Vor einem Jahr war Roger Federer am US Open nur noch ein Schatten seiner selbst. Stanislas Wawrinka dagegen begeisterte mit seinem Vorstoss in die Halbfinals. Vor Start des Turniers von 2014 sind die Vorzeichen genau umgekehrt.
Viel Ärger und Verdruss hatte ihm die Saison 2013 schon bereitet: Das Zweitrunden-Aus in Wimbledon, eine panische und manchmal fast peinliche Sommertour über Europas Sandplätze, der Sturz in der Weltrangliste aus den Top 5.
Doch der Höhepunkt der Roger-Federer-Krise sollte erst noch folgen, an einem trüben, verregneten New Yorker Grand-Slam-Montag, an dem er im Louis-Armstrong-Stadion gegen den alten spanischen Weggefährten Tommy Robredo verlor, einen Mann, gegen den er vorher eine makellose 10:0-Siegbilanz besessen hatte.
«Ist das noch Roger Federer», fragte sich damals rhetorisch die «New York Post» in ihrer Matchbetrachtung und wähnte sich in einem «völlig falschen Tennis-Film.» Und Federer? Er wirkte ratlos, wenn auch nicht verbittert. «Das war Selbstzerstörung. 43 Fehler – das ist zu viel», sagte er. Und ergänzte: «Das ist die Story meines Lebens. Wenn ich verliere, sind die Leute schockiert, mich so spielen zu sehen.»
Der taumelnde Federer scheint Geschichte
Heute kommt einem die ganze Sache fast ein wenig spanisch vor, leicht surreal. Denn der taumelnde, strauchelnde, auch sportlich stürzende Federer ist längst wieder Geschichte, die Kapriolen des Jahres 2013 sind in seiner Karriere nur eine Fussnote geblieben.
Wenn er sich nun zum Kampf beim letzten Grand Slam-Wettbewerb der Saison stellt, dann wieder in einer erhabeneren Rolle. In der des zweiten grossen Titelfavoriten neben Novak Djokovic. In der Rolle eines Spielers, der mit frischem Pokal-Lorbeer aus Cincinnati und gestärktem Selbstvertrauen ans US-Open-Handwerk geht.
Schon freut sich New York auf eine möglichst emotionale und auch erfolgreiche Grand-Slam-Mission des ewigen Publikumslieblings, der vermutlich die meisten seiner Duelle unter den gleissenden Scheinwerfern der Arthur Ashe-Arena bestreiten wird – als erklärter und von den PR-Strategen gern so beworbener «König der Nacht». 23 von 24 Spielen hat er in den Abendshows gewonnen, mehr Siege sollen folgen.
«Die Vorfreude auf das Turnier ist gross», sagt Federer, «im letzten Jahr gab es Zweifel, Unsicherheiten, Probleme. Nun kann ich völlig befreit aufspielen.» Federer eröffnet seine US Open-Kampagne gegen den hitzigen Serben Marinko Matosevic.
Wawrinka kämpfte oft mehr mit sich als mit seinem Gegner
Aus Schweizer Sicht gehörte die US Open-Bühne im letzten Jahr ganz eindeutig Stanislas Wawrinka. Sein Siegeslauf bis hinein in ein dramatisches Fünf-Satz-Halbfinale gegen Novak Djokovic legte auch schon das Fundament für den historischen Titelcoup ein knappes halbes Jahr später in Melbourne an den Australian Open.
Stanislas Wawrinka hadert mit sich und seinem Spiel, Cinciccati, 12. August 2014. (Bild: Mark Zerof-USA TODAY Sports)
Inzwischen hat sich die Wahrnehmung und Hierarchie der beiden führenden Schweizer Professionals allerdings wieder gedreht – Gipfelstürmer Wawrinka ist in der Weltrangliste wieder einen Platz hinter Federer platziert (3 und 4). Auch, weil er sich noch immer nicht so ganz zurechtfindet in seiner neuen Tennis-Welt der vielen Termine und Verpflichtungen.
Oft hat man Wawrinka in den letzten Monaten mehr gegen sich selbst als gegen seine Gegner kämpfen sehen, nicht zuletzt bei den Davis-Cup-Auftritten in der Heimat und bei einigen grossen Turnier-Terminen. Auch der Sommer machte wenig Mut. Erst gab es eine lange Pause, die wegen körperliche Probleme noch verlängert wurde. Und dann zwei Masters-Auftritte ohne Glanz und Gloria.
Wawrinka wirkt wie der Federer des Vorjahres
In seinem ganzen Wesen erinnert Wawrinka fast ein wenig an Federer vor einem Jahr: ohne richtigen Halt, ohne Gewissheiten, ohne grosse Zuversicht. Die Achterbahn-Fahrt, die Wawrinka zuletzt in Cincinnati gegen den Franzosen Julien Benneteau erlebte, ein 6:1 gewonnener Auftaktsatz, schliesslich aber eine 6:1, 1:6, 2:6-Niederlage, wirkte symptomatisch.
«Mir fehlen im Moment einfach die Stabilität und Konstanz», sagt Wawrinka, der zum Auftakt gegen den talentierten Tschechen Jiri Vesely antritt. Eins wenigstens hat die jüngst doch maue Arbeitsstatistik bewirkt: Grosser Erwartungsdruck liegt nicht auf dem Weltranglisten-Vierten, der sich 2013 mit seinen couragierten Auftritten in die Herzen der New Yorker spielte. Alles werde er daran setzen, sagt Wawrinka, «um hier mit einem richtig guten Ergebnis die Grand Slam-Saison zu beenden».
Ein strahlendes Comeback in New York? Warum nicht. Und ein Schweizer Duell gäbe es zum Glück und im allerschönsten Fall auch erst im Endspiel.
Das Arthur Ashe Stadium von aussen. Hier werden Federer und Wawrinka die meisten ihrer Spiele absolvieren. (Bild: AP Photo/Matt Rourke)