
Die Mädchen werden zentral ausgebildet
Überhaupt hinkt die fussballerische Ausbildung der Mädchen jener der Knaben weit hinterher. Bei den Jungs sind die Nachwuchsabteilungen der Clubs inzwischen derart gut geworden, dass sich der SFV dazu entschlossen hat, sein Ausbildungszentrum für die talentiertesten Knaben auf 2015 zu schliessen. Es wird schlicht nicht mehr gebraucht.
Bei den Mädchen dagegen ist ein Ende der zentralisierten Talentförderung nicht geplant. Erst vor einem Jahr ist die Ausbildungsstätte von Huttwil nach Biel verlegt worden. Hier trainieren unter der sportlichen Leitung von Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg «die landesweit besten Spielerinnen im Alter von 13 bis 17 Jahren», wie Marco von Ah vom SFV schildert.
Die FCB-Frauen wurden Cupsiegerinnen. Das Teamfoto durften sie aber nicht im St.-Jakob-Park machen.
In Sophie Herzogs Junorinnenzeit gab es noch keine zentrale Akademie. Für die inzwischen 21-jährige Spielerin des FC Basel war das aber kein Nachteil: «Es war für mich damals wichtiger, gegen die Jungs zu spielen und ich halte es auch heute noch für das Beste, sich mit den Knaben zu messen.»
Herzogs Stammclub, der FCB, bietet auch eine Juniorinnenausbildung, allerdings kann er nicht mit dem System der Old Boys mithalten. Zwar unterhalten die Rotblauen ein U18- sowie ein U16-Team und «schnappen den kleineren Vereinen jeweils die grössten Talente weg», wie OB-Trainer Wipfli vorwurfsvoll sagt. Der Altersbereich unter 16 Jahren allerdings existiert beim FCB nicht.
Beim FCB bleibt das Gewicht der Frauen gering
Das hat auch mit dem Stellenwert des Frauenfussballs innerhalb des Schweizer Branchenleaders im Männerfussball zu tun. Dieser ist nach wie vor gering. «Daran ändert auch der Gewinn des Schweizer Cups nichts», ist sich Beat Naldi sicher, für den der Cupfinal auch das Abschiedsspiel als Trainer FCB-Frauen war.
Immerhin: Nach dem grössten Erfolg in der fünfjährigen Geschichte der FCB-Frauen durfte sich Naldi «riesig darüber freuen», dass Vize-Präsident Adrian Knup im Stadion einer der ersten Gratulanten war. Naldi denkt aber gleichzeitig, dass dies nicht zu einer Aufwertung der Frauenabteilung führen wird: «Wir durften ja nicht einmal das Teamfoto im St.-Jakob-Park machen.»
Dem Frauenfussball mehr Kredit gibt gemäss eigenen Aussagen der Verband. Vorausblickend sagt Marco von Ah: «Spätestens zu Zeiten der WM im Juni 2015 wird das mediale und öffentliche Interesse für den Frauenfussball in der Schweiz wohl so gross sein wie noch nie zuvor.»