Der Leichtgewicht-Vierer Gyr, Niepmann, Schürch, Tamèr gewinnt das zweite Schweizer Olympia-Gold – 20 Jahre nach dem letzten Ruder-Olympiasieg von Xeno Müller und vier Jahre nach dem Riesenfrust von London. Es ist eine bewegte Geschichte, die in Rio mit dem Happy End auch ihren Schlusspunkt gefunden haben dürfte.
Schweizer Jubel in Rio: Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann und Mario Gyr.
(Bild: Keystone/LUCA BRUNO)Die Erschöpfung, die Befreiung, der Triumph: Der Schweizer Leichtgewicht-Vierer, Erster in Rio.
(Bild: Reuters/CARLOS BARRIA)Die Nationalhymne bei der Medaillen-Übergabe.
(Bild: Reuters/CARLOS BARRIA)Dekoriert: Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann und Mario Gyr.
(Bild: Reuters/GONZALO FUENTES)Die Zieleinfahrt.
(Bild: Keystone/DIEGO AZUBEL)Die letzten Meter zu Gold: Der Schweizer Leichtgewicht-Vierer.
(Bild: Keystone/FRANCK ROBICHON)Die Schweizer jubeln, die viertplatzierten Italiener sind geschlagen.
(Bild: Keystone/LAURENT GILLIERON)Posen fürs Sportalbum: Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann und Mario Gyr.
(Bild: Keystone/LUCA BRUNO)Jubel an Land.
(Bild: Reuters/MURAD SEZER)Erschöpft und realisierend, was geschafft wurde: Simon Niepmann nach dem Rennen.
(Bild: Keystone/LAURENT GILLIERON)Da war zuerst einmal die totale Leere nach 6 Minuten 20 Sekunden und 51 Hundertstel Verausgabung. Schlag für Schlag volle Kraft, totale Konzentration und das Denken nur bis zur Ziellinie – das war vorüber. Doch was folgte nun? Rasch trat die Freude ins Zentrum. Siegerposen, ein sich in die Arme fallen, ein Bein ins verschmutzte Wasser halten. Das Quartett Mario Gyr, Simon Niepmann, Simon Schürch und Lucas Tramèr hatte realisiert, wofür es an diese Olympischen Spiele gekommen war: den Titelgewinn.
«Das hat ewig gedauert», erklärte der Deutschbasler Simon Niepmann, nach der Blumenzeremonie und nachdem er zu realisieren begann, was da gerade erreicht worden war. Durchziehen, die Spitzenposition verteidigen hiess das. Nach 750 Metern hatte das mitfavorisierte Schweizer Quartett die Führung übernommen. «Unsere Taktik ging auf», so Niemann.
Die Goldfahrt des Schweizer Leichtgewicht-Vierers – mit einem Klick aufs Bild geht es zum SRF-Video:
In der Teambesprechung vor dem Rennen, auf das sie alle mit voller Konsequenz und viel Verzicht hingearbeitet hatten, nahmen sie sich vor, nach drei Achteln der Distanz die Schlagzahl zu erhöhen und die Widersacher allmählich zu distanzieren. «Bomb» hatte das erste Codewort geheissen. Das zweite, «Schlag», folgte 500 Meter später. Es war als «Goldcall» definiert gewesen.
Am Ende der 2000-Meter-Strecke betrug der Abstand zum Silbermedaillengewinner Dänemark 1,48 Sekunden. «Die zweite Streckenhälfte war zwar für jeden von uns extrem hart, war schmerzhaft, aber wenn du vorne ruderst, tritt dies in den Hintergrund», sagt Niepmann. Da lief Eingeübtes ab, trat Verinnerlichtes ins Zentrum. Auf den «langen Schlag halten» waren die Gedanken gerichtet. Und als der Triumph feststand, war Niepmann sofort klar: «Für diesen Augenblick gibst du alles, dies ist die Krönung unserer gemeinsamen Arbeit, für jeden als Individuum.»
Die bewegte Geschichte des Erfolgsquartetts
Um die Emotionen und die Bedeutung dieser Goldfahrt zu verstehen, ist ein Blick zurück nötig. Die Geschichte des Aushängebootes des Schweizer Rudersports ist eine lange und eine bewegte. Sie begann vor den Olympischen Spielen von London und endete 2012 mit einem Scheitern. Schon vor vier Jahren in London steuerte das Quartett im Olympia-Final eine Medaille an. Doch es musste sich mit dem fünften Rang abfinden. Eine Riesenenttäuschung.
Die Energie für einen Neuanlauf war danach lange Zeit nicht vorhanden. Grundsätzliche Überlegungen standen an, etwa: «Sollen wir diesen Riesenaufwand nochmals auf uns nehmen?» Schliesslich fehlte es bei keinem an anderen Prioritäten: dem Studienabschluss und Berufseinstieg als Anwalt bei Gyr, dem Sport beim Basler Niepmann, der Wirtschaft bei Schürch und dem Medizinstudium bei Tramèr, der wie Niepmann dem Basler Ruder-Club angehört. Oder einfach dem Privatleben.
Los liess sie das Rudern nicht. Anfang 2013 begannen Niepmann, Tramèr, Gyr und Schürch wieder zu trainieren – aber in zwei Equipen. Gyr und Schürch als Leichtgewichts-Doppelzweier, Niepmann und Tramèr als Leichtgewichts-Zweier, eine nicht olympischen Bootsklasse. Beide Paare waren sehr erfolgreich: Niepmann/Tramèr als Welt- und Europameister, Gyr/Schürch als WM-Zweite und EM-Dritte.
Die Wiedervereinigung kostete viel Überzeugungskraft
Der Weg zur Wiedervereinigung war damit noch nicht geebnet. Niepmann/Tramèr zeigten sich sofort motiviert, weil es für sie die einzige Möglichkeit bot, nochmals zu Olympia zu kommen. Gyr/Schürch aber hatten als Duo geschafft, was als Vierer vorher nie geglückt war: Medaillengewinne. Sie von ihrem Erfolgsweg abzubringen und nochmals für ein Vierer-Projekt zu begeistern, erforderte viel Zeit und Überzeugungskraft. Begleitet wurde er von offenen Konflikten und einem erzwungenen Trainerwechsel.
Anfang 2015 kam es zur Wiedervereinigung. Der neue Nationalcoach Ian Wright verstand es, Gyr/Schürch vom Sinn des Projektes zu überzeugen. «Im Zweier könnt ihr eine Olympia-Medaille gewinnen, im Vierer jedoch Gold», war sein Credo.
Er bekam Recht. Die ehrgeizigen Akteuren hakten Vergangenes ab und stellten das Persönliche in den Hintergrund. «Die Freundschaft hat gelitten, weil Mario Gyr und Simon Schürch ihre Interessen durchgeboxt haben», sagt Niepmann freimütig. Der Erfolg dürfte nun alte Wunden heilen. Dass das Quartett jedoch weiterhin zusammen rudern wird, diese Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null. So hat eine schwierige Geschichte aber doch noch ein Happy End gefunden.