Bei Champions-League-Endspielen werden nicht nur Heldengeschichten geschrieben. Für den Österreicher Wolfgang Feiersinger war der Final 1997 mit Borussia Dortmund eine seiner bittersten Stunden.
Zwei Worte genügen. Und schon verfinstert sich die Miene von Wolfgang Feiersinger. Eben hatte er hoch über Kitzbühel noch schmunzelnd Anekdoten aus seiner Profizeit erzählt und sich über die neue, unselbstständige Fussballer-Generation lustig gemacht, aber kaum kommt die Rede auf die «Champions League» dann ist’s mit der guten Laune schlagartig vorbei. «Das ist das einzige Kapitel meiner Profikarriere, das mir heute noch extrem weh tut», sagt Feiersinger.
1997 hätte das grosse Jahr des österreichischen Defensivspielers werden sollen. Feiersinger hatte sich zur Stammkraft bei Borussia Dortmund hochgedient, er war beliebt bei Fans und Kollegen, er war mittendrin, als der damalige deutsche Meister durch die Gruppen- und K.o.-Phase der Champions League stürmte. Niemand zweifelte am Einsatz des Österreichers im Endspiel gegen Juventus, Feiersinger war für das Finale in München gesetzt.
Platz war nur auf der Tribüne
Deshalb hatte sich der Salzburger auch nichts weiter gedacht, als er am Matchtag von Ottmar Hitzfeld ins Trainerzimmer bestellt wurde. «Ich habe eigentlich gemeint, es ginge um die letzten taktischen Anweisungen», erinnert sich Feiersinger, «aber dann sagt mir Hitzfeld, dass er sich anders entschieden hat. Dass statt mir der Sammer spielt.»
Matthias Sammer, heute Sportdirektor bei Bayern München, war damals so etwas wie der Mister Borussia. Mit Deutschland war er 1996 Europameister geworden, er war respektiert wie gefürchtet gleichermassen. Allerdings hatte die Dortmunder Führungsfigur vor dem 97er Endspiel wegen einer Verletzung mehrere Wochen lang nicht gespielt.
«Ich habe ins Gras beissen müssen, weil Sammer damals der gewichtigste Spieler in Deutschland war», glaubt Feiersinger. Im Gespräch mit Hitzfeld erhielt er gleich noch eine weitere Hiobsbotschaft. «Ich durfte nicht einmal auf der Bank sitzen, weil damals noch nicht so viele Reservespieler wie heute erlaubt waren», erklärt der Salzburger, «das war dann überhaupt die Oberwatsch’n. Unten am Spielfeld hast du zumindest das Gefühl, dass du ein Teil der Mannschaft bist und irgendwie dazu gehörst, aber oben auf der Tribüne kommst du dir völlig unnütz vor.»
Neben den Schuhen
Wolfgang Feiersinger erlebte auf den Zuschauerrängen, wie die Dortmunder VIPs und Fans um ihn herum jubelten, als Lars Ricken der Borussia den Champions-League-Triumph bescherte, aber ihm selbst war nicht wirklich zum Feiern zumute. «In dem Moment konnte ich mich nicht freuen», erzählt er, «ich bin an dem Tag völlig neben den Schuhen gestanden.»
Auch das Lob der Mitspieler und der Dank von Trainer Hitzfeld konnten seine Enttäuschung nicht lindern. «Ich habe das damals als grosse menschliche Ungerechtigkeit empfunden.» Es war nur ein schwacher Trost, dass Feiersinger ein halbes Jahr später dabei war, als Dortmund auch noch den Weltpokal gewinnen konnte und sich Ottmar Hitzfeld mehrmals bei ihm entschuldigte. «Was nützt es mir, dass Hitzfeld mir später gesagt hat, dass es die schwierigste Entscheidung seiner Trainerkarriere war?»
Die Enttäuschung im Champions League-Finale ist aber nicht der Grund, wieso sich Wolfgang Feiersinger in die Natur zurückgezogen hat und vom Profifussball nichts mehr wissen will. Der ehemals beste Fussballer Österreichs, 46-facher Nationalspieler für sein Land, arbeitet heute als Almwirt. Seit mehreren Jahren bewirtschaftet der 48-Jährige die Hochwildalm in Aurach bei Kitzbühel, eine herzige Holzhütte in knapp 1600 Metern Seehöhe.
Der Naturbursche Feiersinger
Die Eier kommen von den eigenen Hühnern, das Bier wird im Brunnen gekühlt, es gibt Bergkäse, Tilsiter und selbst gemachtes Bauernbrot. Feiersinger ist Koch und Kellner in Personalunion. Die Zeiten der teuren Autos und schicken Designer-Outfits sind vorbei, der Österreicher, der einst als Polizeigendarm ausgebildet wurde, empfängt die Gäste in der traditionellen Tiroler Lederhose.«Ich war immer schon ein bodenständiger Typ», sagt der austrainierte 48-Jährige, der locker als Mitdreissiger durchgehen würde, «ich bin in der Freizeit auch nur in den Bergen unterwegs.»
Der Kontakt zu den meisten seiner ehemaligen Kollegen ist abgebrochen, «viele verstehen auch nicht, was ich mache. Die wären hier völlig überfordert», glaubt Feiersinger. Sein Ex-Dortmund-Mitspieler Andreas Möller kann das nur bestätigen. Er war der einzige Teamkollege, der sich je auf die Hochwildalm verirrt hat. «Ich war richtig geschockt, wie ich das gesehen habe, was er macht», erzählt Möller, «aber er war schon immer so.»
Satt vom Fussball
Viele der Gäste auf der Hochwildalm wissen oft gar nicht, von wem sie bewirtet werden. Eines ist Feiersinger allerdings aufgefallen. «Ich geniesse beim deutschen Gast einen anderen Stellenwert als bei uns in Österreich. Aber wahrscheinlich bin ich auch selbst daran schuld, weil ich mich nie so in den Mittelpunkt gestellt habe, wie einige andere.»
Unweigerlich kommt die Sprache auf den österreichischen Exzentriker Marko Arnautovic, der 2010 als Kaderspieler von Inter Mailand ebenfalls die Champions League gewonnen hat. In Österreich geniesst das Enfant Terrible Kultstatus, kaum eine Woche vergeht, in der ihm die Gazetten nicht Schlagzeilen und Coverstorys widmen.
Die Tochter: Im Trikot der Bayern
«Scheinbar ist es heute in unserer Gesellschaft besser, wenn einer einen Vogel hat. Der kommt offenbar besser an als ein zurückhaltender, bodenständiger Typ», wundert sich Wolfgang Feiersinger. «Mir gefällt diese Entwicklung nicht. Deshalb bin ich ein wenig satt vom Fussball.»
Das Champions League-Endspiel seines Ex-Clubs wird er trotzdem verfolgen. Und dabei wird der Haussegen beim Hüttenwirt wohl schief hängen. Denn während Wolfgang Feiersingers Sympathien nach wie vor der Borussia gelten, kann Tochter Laura mit Schwarz-Gelb wenig anfangen. Sie spielt in der Frauen-Bundesligamannschaft des FC Bayern.
Noch einer, der damals im Anzug auf der Tribüne sass: Knut Reinhardt im Interview mit «11Freunde».