Das Masters von Augusta (USA): Ein Aussenseiter aus Florida gewinnt sein erstes Golf-Major – und das mit Flugbahnen wie die Mundwinkelkurve von Angela Merkel.
Bubba Watson heulte, das Gesicht war komplett zerknautscht. Am zweiten Loch des Stechens gegen den Südafrikaner Louis Oosthuizen hatte der 33-jährige US-Amerikaner gerade den entscheidenden Put versenkt, da lag erst der Caddie in seinen Armen, dann Mama Mollie, bald darauf Gattin Angie und dann alle, die gerade seinen Weg kreuzten. Watsons hoch zugeknöpftes weisses Hemd hing schlaff an ihm herunter und wirkte noch mehr wie eine modefreie Schuluniform. Binnen Sekunden war der frisurlose Strubbelkopf aus Bagdad, Florida, aus höchster Konzentration eines Golf-Profis in den Zustand völligen Kontrollverlusts geraten. Ergreifend.
Bis Sonntag galt der impulsive Gefühlsmensch Watson als klassischer Loser. Noch im März hatte er bei bei einem grossen Turnier in Doral vor der Schlussrunde klar geführt und war dann eingebrochen. 2010 stand er im Stechen der PGA Championships gegen Martin Kaymer und bescherte mit einem aggressiven Fehlschlag dem Deutschen den Major-Titel. Und bei den French Open 2011, als er nach miesem Spiel früh ausgeschieden war, maulte er über störende Zuschauer, mangelnde Security, klingelnde Handys und machte sich zur Rache über Frankreichs Heiligtümer lustig: Den Eiffelturm nannte er «diesen grosse Mast», den Arc de Triomphe «Brückenbogen mitten auf der Strasse» und den Louvre erklärte er zum «Gebäude, das mit L anfängt».
Jetzt bebte der Linkshänder mit den explosiven Abschlägen am ganzen Körper und schluckte und suchte nach Halt. Konnte ihm nicht jemand seinen roten Driver reichen als Stütze? Drumherum tobten die Landsleute.
Der Albatros am Monsterloch
Etwa 23‘000 Schläge werden gemacht bei so einem Major-Turnier. Zwei bei den diesjährigen Masters werden Platz finden in den Geschichtsbüchern. Der erste gelang dem späteren Zweiten Oosthuizen. Bahn 2, ein Par 5, der Schlusstag: Oosthuizens mächtiger zweiter Schlag aus 230 Metern landete kurz vor dem Grün, rollte und rollte langsam weiter, schier ewige zwölf Sekunden brauchte er für 40 Meter in einer leichten Rechtskurve, bis er am Loch ankam, einen Moment zu warten schien und mit der letzten Umdrehung verschwand. 20‘000 Augenzeugen sorgten für den „lautesten Schrei, den ich je auf einem Golfplatz gehört habe“, wie der englische Sky-Reporter später sagte.
Drei unter Par: Albatros sagt man zu einem solchen Glücksschuss in der Fachsprache oder auch Doppel-Eagle im Amerikanischen. Noch nie in 76 Jahren Masters-Historie hatte das jemand an diesem Monsterloch von fast 550 Metern Länge geschafft. Oosthuizen katapultierte seine 2 an die Spitze des Feldes. Und auf den Flügeln des zweifachen Adlers getragen gab er diese Führung bis zum Ende nicht mehr ab. Nur einer zog noch gleich: eben dieser Watson, dessen Vorname Bubba Bruder bedeutet.
Wider alles Wissen um Ballistik und Gravitation
Dessen Kunst schien am zweiten Extraloch am Ende. Sein Abschlag war tief in den Kiefernwäldern Georgias gelandet. Oosthuizen legte defensiv vor, aber Watson schaffte den zweiten Schlag der Masters 2012 für die Geschichtsbücher. Der Angie-Gatte mit den Lippen wie ein Strich drosch den Ball aus den Forsten, in einer Flugbahn von fast 90 Grad nach rechts, ähnlich der Mundwinkelkurve der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aus 140 Metern landete das pockige Spielzeug mittig auf dem Grün, gegen alles Wissen, wie Ballistik, Gravitation und das Zusammenspiel von Mensch, Schläger und Ball gewöhnlich funktionieren können. Zwei sichere Putts später war «der völlig verrückte Schlag» (Watson) zum Sieg veredelt.
Bubba Watson ist der achte Major-Sieger nacheinander, der erstmals ein solches Turnier gewinnen konnte. Eine erstaunliche Statistik, die gegen die Grossen der Branche spricht. Tiger Woods zum Beispiel: Der formlose Wettfavorit spielte Karfreitag so viele schlechte Schläge wie nie in seiner grossen Karriere an einem Tag, kreuz und quer, völlig verrissen, wie orientierungslos. Er wurde schliesslich 40., ebenso wie Mitfavorit Rory McIlroy. Kaum besser erging es dem Weltranglistenersten Luke Donald: Platz 32. Die Ex-Weltnummer 1 Martin Kaymer quälte sich immerhin erfolgreich zum Cut, erstmals in Augusta im fünften Anlauf, und endete auf Rang 44.
«Soweit kam ich in meinen Träumen nie»
Nur der dreifache Masters-Sieger Phil Mickelson war lange im Geschäft, bis er Sonntag an Bahn 4 im Bambusgebüsch landete. Er wurde mit zwei Schlägen Rückstand ebenso Dritter wie der beste Fairwayspieler Lee Westwood, der aber erneut an seiner eklatanten Puttschwäche scheiterte. Seit 2008 belegte Westwood, der chronischste Majors-Nichtsieger der Golfgeschichte, damit zum siebten Mal Platz 2 oder 3.
Eine viertel Stunde nach seinen Weinkrämpfen bekam Bubba Watson im Kaminzimmer des Klubhauses das grüne Sieger-Sakko angelegt, das erstmals in der langen Geschichte des bornierten Golfklubs von Augusta Sinn machte, weil man Watsons schülerhaftes Schlabberhemd nicht mehr sah. Und der sorgsam Gekleidete sprach mit brüchiger Stimme: «Augusta zu gewinnen, so weit bin ich in meinen Träumen nie gekommen.» Angeblich hatte Autodidakt Watson nie einen Golflehrer, er vertraut ohnehin anderen Instanzen: «Ich habe mein Leben dem Herrn gegeben.» Halleluja, Bruder B.
76. US Masters in Augusta, Georgia
8 Mio. Dollar Preisgeld,Par 72, Schlussklassement: 1. Bubba Watson (USA) 278 (69/71/70/68), Sieger am 2. Loch des Stechens (Loch 10, mit Par gegen Bogey). 2. Louis Oosthuizen (SA) 278 (68/72/69/69). 3. Lee Westwood (Eng) 280 (67/73/72/68), Phil Mickelson (USA) 280 (74/68/66/72), Matt Kuchar (USA) 280 (71/70/70/69) und Peter Hanson (Sd) 280 (68/74/65/73). 7. Ian Poulter (Eng) 283 (72/72/70/69). 8. Padraig Harrington (Irl) 284 (71/73/68/72), Adam Scott (Au) 284 (75/70/73/66) und Justin Rose (Eng) 284 (72/72/72/68).
11. Jim Furyk (USA) 285 (70/73/72/70). 12. Sergio Garcia (Sp) 286 (72/68/75/71), Fred Couples (USA) 286 (72/67/75/71), Graeme McDowell (NIrl) 286 (75/72/71/68), Hunter Mahan (USA) 286 (72/72/68/74) und Kevin Na (USA) 286 (71/75/72/68). Ferner: 19. Francesco Molinari (It) 288 (69/75/70/74) und Geoff Ogilvy (Au) 288 (74/72/71/71). 24. Paul Lawrie (Scho) 289 (69/72/72/76). 27. Vijay Singh (Fidschi) 290 (70/72/76/72), Keegan Bradley (USA) 290 (71/77/73/69) und Rickie Fowler (USA) 290 (74/74/72/70). 32. Luke Donald (Eng) 291 (75/73/75/68), Angel Cabrera (Arg) 291 (71/78/71/71) und Zach Johnson (USA) 291 (70/74/75/72). 37. Thomas Björn (Dä) 292 (73/76/74/69). 40. Tiger Woods (USA) 293 (72/75/72/74) und Rory McIlroy (NIrl) 293 (71/69/77/76). 44. Martin Kaymer (De) 294 (72/75/75/72). 47. Steve Stricker (USA) 295 (71/77/72/75).
50. Charl Schwartzel (SA/TV) 296 (72/75/75/74), Stewart Cink (USA) 296 (71/75/81/69), Robert Karlsson (Sd) 296 (74/74/77/71) und David Toms (USA) 296 (73/73/75/75). 56. Miguel Angel Jimenez (Sp) 298 (69/72/76/81). 57. Edoardo Molinari (It) 299 (75/74/76/74) und Y.E. Yang (SKor) 299 (73/70/75/81) . 60. Trevor Immelman (SA) 301 (78/71/76/76).
Cut verpasst: 66. José Maria Olazabal (Sp), Tom Watson (USA), Paul Casey (Eng), Mike Weir (Ka) und Larry Mize (USA) je 151. 73. Bernhard Langer (De) 152. 77. K.J. Choi (SKor) und Ryo Ishikawa (Jap) je 153. 82. Darren Clarke (NIrl), Ian Woosnam (Wales) und Lucas Glover (USA) je 154. 91. Ben Crenshaw (USA) 159. 93. Craig Stadler (USA) 163. 94. Sandy Lyle (Scho) 164. – 94 klassiert.