Die Bündner schwärmen von Österreich und Marcel Koller

In der Ferienregion Flims-Laax stimmt Marcel Koller die österreichischen Spieler auf die Euro 2016 ein. Die Einheimischen sind begeistert, und der ORF lässt es sich nicht nehmen, am Donnerstag ein Spielchen gegen den örtlichen Sechstligisten US Schluein Ilanz zur Prime Time live zu übertragen.

Nur das Wetter könnte freundlicher sein. Das Team von Marcel Koller beim Training im Bündnder Dorf Schluein.

(Bild: Keystone/ROBERT JAEGER)

In der Ferienregion Flims-Laax stimmt Marcel Koller die österreichischen Spieler auf die Euro 2016 ein. Die Einheimischen sind begeistert, und der ORF lässt es sich nicht nehmen, am Donnerstag ein Spielchen gegen den örtlichen Sechstligisten US Schluein Ilanz zur Prime Time live zu übertragen.

Zumindest in Graubünden ist die Welt noch eine heile. An dem Tag, an dem halb Europa gespannt auf den Ausgang der Bundespräsidentenwahl in Österreich wartet, liess der lokale Radiosender bei den 9-Uhr-Nachrichten mit der Topmeldung aufwarten, dass ein Angler am Wochenende einen Saibling (Namaycush) von acht Kilogramm aus einem See gezogen hat.

Einen ziemlich grossen Fisch dürften sich auch die Bündner Touristiker mit dem österreichischen Nationalteam geangelt haben, das sich seit Sonntag in Laax und Umgebung auf die EM-Endrunde einstimmt. Die österreichischen Spieler scheinen in dieser Gegend tatsächlich mehr Anhänger zu haben als die heimische Schweizer «Nati».

» Die Euro 2016 auf der Webseite des ÖFB
» Die EM-Gruppe der Österreicher

An zahlreichen Häusern entlang der kurvigen Strasse von Laax nach Schluein wurden rot-weiss-rote Fahnen gehisst, im putzigen Stadion des Sechstligisten US Schluein Ilanz, in dem die Österreicher trainieren, hatte sich bei der ersten Einheit fast halb Schluein (563 Einwohner) versammelt. Nicht einmal sintflutartiger Regen, Nebelschwaden und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt konnten die neugierigen Einheimischen vom Besuch des ersten offiziellen Trainings von Marcel Koller abhalten.

Der ganze Tross im Dorf

Der 55-Jährige geniesst in dieser Region der Schweiz ein hohes Ansehen und geht für die Einheimischen fast schon als halber Bündner durch. Koller besitzt hier seit Jahren ein Feriendomizil, er kennt die Vorzüge der Gegend und schätzt die Zurückhaltung der Menschen. «In Österreich ist die Euphorie so gross, da hatten wir in Stegersbach teilweise 1800 Leute beim Training», erklärt der Teamchef. «Die wollen dann Autogramme und Fotos. Da ist es dann doch schwieriger, konzentriert zu arbeiten.»

Viel weniger Fans werden es freilich auch am Donnerstag nicht sein, wenn das ÖFB-Team gegen US Schluein Ilanz ein Testspiel bestreitet. Der ORF überträgt ab 17.45 Uhr live und lässt sogar seinen TV-Experten Herbert Prohaska zur Analyse nach Graubünden einfliegen. Die 700 Karten für die überdachte Tribüne (Eintrittspreis: 25 Franken) sind längst weg, der Klub lässt deshalb sogar eine Zusatztribüne errichten. «Es ist auch eine Abwechslung, wenn du vom Training her einmal gegen die Einheimischen spielen kannst. Dieses Match ist ein Zuckerl für die Leute hier, die alles sehr gut vorbereitet haben», sagt Marcel Koller.

Eine Scheibe Euphorie abschneiden

Die Bündner danken es ihm mit Begeisterung und mit Daumendrücken bei der Europameisterschaft. «Wir beneiden euch Österreicher um euren Teamchef», erklärt Simon Lutz, der Präsident des lokalen Fussballvereins. «Bei uns in der Schweiz ist die Stimmung gerade nicht so positiv. Wir haben aber alle mitbekommen, was für eine Euphorie Marcel Koller in Österreich ausgelöst hat.» 

Der Teamchef ist zwischen dem Bodensee und dem Neusiedlersee mittlerweile dermassen populär, dass ihn die Österreicher wahrscheinlich sogar zum Bundespräsidenten gewählt hätten. Die Trophäensammlung des Zürchers wird jedenfalls immer umfangreicher: Wenige Tage vor der Abreise ins Trainingslager erhielt Marcel Koller aus den Händen des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien überreicht.

«Ich bin baff», sagte der österreichische Teamchef nach der Laudatio seines Vorgesetzten Leo Windtners. Der ÖFB-Präsident lobte, dass dank Koller «Österreich in Fussball-Europa wieder angesehen und der Fussball unter Teamchef Koller in Österreich wieder salonfähig geworden ist.»

In Ruhe Kraft schöpfen

Angesichts der enormen Euphorie um das Team und um seine Person kann man es Marcel Koller gar nicht verdenken, dass er zur EM-Vorbereitung in die Schweiz geflohen ist, obwohl die Tourismusregion Burgenland eigentlich offizieller Teamsponsor der ÖFB-Nationalmannschaft ist.

In den verschlafenen Wintersportorten rund um Laax und Flims findet er die Ruhe, um die Spieler auf die EM-Endrunde einzustimmen. Überhaupt legt der Teamchef enormen Wert auf die Harmonie in der Nationalmannschaft. Ein bisschen Sorge bereitet dieser Tage nur der Genesungszustand von Marc Janko, den der FC Basel frühzeitig zum Nationalteam gelassen hat. Die Meisterfeier in Basel lässt sich der Mittelstürmer freilich nicht nehmen und erhält im Gegenzug Freigang.

Im Gegensatz zu anderen Nationaltrainern kann Koller ganz bewusst auf taktische und personelle Experimente verzichten. «Wir wissen, wie wir spielen wollen und wollen das weiter verfestigen», sagt er und hat deshalb lediglich 24 Spieler für den Lehrgang nominiert. Aus eigener Erfahrung als Spieler bei der EM-Endrunde 1996 weiss er nur zu gut, «dass sonst Unruhe reinkommen könnte».

Auch das haben die Österreicher – einen «offiziellen Song» zur Euro:

Nächster Artikel