Der Traum vom eigenen FC

Vor fünf Jahren glaubten viele Menschen, sie könnten gemeinsam einen Fussballclub kaufen und danach demokratisch leiten. Die Träumer von damals sind hart in der Realität gelandet.

Demokratische Mitbestimmung bei Spielerwechseln? Das ist gar nicht so einfach, wie wir uns das einst gedacht haben. (Bild: Nils Fisch)

Vor fünf Jahren glaubten viele Menschen, sie könnten gemeinsam einen Fussballclub kaufen und danach demokratisch leiten. Die Träumer von damals sind hart in der Realität gelandet.

Ich war stolzer Besitzer eines englischen Fussballclubs. Gut, in welcher Liga die mir zuvor komplett unbekannte Ebbsfleet United im Februar 2008 spielte, könnte ich heute nicht mehr auf Anhieb sagen. Und Mitbesitzer, mit der Betonung auf «mit», wäre wohl auch der korrektere Ausdruck für das, was ich mit meiner Einzahlung von circa 90 Franken wurde.

Schliesslich gab es neben mir noch 32 000 andere Menschen rund um den Erdball, die dabei waren beim Projekt Myfootballclub (MyFC) und mit ihrem Mitgliederbeitrag dafür sorgten, dass wir gemeinsam einen Club kaufen konnten. 635’000 britische Pfund zahlten wir zusammen für 75 Prozent der Anteile an der «Fleet».

Basisdemokratische Führung eines Fussballclubs war das hehre Ziel. Eine Gegenbewegung zur Kommerzialisierung des Fussballs, die Clubs und Basis entfremdete. Ein Gegenmodell zu Oligarchen und Öl-Scheichs, die Vereine wie von der Stange kauften. Die Medien überschlugen sich. «Fussball 2.0» war das Schlagwort, es wurde von Revolution geschrieben und dem «Tod der Trainer». Viele Mitglieder sahen sich bereits als Spieler-Trainer-Manager-Marketing-Direktor und warfen ihre Fuss­ball-Manager-Spiele aus dem Fenster. Die Zukunft war nicht rosa. Sie war golden.

Was interessiert mich irgendeine untere englische Liga?

Meine Begeisterung flachte dann allerdings schnell ab. Wie, fragte ich mich zu Beginn, sollte ich ein Team aufstellen, dessen Spieler ich allerhöchstens in einem ruckelnden Live­stream sehen konnte? Und – hatte ich dafür überhaupt Zeit und Lust? Mir Fussball irgendeiner unteren englischen Liga anzuschauen?

Dann stellte ich fest, dass ich das Team gar nie zusammenstellen würde, weil diese Kernkompetenz beim Trainer belassen wurde. Bei Transfers konnte ich bereits ausgehandelte Zugänge abnicken. Von Spielern, deren Namen ich nie gehört hatte. Irgendwann verabschiedete ich mich geistig von Ebbsfleet United und MyFC. Und als es im nächsten Jahr um die Verlängerung der Mitgliedschaft ging, zahlte ich nicht mehr ein.

Jetzt, zum Fünf-Jahr-Jubiläum, ist es Zeit, wieder bei meinem Ex-Club vorbeizuschauen. Ebbsfleet spielt immer noch in der fünfthöchsten Liga Englands, ist einmal ab- und wieder aufgestiegen. Und der anscheinend unverwüstliche Liam Daish ist noch immer Trainer. Aber wie lebt der Club, wie geht es MyFC? Die Kontaktaufnahme ist nicht ganz einfach. Über eine Woche lang erreicht mich keine Antwort auf mein Mail. Immerhin – MyFC gibt es noch immer – und schon das alleine darf als Erfolg gelten.

Eine riesige Schockwelle hatte MyFC damals ausgelöst. Überall auf der Welt entstanden Projekte mit derselben Idee: Wenn genügend Menschen zusammenspannen, können sie sich einen Fussballclub kaufen und dort ihre Ideen ausleben. Doch die meisten dieser damals kreierten ­Internetseiten gibt es nicht mehr. «Hallo, Squadramia.it, wie geht es euch? Was wurde aus eurem Projekt, bei Santarcangelo Calcio einzusteigen?» Keine Antwort. «Sehr geehr­ter Moshe Hogeg, warum gibt es die ­Website nicht mehr, auf der man die Aufstellung Ihres Vereins Hapoel Kiryat Shalom bestimmen konnte?» Keine Antwort.

Lauter Leichen im Netz

Auf meiner Suche stosse ich auf lauter Leichen im weltweiten Netz. Auf ­myfootballclub.ru erhalte ich möglicherweise sinnvolle Diättipps in kyrillischer Schrift, beim spanischen miclubdefutbol datiert der letzte Eintrag vom Mai 2008, beim französischen Web FC werde ich auf irgendeine Seite mit Werbung weitergeleitet. Die Idee eines via Internet basisdemokratisch geführten Fussballclubs scheint toter zu sein als der real existierende ­Sozialismus.

Bei den meisten Projekten handelt es sich nicht einmal um Totgeburten, meist scheiterten sie bereits vor der Befruchtung. Sprich, es fanden sich nicht genügend Mitglieder, um wirklich einen Fussballclub zu übernehmen. Und vieles war bei genauerem Hinsehen auch schlicht Quatsch. Wer will schon bei einer Mannschaft die Aufstellung bestimmen, die in der tiefsten israelischen Liga spielt, wie es bei Kiryat Shalom der Fall war?

In Deutschland schien der Fall anders. Dort fanden sich Ende 2008 immerhin rund 10’000 User, die Deinfussballclub.de beitraten. Sie sollten, so die Versprechungen, beim serbelnden Traditionsclub Fortuna Köln ein Mitspracherecht erhalten. Mit Sönke Wortmann, dem Regisseur von «Das Wunder von Bern», hatte das Projekt einen namhaften Schirmherrn.

In Deutschland war das Grab früh geschaufelt

Doch schon bald wurde klar: Fussball ist kein Ort, an dem sich einfach demokratische Strukturen aufbauen lassen. Welcher Sponsor will schon, dass über 10’000 Menschen wissen, welches Angebot er für das Trikot-Sponsoring abgegeben hat? Ganz zu schweigen von Spielern und ihren Agenten, die sich bei Vertragsverhandlungen äusserst ungern von der Öffentlichkeit über die Schultern blicken lassen.

Das Projekt Deinfussballclub.de war eigentlich längst tot, als es im Januar 2012 endgültig zu Grabe getragen wurde. Die «Zeit» schrieb damals, die Fans, «die den kommerzialisierten Kick zurückerobern wollten, werden ausgerechnet von einem millionenschweren Investor ausgebootet». Und sie nannte das Ganze «eine lehrreiche Geschichte über das Geschäft mit dem Fussball».

Bei der Fortuna war via Deinfussballclub.de die Investitionsfirma von Michael Schwetje eingestiegen, Gründer diverser Internetfirmen. Inzwischen soll Schwetje über 99 Prozent der Kapitalanteile der in eine Spielbetriebsgesellschaft ausgelagerten ersten Mannschaft besitzen. Die ist immerhin seit 2008 zweimal aufgestiegen, spielt in der viertklassigen Regional-liga. Die Anhänger aber, die geglaubt hatten, sie dürften wirklich mitreden bei der Gestaltung des Clubs, sind desillusioniert zurückgeblieben.

Der Club ist chronisch klamm

Nach zwölf Tagen erhalte ich eine Antwort auf mein Mail an Ebbsfleet United. Mike Sinack, Vorstandsmitglied von MyFC seit zwei Jahren, schreibt aus den USA und entschuldigt sich. Vorstand und alle anderen Positionen bei MyFC seien von Freiwilligen besetzt: «Nicht einfach, da alles sofort auf die Reihe zu bekommen.»

Ebenfalls ausgesprochen schwierig, wenn nicht gar unmöglich war es für MyFC bislang, die Mitgliederzahlen auf einem Niveau zu halten, die den benötigten Geldfluss garantieren würden. Von den einst 32 000 waren Ende Februar 2013 noch 966 übrig geblieben. «Dieser Mitgliederschwund», gibt Sinack unumwunden zu, «ist unser grösstes Problem.»

Ohne genügend Mitgliederbeiträge hat MyFC nicht das Geld, um Ebbsfleet finanziell zu stützen. Und die United ist chronisch klamm. Sie ist damit zwar kein Einzelfall in der Conference National. Aber das kann die Bedenken der regional ansässigen Anhänger nicht besänftigen.

Unstimmigkeiten und Hilferufe

Im letzten November wurden schwere Unstimmigkeiten zwischen MyFC und Clubvertretern öffentlich. Der Fleet Trust, der Ebbsfleet finanziell unterstützt, bettelte bei der Bevölkerung um Geld: «Wenn es je eine Zeit gegeben hat, in der dich dein Fussballclub gebraucht hat, dann ist das jetzt.» Im Januar benötigte die United 20’000 Pfund an Spenden, um über die Runden zu kommen.

Wirklich überraschend ist, was in den Kommentaren auf regionalen Zeitungsseiten zu lesen ist, die über Ebbsfleet berichten. Da entsteht der Eindruck, MyFC werde von den Anhängern des Clubs als eine Art auswärtige Besatzungsmacht empfunden, die den lokalen Verein in seinen Fängen hält.

Die basisdemokratische Bewegung im Clinch mit den Fans des eigenen Clubs? «Einige der lokalen Supporter mochten die Idee nicht, dass ein paar über das Internet agierende, Fussball-Manager spielende Typen kommen und ihren Club kaufen», gibt Sinack zu. Aber er sagt auch: «Die Spannungen sind nicht so gross, wie berichtet wird. Schliesslich haben wir alle dasselbe Ziel: dass Ebbsfleet überlebt und erfolgreich ist.»

Das Hauptaugenmerk dürfte derzeit auf das Überleben gerichtet sein. Trotzdem bleibt Sinack schon fast unglaublich optimistisch. «Wir lernen immer weiter dazu. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Verein erhalten können und dass die kommenden fünf Jahre auf den vergangenen fünf Jahren aufbauen können.»

Warum das alles?

Aber warum? Warum verbringt ein Amerikaner seine Freizeit damit, Schweizer Mails zu einem unterklassigen englischen Fussballclub zu beantworten? Für Simack eine einfach zu beantwortende Frage: «Ich schreibe die Matchberichte mit einem in Australien lebenden Engländer. Ich spreche über Skype mit britischen Mitgliedern, ich diskutiere mit einem deutschen Vorstandsmitglied. An unserem Modell kann sich jeder beteiligen und auf verschiedenen Ebenen im Club aktiv werden.»

Und plötzlich klingt das alles nicht mehr nach «Fussball 2.0», basisdemokratischem Ver­such, Schwarm­in­telligenz oder was sonst alles über MyFC geschrieben wurde. Sondern nach etwas, das jeder lokale Handball-, Fussball- oder Egal-was-Club geben kann, jeder Gesangsverein und jede Tanzgruppe: das Gefühl, gemeinsam mit anderen etwas auf die Beine zu stellen. Die Revolution, sie ist die Rückkehr zur guten alten ­Vereinsmeierei.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13

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