Die Schweizer Fussballer erfüllen mit einer starken ersten Halbzeit, mit zwei frühen Toren und schliesslich mit einem 3:0-Sieg gegen Estland eine Pflichtaufgabe in der Qualifikation zur Euro 2016. In Luzern ragt Xherdan Shaqiri als Wegbereiter zu allen drei Toren heraus.
Wie schon im November gegen Litauen war auch das zweite baltische Heimspiel der Schweiz in dieser EM-Ausscheidung eine Pflichtaufgabe, in der alles andere als ein sicherer Sieg gleichsam unter Par gewesen wäre. Und wie gegen die Litauer im letzten Spiel des alten erledigten die Schweizer auch gegen Estland im ersten Match des neuen Jahres diesen Auftrag mit der Stilsicherheit einer Mannschaft, die sich nach Anlaufschwierigkeiten unter dem neuen Nationalcoach gefunden hat.
Einen Unterschied allerdings gibt es: Gegen die Litauer in St. Gallen brauchten die Schweizer eine Anlaufzeit, die die Nerven beanspruchte und die daran erinnerte, dass sie zuvor in Slowenien eine 90-minütige Überlegenheit nicht zu einem Punktgewinn hatten nutzen können. Aber dann erlöste das 1:0 in der 66. Minute die Mannschaft, am Ende stand ein 4:0.
In Luzern gegen die Esten wars umgekehrt. Die Schweizer begannen nicht nur überlegen und entschlossen, sie gingen auch schon beruhigend früh in Führung. Bereits nach einer guten Viertelstunde nutzte der grosse Skorer unter den Schweizer Verteidigern, Fabian Schär, im Anschluss an einen Eckball einen Flankenball Xherdan Shaqiris mit dem Kopf. Und die erste halbe Stunde war noch nicht vorbei, da hatte Granit Xhaka mit einem Klasseschuss aus gut 20 Metern das 2:0 erzielt, das für einen Gegner wie diese Esten eine unüberwindbare Hürde sein musste.
Die Schweizer haben alles im Griff
Nach der ersten Halbzeit lautete das Zwischenfazit: Die Schweizer hatten alles im Griff, mit einer disziplinierten Abwehr, einem praktisch in einem Rhombus angeordneten Mittelfeld und mit zwei klaren Sturmspitzen, mit Haris Seferovic und Josip Drmic. Das war eine leicht modifizierte Anordnung von Petkovics Mannschaft, die damit aber auf die individuellen Fähigkeiten des Personals ausgerichtet war.
Es war jedenfalls nicht zu übersehen, dass in dieser Schweizer Auswahl sehr viele gute Offensivspieler stehen, ergänzt durch einen als «Achter» wirkenden Mittelfeldspieler wie Granit Xhaka, der längst von gehobener internationaler Klasse ist.
Ohne Shaqiri geht es nicht
Was gleich blieb: Ohne die Ideen und die individuelle Qualität Shaqiris geht es nicht. Er war, als offensivster Mann im Rhombus, an allen drei Toren mit dem letzten Pass beteiligt; er war vor allem in der Anfangsphase die treibende Kraft, zusammen mit Stephan Lichtsteiner, dem Rechtsverteidiger. Dass Shaqiri vor allem in dieser Zeit die rechte Flanke bevorzugte, war offensichtlich. Das führte dazu, dass der offensiv eigentlich auch sehr taugliche Linksverteidiger Ricardo Rodriguez lange Zeit ungewohnt wenig im Spiel war. Aber bedenklich war das insofern nicht, als die Schweiz den Match kaum mehr hätte dominieren können und ja auch zwei Tore schoss.
Gegen die kämpferisch und mit einer Fünferabwehr sehr vorsichtig eingestellten Esten war die Begegnung also sehr schnell in die richtigen Bahnen gelenkt, obwohl die beiden Schweizer Stürmer nicht so auftrumpften wie erhofft – weder Seferovic noch Drmic. Die Schweiz hatte einfach zu viel Gewicht auch aus der zweiten oder dritten Reihe, um die Esten unter Druck zu setzen. Und die sind in dieser Verfassung nicht mal ein ernsthafter Kandidat auf Playoff-Platz 3 in dieser Gruppe.
Der beschäftigungslos Yann Sommer
In der zweiten Halbzeit waren die Balten zwar offensiv etwas mehr zu sehen. Die Schweizer wirkten nun im Angriff nicht mehr annähernd so überzeugend und entschlossen wie vorher. Aber es kam doch nie so weit, dass Torhüter Yann Sommer einer auch nur halbwegs ernsthaften Prüfung unterzogen worden wäre. Nur einmal waren die Esten nahe dran, als ihr Mittelfeldspieler Konstantin Vassiljev aus grösserer Entfernung hart, aber knapp am Lattenkreuz vorbei schoss.
(Bild: Screenshot uefa.com)
Die Schweizer zogen es mit dem 2:0 im Rücken vor, das Spiel so unter Kontrolle zu halten, dass sie nie in Gefahr geraten würden. Man kann auch anmerken, dass es doch wünschenswert gewesen, sie hätten diesen drittklassigen Gegner weiterhin mehr unter Druck gesetzt und zu Fehlern gezwungen.
Es entstanden nun Längen und schwächere Phasen im Spiel, aber es gab doch keinen Moment, in dem die Schweizer vom geraden Weg zu ihrem Tagesziel abzukommen drohten. Es gab nun zwar weniger Offensivszenen, aber es wurde aus einer starken ersten Halbzeit einfach eine solide und unspektakuläre zweite.
Schärs fünftes Tor im elften Spiel
Trainer Petkovic konnte feststellen, eine Abwehr zu haben, die ihren Auftrag makellos erfüllte, dank ihren Aussen- ebenso wie ihren Innenverteidigern. Es war beruhigend zu sehen, dass selbst das ab und zu zu Fehlern neigende Duo Fabian Schär/Johan Djourou in dieser Beziehung keinerlei Schwächen zeigte. Schärs Bilanz ist sowieso eindrücklich – fünf Tore in elf Länderspielen, das ist der bessere Schnitt, als ihn Rekordspieler Alex Frei erreichte, mit einem Tor in jedem zweiten Spiel.
Auch das Mittelfeld passte in dieser Anordnung nicht schlecht, obwohl Valon Behrami zurzeit nicht die Form seiner besten Tage ausspielt und Gökhan Inler nicht mehr der Grossmeister des Vertikalpasses wird. Dafür ist Xhaka mittlerweile ein Schwergewicht.
Und das Duo Seferovic/Drmic hat Reserven. Natürlich gibt es, zumal für Auswärtsspiele, weiterhin auch taktische Lösungen, für die es nicht gleich beide braucht. Für ein Spiel wie dieses war die Anordnung mit einem Zweiersturm aber die richtige Wahl.
Petkovic: «Müssen uns besseren Platz suchen»
Petkovic war mit dem Resultat dann auch zufrieden, weniger allerdings mit dem schlechten Platz, dessen Holprigkeit auch von den Spielern bemängelt wurde. «Wir müssen uns einen besseren Platz suchen», sagte Petkovic. Fürs nächste Spiel gilt das allerdings nicht, denn im Juni in Litauen wird auf Kunstrasen gespielt.
Gratulation des Trainers an den Vorarbeiter: Vladimir Petkovic und Xherdan Shaqiri. (Bild: Reuters/RUBEN SPRICH)
Einen soliden Match abgeliefert zu haben, war auch der Tenor unter den Spielern. Die Schweiz hat binnen relativ kurzer Zeit auch in dieser Ausscheidung eine Stabilität erreicht, die – gepaart mit den individuellen Qualitäten in der Offensive – den Gesamteindruck bestätigte: Sie ist in dieser Gruppe ein sicherer Kandidat für eine direkte Qualifikation und wohl nur deshalb (noch) hinter England einzustufen, weil sie das Startspiel gegen die Briten verloren hat. Doch wie sagte Estlands Trainer Magnus Pehrsson in Luzern: «Die Schweiz bewegt sich für mich auf dem Niveau von England.»
Noch ist erst die Hälfte gespielt, noch müssen die Schweizer die Slowenen aus dem Weg schaffen. Aber die Qualität dafür, individuell wie kollektiv, haben sie.
Schweiz–Estland 3:0 (2:0)
Swissporarena, Luzern. – 14’500 Zuschauer (ausverkauf). – SR Makkelie (Ho).
Tore: 17. Schär (Shaqiri) 1:0. 27. Xhaka (Shaqiri) 2:0. 80. Seferovic (Shaqiri) 3:0.
Schweiz: Sommer; Lichtsteiner (78. Widmer), Schär, Djourou, Rodriguez; Behrami, Inler, Xhaka (87. Frei); Shaqiri; Seferovic, Drmic (62. Stocker).
Estland: Pareiko; Teniste, Jääger, Klavan, Mets, Kallaste; Wassiljew, Dimitrijew (62. Kruglow), Antonow; Senjow (87. Alliku), Anier (56. Ojamaa).
Bemerkungen: Schweiz ohne Senderos (verletzt). – Verwarnungen: 44. Senjow (Foul). 51. Dimitrijew (Unsportlichkeit). 56. Xhaka (Foul).