Der Tiger zeigt dem Model zu spät die Zähne

Magnus Carlsen entthront Weltmeister Viswanathan Anand und läutet eine neue Ära ein. Der nicht einmal 23-jährige Norweger sorgt in seiner Heimat für einen Schach-Hype und kann auch auf dem Rest des Erdballs punkten. Und das durchaus auch mit optischen Vorzügen.

Norway's Magnus Carlsen smiles as he speaks with the media at a news conference after clinching the FIDE World Chess Championship in the southern Indian city of Chennai November 22, 2013. Carlsen replaces India's Viswanathan Anand as world chess champion. (Bild: Reuters/Babu)

Magnus Carlsen entthront Weltmeister Viswanathan Anand und läutet eine neue Ära ein. Der nicht einmal 23-jährige Norweger sorgt in seiner Heimat für einen Schach-Hype und kann auch auf dem Rest des Erdballs punkten. Und das durchaus auch mit optischen Vorzügen.

Mit beiden Händen in der Hosentasche verfolgt Magnus Carlsen stoisch neben dem Brett stehend die letzten Regularien, die der Schiedsrichter vollzieht. Nachdem der Referee ihm gratuliert hat, schlendert der Norweger zufrieden aus dem Glaskasten.

«Der Wettkampf war hart, aber es fühlt sich gut an», kommentiert der Weltranglistenerste seinen WM-Sieg acht Tage vor seinem 23. Geburtstag am 30. November und schiebt nach: «Ich bin sehr glücklich.» Der «Mozart des Schachs» machte mit Titelverteidiger Viswanathan Anand kurzen Prozess und deklassierte den Inder in seiner Heimatstadt Chennai mit 6,5:3,5.

Der «Tiger von Madras» bewies erst zum Schluss Löwenmut. 65 Züge lang beharkte Anand trotz der schwarzen Steine den Favoriten. Als alles Material bis auf die beiden Könige abgeholzt war, streckte der 43-Jährige seine Hand zum Zeichen des Friedensschlusses aus. Carlsen griff danach und war damit um mehr als 1,1 Millionen Euro reicher und 16. Weltmeister der Schach-Historie seit 1886.

Anand entschuldigt sich für seine Fehler

Konsterniert stellte der entthronte Champion danach fest: «Die Partie heute war ein Spiegelbild des gesamten Duells. Ich versuchte zu spielen – und patzte. Tut mir leid.» Als erst zweitem Weltmeister nach Emanuel Lasker, der 1921 José Raúl Capablanca unterlag, gelang dem Inder im Weltmeisterschaftsduell kein einziger Sieg.

Carlsen zeigte sich dennoch generös und pries seinen Vorgänger als «einen der grössten Spieler der Geschichte. Es war eine Ehre, gegen ihn anzutreten». Das «Ende einer Ära» hatte ein alter Weggefährte Anands, der frühere britische Vizeweltmeister Nigel Short, schon tags zuvor via Twitter verkündet.

Der Denksport bekommt mit dem 22-jährigen Kurzzeit-Model der Modemarke G-Star RAW ungewohnten Glamour-Faktor. Schach ist plötzlich cool: Eine durch Fussball, Tennis oder Klettern austrainierte Ikone steht im Mittelpunkt statt aufgedunsener Nerds mit dicker Nickelbrille, wie das Klischee gerne verbreitete.

Während sich Männer wundern, was so apart an dem grossen Charakterkopf sein soll, schwärmen Damen jeglichen Alters von dem am Brett so gelangweilt wirkenden Jüngling mit Schlafzimmerblick. Das «Time Magazin» hatte ihn schon vor der WM zu einem der 100 attraktivsten Männer auf dem Planeten gekürt.

40 Prozent Marktanteil für eine Schachübertragung am TV

In Carlsens Heimatland Norwegen heisst es plötzlich lieber Brett vor dem Kopf statt zwei Bretter unter den Füssen: «Carlsen ist eine Klasse für sich», zeigte sich Ole Einar Björndalen der Boulevardzeitung «VG» gegenüber beeindruckt. Der Weltklasse-Biathlet hing wie viele seiner Landsleute und weltweit täglich bis zu 200 Millionen Fans plötzlich am Smartphone oder am Computer. Die WM-Webseite konnte gestern zeitweilig den Andrang nicht mehr bewältigen.

«Die WM hat wohl viele Leute interessiert, die sonst kein Schach spielen», freut sich Carlsen und hofft auf einen «positiven Effekt weltweit». Schach avancierte in Norwegen gar zum TV-Quotenknüller: Die Marktanteile von 40 Prozent im Staatssender NRK bei mehrstündigen Übertragungen dürften weltweit einmalig bleiben.

Die «Carlsenmania» geht in Oslo sogar so weit, dass der Sport-Dachverband NIF nun Schach aufnehmen will – bis vor kurzem erschienen den Funktionären derlei Gedankenspiele bezüglich des Denksports absurd, berichtete der Sportinformations-Dienst.

Ein einseitiges Duell

Das mit knapp zwei Millionen Euro dotierte WM-Match verlief letztlich einseitig. In den ersten vier Partien hielt der auf Weltranglistenplatz acht zurückgefallene Anand gut mit. In den Eröffnungen war der Weltmeister, der seit 2007 auf dem Thron sass, sogar leicht überlegen. Doch der «Tiger von Madras» erwies sich danach als zu zahmes Kätzchen.

Experten bemängelten, Anand habe riesige Angst vor Carlsen gezeigt. Als er 2:4 in Rückstand lag, agierte er leblos, anstatt aggressiv anzugreifen. Seine Zähne, die zeigte der Tiger erst im letzten Spiel des WM-Duells. Zu spät, um den Beginn der Ära Carlsen noch hinauszuzögern.

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