Der gefälschte Kampf: Ali vs. Marciano in «Super Fight»

Ketchup statt Blut und schlechte Toupets. 1970 spielte ein vorgetäuschter Boxkampf 2,5 Millionen Dollar ein. Eine Geschichte über Geldgier, Technikglaube und Rassismus.

Muhammad Ali, Rocky Marciano, The Super Fight, Boxen. (Bild: zVg)

Ketchup statt Blut und schlechte Toupets. 1970 spielte ein vorgetäuschter Boxkampf 2,5 Millionen Dollar ein. Eine Geschichte über Geldgier, Technikglaube und Rassismus.

Muhammad Ali konnte reden und swingen, wie er wollte: Sein Gegner zermalmte ihn. Während ein paar fieberhaften Monaten im Jahr 1967 verlor er seinen Titel im Schwergewicht, er wanderte ins ­Gefängnis, seine Boxlizenz wurde zerrissen. All das, weil er sich weigerte, freiwillig in die US-Army zu gehen. Ali beharrte darauf, dass er keinen Streit mit dem Vietkong habe – aber ein Grossteil des weissen Amerika hatte einen mit ihm, vor allem in den Südstaaten. Sie brüllten nach seinem Blut.

Dem Mann waren sein Titel, seine Freiheit und die Existenzgrundlage weggenommen worden. Und dann spuckte ihm eine Maschine ins Gesicht.

Es war Murry Woroner, ein kleiner, stämmiger Werbedirektor mit Haarausfall aus Miami, der unter den Ersten war, die begriffen, dass die sich ent­wickelnde Computertechnologie eine Lizenz zum Gelddrucken sein konnte. Während Alis Karriere für fast vier seiner besten Jahre als Boxer im Ödland feststeckte, schaltete Woroner vom ersten in den fünften Gang.

Ein Radioturnier mit zwölf Millionen Zuhörern

Seine Idee war einfach: ein im Radio ausgestrahltes Fantasie-Boxturnier, in dem der beste Schwergewichtsboxer ­aller Zeiten ermittelt werden sollte. Das alles mit einem besonderen Dreh: Die Resultate sollten von einem NCR-315-Computer berechnet werden, ausgestattet mit fünf Kilobyte hand­gebauten Speichers und der eisigen Sachlichkeit unerbittlicher Neutralität. Schnell hatte die Sendung zwölf Millionen Zuhörer.

Ein schmeichelhafter Artikel in der «Sports Illustrated» mit dem Titel «Und in dieser Ecke … NCR 315» begrüsste das Turnier 1968 als «einen der erstaunlichsten Marketingerfolge in der Geschichte des Radios».

9999 Dollar Honorar für die Verfilmung eines Fantasiekampfs.

Woroner, hiess es weiter, «schenkte via Computer und Radio unseren staunenden Ohren das Schwergewichtsturnier und den Titelkampf der besten Kämpfer ­aller Zeiten. Er reduzierte 16 heraus­ragende Boxer auf Schlüsselfähigkeiten, fütterte damit einen NCR-315-Computer und liess sie kämpfen; jene, die ohne Handschuhe gekämpft hatten, gegen jene mit Handschuhen, die Standhaften gegen die Tänzer, die Schnellen gegen die Toten. Aus den Computer-Berechnungen produzierte er atemlose Übertragungen, verkaufte die Bänder an 380 Radiostationen rund um die Welt und erklärte im ­letzten Dezember, nach 15 Qualifika­tionskämpfen, dass Computerboxer Nummer 004 (Rocky Marciano) den Computerkämpfer Nummer 002 (Jack Dempsey) in der 13. Runde des Finals ausgeknockt hatte.»

Bescheidenheit war nicht Woroners Stärke. «Wir könnten mehr als Sport machen», sagte er «Sports Il­lustrated», «viel mehr! Kriege! Hitlers Deutschland gegen das Römische Reich! Napoleon gegen Alexander den Grossen! Wie wäre es mit Wahlkämpfen? George Washington gegen Franklin Roosevelt! Abraham Lincoln gegen George Wallace! Und Streitgespräche? Sokrates gegen Karl Marx! Thoreau gegen Jean-Paul Sartre! Warum nicht? Warum nicht?»

Ali hatte alles verloren

Aber bevor Woroner jeden Pub-Streit der Weltgeschichte ausrechnen konnte, traf ihn Ali mit einer Verleumdungsklage über eine Million US-Dollar. Der NCR 315 hatte ausgerechnet, dass Ali in den Viertelfinals gegen Jim Jeffries verloren hatte – einen Boxer, den Ali abtat als «das unbeholfenste, langsamste Schwergewicht der Geschichte». Er schäumte vor Wut. Die Regierung hatte ihm den Titel gestohlen, und jetzt nahm ihm Woroner auch noch den guten Namen.


Ihm wollte Muhammad Ali nicht einmal in einer Computer-Berechnung unterlegen sein: Jim Jeffries im einzigen Kampf seiner Karriere, den er verlor – gegen Jack Johnson (nur sichtbar, wenn Sie online sind).

Weil es sich um Boxen handelte, wurde eine Einigung erreicht. Woroner bot Ali 9999 Dollar, um einen Fantasiekampf gegen Rocky Marciano, den legendären Schwergewichtler aus den frühen 50er-Jahren, zu filmen. Und Ali sagte zu. Er hatte weder Geld noch viele Optionen. «Ich war in der tiefgefrorenen Phase meines Exils und kein Tauwetter in Sicht», sollte er später in seiner Autobiografie zugeben. So wurde der «Super Fight» geboren.

Als Rocky Marciano Ali gegenübertrat, hatte er während 13 Jahren nicht mehr gekämpft. Er war 45, bekam eine Glatze und hatte einen schlechten Rücken. Der Ruhestand war seinem Portemonnaie besser bekommen als seinem Bauch: Die Energie, die er mit Frauen verbrannte, die nicht seine Ehegattin waren, konnte die Essgelage und das fehlende Training nicht aufwiegen.

Marciano brauchte Drähte, um Telefonkosten zu sparen

Auf anderen Feldern war Marciano nach seinem letzten Kampf gegen Archie Moore (1956) aktiv geblieben. Er war TV-Kommentator, machte Sponsoring und Geschäfte mit Restaurant­ketten, ihm gehörte eine Wurst­fabrik. Sogar Schiedsrichter im Wrestling war er. Er versuchte alles. Er küsste die Wangen von Mafiamitgliedern und machte Geschäfte mit Grossmäulern.

Marciano fürchtete immer einen Rückfall in die Armut seiner Kindheit. Aber drei Millionen Dollar Kampfbörse, eine fast schon krankhafte Gier und der Widerwille, für irgendetwas zu bezahlen, machten es unwahrscheinlich, dass das geschehen würde. Er benutzte sogar Drähte, um an öffentlichen Telefonen nicht bezahlen zu müssen.

Willie Pep, ein grosser Federgewichtler und Freund von Marciano, erzählte einmal, wie er versuchte, eine Runde zu bezahlen, während er, Rocky und ein paar Reiche in einem Nachtclub in Baltimore im Ausgang waren: «Ich dachte, ich würde die nächste Runde bezahlen. Aber dann sah ich, dass Rocky sich unter seinem Sitz wand. Als Nächstes spürte ich, wie er mich trat.»

Nachdem sich die beiden kurz entschuldigt hatten, erklärte ihm Marciano: «Ich werde kein Geld aus­geben, und ich will auch nicht, dass du Geld ausgibst. Mach nicht, dass ich schlecht aussehe, Willie.»

Von Geldgier getrieben

Sein Buchhalter Frank Saccone sagt: «Er hatte ein irres Verlangen nach Bargeld. Er griff in seine Tasche und zog Checks heraus, die ganz zerknittert waren. Ich sah, wie er Checks über 50 000 Dollar weg gab, solche über 100 000 Dollar. Er hat das nicht einmal mit Geld in Verbindung gebracht. Für ihn war ein Check einfach ein Stück Papier. Aber wenn er 40 000 Dollar in Zehn-Dollar-Noten hatte, gab es nichts auf der Welt, das ihn davon getrennt hätte. Er glaubte an grüne Scheine.»

Aber obwohl Kampfpromotoren ihn mit Millionen verheissenden Sirenengesängen in den Ring zurückrufen wollten, widerstand Marciano der Verlockung, die Handschuhe noch einmal anzuziehen. Sein Kampfrekord von 49 Siegen ohne Niederlage blieb makellos.

Trotzdem, er vermisste das Scheinwerferlicht, und er liebte das Risiko. Wohl deswegen fand die Idee eines Kampfes mit Ali bei ihm Anklang – zumal er wusste, dass die Würfel gezinkt waren. «Wenn du ein erfülltes Leben führen willst, dann lebe gefährlich», schrieb er in ein Notizbuch. «Champions sollten nie auf Sicherheit gehen, bloss ‹Jab and Move› ist keine Option.»

So subtil wie ein Vorschlaghammer

«Jab and Move» war kein Kampfstil, den Marciano je angewandt hätte. Der Mann war so subtil wie ein Vorschlag­hammer. «Seine Fussarbeit», schrieb Reporter Whitney Martin von ­Associated Press, «besteht daraus, in ­einer direkten Linie vorwärtszumarschieren, bis er in Schussdistanz ist.»

Archie Moore war ebenso direkt: «Rocky konnte nicht gut genug boxen, um überhaupt zu wissen, was eine Finte war. Er versuchte nie, deine Aktion vorauszuahnen. Er versuchte einfach stets, dich windelweich zu prügeln.»

Das war Marcianos Stil. Er war ein Schwergewicht von bescheidener Grös­se, knapp 1,80 Meter gross, mit 1,72 Metern Reichweite. Der kleinste aller Schwergewichts-Champions, der seine genetischen Nachteile mit spartanischer Härte gegen sich selbst wettmachte, mit einem eisernen Willen und einer als rechte Hand getarnten Abrissbirne, seiner «Suzie Q».

Sein linker Haken war fast ebenso zerstörerisch, und ein Sparringpartner sagte, von einem Marciano-Schlag getroffen zu werden, sei gleich hart, wie viermal von Joe Louis getroffen zu werden, der auch kein schlechter Puncher war.


Ein kleines Beispiel für Marcianos Kampfstil. Sein berühmter K.o. gegen Jersey Joe Walcott (nur sichtbar, wenn Sie online sind).

Pulitzer-Preisträger Red Smith nannte Marciano «den härtesten, stärksten, engagiertesten Kämpfer, der je Handschuhe getragen hat». Und fügte an: «Das Wort Angst kommt in seinem Wortschatz nicht vor und Schmerz hat keine Bedeutung.»

Don Turner, der mit Boxern wie Larry Holmes oder Evander Holyfield gearbeitet hatte, spricht immer noch mit Ehrfurcht von Marciano: «Mein erster Profi-Trainer war Charley Goldman (der Marciano trainierte, Red.)», sagt er, «wir haben die ganze Zeit über Marciano gesprochen. Er war so entschlossen wie kein anderer Kämpfer. Er kannte seine Schwächen und kompensierte sie, indem er härter arbeitete als alle Kämpfer, die je lebten.»

Wenn ein Boxer beginne, im Training zu mogeln, könne er kein Gros­ser werden, fügt Turner an: «Rocky hat nie im Training gemogelt. Wenn es je Probleme im Training gab, dann das, dass es schwierig war, Sparringpartner zu finden, weil Marciano so hart zuschlug. In den zehn Tagen vor einem Kampf nahm er nicht einmal einen ­Telefonanruf entgegen. So fokussiert war er.»

Champion der zweiten Garde

Die Zeit aber war nicht gnädig mit Marcianos Ruf. Er wird heute als Champion der zweiten Garde betrachtet. Zu klein, zu plump, zu einfach zu treffen. In seiner Zeit allerdings war er als einer der Gros­sen akzeptiert. Es half, dass er den amerikanischen Nachkriegstraum verkörperte: Wenn es ein eigentlich zu kleiner Sohn eines italienisch-amerikanischen Schuhmachers packte, dann konnte jeder es schaffen.

Im Juli 1969, dem Monat, in dem Neil Armstrong einen grossen Schritt für die Menschheit tat, traten Marciano und Ali in einen Boxkeller mit geschwärzten Wänden an der Nordseite von Miami. Sie boxten 70 Runden zu einer Minute.

Ein Computer sollteden Ausgang des Fights errechnen … Von wegen.

Angeblich wurden sie von Computern geleitet; Marionetten, die nach den Launen des NCR 315 schlugen und verteidigten. Wie das Fantasie-Turnier zwei Jahre zuvor sollte der Ausgang des Kampfes zwischen Marciano und Ali aufgrund der gesammelten Daten von 250 Boxexperten errechnet werden. Diese hatten – laut «Sports Illustrated» – die Kämpfer in 58 Fak­toren beurteilt: «Diese reichten vom ­Offensichtlichen (Geschwindigkeit, Anfälligkeit für Blutungen, Fähigkeit, eine Linke zu schlagen) bis zu Feinheiten (Killerinstinkt, Mut).» Mit diesen Daten wurde der Computer gefüttert, der brummte und puffte, bevor er das Resultat ausspuckte.

In Wirklichkeit eine Art Flaschendrehen

Das Magazin liess den Prozess präzise und aufschlussreich erscheinen. «Woroner oder LeBow interviewten ­jeden lebenden Boxer … mit Ausnahme von Gene Tunney, der es ablehnte, involviert zu werden», schrieb «Sports ­Illustrated», «aus all dem stellten sie eine Box-Enzyklopädie zusammen, wie sie noch niemand geschrieben hatte. Sie wussten, wie oft und wo jeder Kämpfer seinem Gegner einen Cut verpasst hatte, wo er selbst die meisten Cuts erlitten hatte, wie viele Schläge er pro Runde austeilte und welche Art von Schlägen, welches Muster und welches Tempo er bevorzugte, welche Schläge ihm am meisten zusetzten, wie viele Fouls er begangen hatte.»

In Wirklichkeit war es eine Art Flaschendrehen. Wie Ali später in seiner Autobiografie zugab, «war da kein Computer, der uns sagte, was wir zu tun hatten». Stattdessen arbeiteten sie im Ring, vermieden Kopftreffer und patschten einander vor allem gegen den Bauch.

Zwergenhafter Ganove aus Dick Tracy

Ein Speckpölsterchen lag auf Alis Bauch. Und seine Jabs hatten die Boshaftigkeit eines gut gefütterten Labradors. Marciano, der 20 Kilogramm abgenommen hatte, für den Fall, dass Ali sich Freiheiten herausnehmen sollte, war ernsthafter. Aber ein neues Toupet, von dem er dachte, dass es ihn gut frisiert und jugendlich aussehen liesse, drohte den merkwürdigen Anlass fast zum Slapstick verkommen zu lassen. Er sah aus wie ein zwergenhafter Ganove aus «Dick Tracy».

Einmal tauschten die zwei gerade Schläge aus, als Alis Jab Marcianos Hinterkopf berührte und dessen Toupet abräumte. «Schnitt!» brüllte Marciano, «pass auf das Stück auf!» Später fragte er Freunde: «Denkt ihr nicht, dass er es extra macht?» «Nein, Rocky», versicherten diese, «es war nur ein Unfall.» «Nun», sagte Rocky, «er sollte ab jetzt bei seinen Schlägen gut zielen.»

«Rocky verstand keinen Spass, wenn es um sein Haarteil ging», sagte Alis Trainer Angelo Dundee, «er hatte diesen Typen in New York, der seine Toupets machte. Ich erinnere mich daran, als er sein Erstes erhielt. Mingia! Es war schrecklich. Es sah aus wie eine tote Katze. Ich sagte: Rocky, pass auf. Das Ding könnte aufstehen und davonrennen.»

Leider schaffte es die Szene nicht in die endgültige Fassung des Filmes.

Nichts als ein grosses Theater

Das Schauspiel wirkt noch abstruser, wenn man weiss, dass das Blut, das aus Marcianos Wunden an Nase und Stirn floss, Ketchup war. Ali schrieb: «Mein Handschuh berührte nie seinen Kopf, sein Handschuh nie meinen … Der Promoter fragte mich, ob ich mir ein Ende ausdenken könne, und mir kam etwas in den Sinn, das benutzt wurde: Ich zeigte Rocky, wie er mich treffen sollte, und ich fiel, als wäre es echt. Wir hatten sieben verschiedene Enden – bei einigen war ich Gewinner, bei anderen Rocky. Einige Sequenzen waren so gut gespielt, dass sie ungeschnitten blieben.»

Ali hat recht, was die Knock-out-Szenen betrifft, die genug realistisch aussehen. Und es gibt Momente, in denen ein richtiger Kampf zu entstehen scheint. Vor allem in der Zwölften, als Ali mit einer Reihe von verspielten Stübern trifft, die einen schnaubenden Marciano ins Taumeln bringen. Die meiste Zeit jedoch war die Action liederlich und vergessenswert.

«Ich glaube, es war Marciano, der den ersten richtigen Schlag landete», sagte Woroner später, «sie hatten eine Weile lang Quatsch gemacht, als Marciano plötzlich einen Schlag in den Bauch ansetzte. Ali antwortete mit einem Schlag an den Kopf. Aber die Boxer respektierten einander und entschuldigten sich für diese Ausrutscher. Und danach sagte Ali, Marciano habe ihn überrascht.»

Gefälschter Kampf, echte Freundschaft

Ausserhalb des Rings entstand eine Freundschaft. Marciano, der schüchterne Weisse, der seinem Land im Zweiten Weltkrieg gedient hatte, und Ali, der kecke Afro-Amerikaner und Dienstverweigerer, merkten, dass sie bestens miteinander auskamen.

«Während des ganzen Täuschungsmanövers geschah etwas zwischen uns», schrieb Ali in einer Biografie, «ich fühle mich ihm näher als irgendeinem anderen weissen Boxer. Unsere Arbeit war eine Fälschung, aber unsere Freundschaft wurde echt. … Aber als das Ende der Täuschung nahte, war es klar, dass keiner von uns Schwergewichtsweltmeistern die Idee mochte, als Verlierer dargestellt zu werden – vor allem nicht in einem gespielten Kampf. Und wir waren beide genervt.»

Das Duo trennte sich trotzdem freundschaftlich. Einen Monat später war Marciano tot. Sein Kleinflugzeug zerschellte auf dem Weg von Chicago nach Des Moines an einem Eichenbaum in einem Kornfeld. Es war der Vorabend seines 46. Geburtstages.

«Dieser Computer ist kein Dummkopf»

Am 20. Januar 1970 wurde der ­«Super Fight» als einmalige Aufführung in 1000 Kinos in den USA gezeigt, dazu in 500 weiteren in Kanada, Mexiko und Europa. Der Ausgang des Kampfes war «strenger gehütet als das Gold in Fort Knox», wie das «Time Magazine» schrieb. Aber einige hatten die Zukunft im Wind erschnüffelt.

Arnold Davis, der Reporter des «Philadelphia Inquirer», sagte Ali: «Dieser Computer ist kein Dummkopf. Du willst dich nicht dem alten Bild des schwarzen Boxers unterwerfen, welches das weisse Amerika hat. Du willst dich nicht einmal der amerikanischen Armee unterwerfen. Du bist vom Ring ausgesperrt, der Titel wurde dir weg­genommen. Und dir gegenüber steht die echte weisse Hoffnung, der unbesiegte Schwergewichtsweltmeister der Nach-Joe-Louis-Tage … jeder in Amerika gebaute Computer mit etwas Selbstrespekt weiss, wie er das zusammenrechnen muss.»

«Es wird sich in Südafrika verdammt gut verkaufen»

Und Davis fügte an: «Weisst du, was sie wollen? Sie wollen sehen, wie dein Arsch in der Öffentlichkeit versohlt wird, k.o.-geschlagen, zerrissen, verprügelt, pulverisiert. Und das nicht von irgendjemandem, sondern von einem echten, grossen, weissen Hoffnungsträger. Marciano muss für uns fähig sein, dich in die Unterwerfung zu prügeln. Sie werden die alten Helden hervorgraben, um zu sagen, dass wir in den alten Tagen heissblütige, weisse Männer hatten, die mit solchen Niggern umgehen konnten. Ein weisser Geist gegen einen schwarzen Geist … Fantasie – aber viele Menschen leben in der Fantasie. Der Ausgang des Kampfes soll ein Geheimnis sein? Für wen? Marciano wird dich blutig schlagen. Und es wird sich verdammt gut verkaufen in Südafrika. Ganz zu schweigen von Indiana oder Alabama.»

Andere rochen das Resultat nicht bloss, sie kannten es bereits. Kurz bevor Marciano starb, drei Wochen nach dem Ende der Dreharbeiten, fragte ihn sein Bruder Peter: «Was denkst du, wie wirst du in diesem Kampf abschneiden?» «Ich gewinne in der 13. Runde», sagte Marciano mit einem Grinsen.

Ein fantasieloses Wiederkäuen von Rockys erstem WM-Kampf

Nach dem Flugzeugabsturz rief Peter Woroner an, weil er fürchtete, das Ende des Kampfes könnte abgeändert werden. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Das Resultat war exakt so, wie es ihm sein Bruder vorausgesagt hatte.

Während des «Kampfes» erlitt Marciano Wunden, ging zu Boden – und gewann den Kampf durch Knockout in der 13. Runde, nachdem er nach Punkten in Rückstand ­gelegen war. Es war ein wenig fantasievolles Wiederkäuen seines ersten Weltmeisterschafts­kampfs mit Jersey Joe Walcott.

Ali sah sich den Kampf in einem vollen Kino in Philadelphia an. Er sah, wie sich sein linker Arm in den Seilen festhielt, während Marciano den seinen im Triumph hob und der Computer sein Verdikt abgab: «Rocky Marciano gewinnt durch K. o. nach 57 Sekunden. Der Knock-out kam durch eine Kombination von zwei rechten und einem linken Haken. Muhammad Ali war mutig, konnte aber Marcianos letztem Angriff nicht standhalten. Ali konnte in dieser Runde keinen einzigen Schlag anbringen.»


Der «Super Fight» – immerhin der K.o. sieht passabel aus (nur sichtbar, wenn Sie online sind).

Ali spürte die Schande. «Ich sah mich selbst in den Seilen hängen, zerstört von Marciano in einem dieser künstlerischen Enden, die kaum ein Schauspieler so gut zustande gebracht hätte», schrieb er. «Aber einige Menschen dachten, es sei echt. Einige sassen mucksmäuschenstill, ein paar buhten, einige schrieen … Ich fühlte mich, als ob ich Millionen auf der ganzen Welt enttäuscht hätte. Ich fühlte mich dadurch beschämt, was ich getan hatte. Ich war durch das ganze Land gereist, um die ganze Serie als fair und echt zu bewerben – vor allem die Marciano vs. Ali Show.»

«Super Fight» spielte 2,5 Millionen Dollar an den Kinokassen ein.

Warum glaubten die Menschen den Betrug? Weil sie es glauben wollten. Aber es war auch eine Ära, in der die Menschheit nach den Sternen griff und Moonwalk eine Realität war und kein Tanzschritt. Wie weit die Technologie fortschreiten würde, war unsicher, die Grenzen des Machbaren waren unklar.

Nachdem der Film gezeigt worden war, bezeichnete Ali den «Super Fight» in der Dick Cavett Show als «Betrug» und eine «Hollywood-Fälschung». Er hatte recht. Trotzdem antwortete Woroner mit einer Zwei-Millionen-Dollar-­Klage. Er behauptete, ein anderer ­Computer-Kampf – dieses Mal mit ­Sugar Ray Robinson und dem Franzosen Marcel Cerdan – sei nicht zustande gekommen, weil Sugar Ray das Vertrauen in den Computer verloren habe.

Und der PC hat doch nicht recht

Es ging nicht lange, bis es allen ­anderen genauso ging. Im September 1970 sagte der NCR 315 voraus, Joe Frazier werde gegen Bob Foster eine Niederlage in der sechsten Runde er­leben. Niemand anderes tat dasselbe, weil Frazier weit schwerer war als sein Gegenüber und seinem Höhepunkt entgegenstrebte.

Der Kampf war komplett unausgeglichen. Frazier belauerte sein Opfer, bis er es mit einem linken Haken von einer derartigen Wucht traf, dass es Fosters Körper wie einen Kreisel drehte und seinen Knöchel verletzte, ehe er ihn nach 49 Sekunden in der zweiten Runde ausknockte.

Die Realität hatte die Fantasie überholt. Woroners Idee war geplatzt. Aber das Abenteuer machte aus ihm einen reichen Mann. 2,5 Millionen Dollar hatte der Film eingespielt. Ali wiederum war bereit, sein Exil zu verlassen und wieder in der Realität zu boxen.

Das letzte grosse Zeitalter des Schwergewichtsboxens zog herauf.

Quellen

Dieser Artikel erschien unter dem Titel «The forgotten story of … the Rocky Marciano v Muhammad Ali Super Fight» auf der Website des «Guardian».

Guardian News & Media Ltd. 2012; Übersetzung: Florian Raz

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.04.13

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