Am Samstag treffen die deutschen Branchengrössen Borussia Dortmund und Bayern München im letzten Spiel der Saison noch einmal aufeinander – und machen in Berlin (20.00 Uhr, ZDF live) den Sieger im DFB-Pokal untereinander aus. Dortmunds Club-Boss Hans-Joachim Watzke schwärmt vom ganzheitlichen Konzept der Borussia.
In manchen Momenten klingt Hans-Joachim Watzke regelrecht esoterisch, aber das ist derzeit ja nichts Ungewöhnliches in diesen Büros aus Glas und Stahl, wo Erfolgsmenschen die Geschicke ambitionierter Konzerne lenken. Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund spricht von einem «Selbstexperiment», dass sie gerade durchführen beim Deutschen Meister, es gehe um «Ganzheitlichkeit», und hinter diesen grossen Worten stecken weder eine besondere Naturverbundenheit noch irgendwelche mystischen Zusammenhänge.
Vielmehr ist es unternehmerisches Kalkül, das Watzke antreibt. Nach dem Interview wird er sich ins Flugzeug setzen, um am Abend bei Maybrit Illner im Fernsehen über die Menschenrechtsituation in der Ukraine zu diskutieren. Ein Mosaikstein im ganzheitlichen Ansatz. Es gehöre zu den Zielen von Borussia Dortmund, sich auch «zu gesellschaftlichen Themen zu positionieren», sagt er.
Die Marke jenseits der Stadien
Zwei Tage nach dem TV-Auftritt ist in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» in einer Rubrik namens «Chapeau» zu lesen: «Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer des deutschen Fussballmeisters Borussia Dortmund, sprach vielen Studiobesuchern und Fernsehzuschauern aus dem Herzen. Er erhielt berechtigten Applaus, weil er sich ohne Plattitüden und ohne Anmassung äusserte.»
Borussia Dortmund bewegt sich längst nicht mehr nur sportlich in den Sphären des FC Bayern, wo Präsident Uli Hoeness das Profil seines Clubs seit Jahren mit Kommentaren zum Weltgeschehen schärft. Die Dortmunder haben längst auch erkannt, wie wichtig die Präsenz einer grossen Fussballmarke jenseits der Stadien ist.
Finanziell seien die Münchner dem BVB aber «um Lichtjahre voraus», wirft Watzke gerne ein, wenn es um die prächtige Entwicklung der Dortmunder geht. Die Branchenführerschaft sei in den nächsten Jahren «fest zementiert». In der Tat haben die Bayern laut der aktuellsten verfügbaren Bilanz (Saison 2010/2011) beinahe drei mal so viel Geld umgesetzt (290.9 Millionen Euro gegenüber 151,5 Millionen), erheblich höhere Sponsoringeinnahmen (82,3 vs. 49,9), und rund drei mal so hohe Erträge aus dem Merchandising (43,9 vs. 14,8).
Dortmund verkürzt den Abstand zu den Bayern
Allerdings wird der BVB den Abstand in der neuen Bilanz deutlich verkürzen und Sportdirektor Michael Zorc sagt: «Wir haben noch viele Entwicklungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Bereichen.» 2015 kann der Club die gastronomische Versorgung im Stadion selber organisieren, 2018 fallen die Marketingrechte, die derzeit der Agentur Sportfive gehören, an den BVB zurück. Das wird Zusatzeinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe in die Kassen spülen, und die Verbindlichkeiten wurden seit der Dortmunder Finanzkrise 2005 um unglaubliche 140 Millionen Euro reduziert, sagt Watzke, der die aktuellen Verbindlichkeiten auf übersichtliche 40 Millionen taxiert.
Auch im Konzern seien keine weiteren Schulden versteckt, meint der Geschäftsführer. Andere Clubs, denen ihr Stadion gehört, ächzen da unter weit höheren Verbindlichkeiten. Ausserdem liege der buchhalterische Wert unserer Mannschaft bei 21 Millionen Euro», erklärt Watzke, «transfermarkt.de, die ja eher noch konservativ bewerten, taxiert unsere Mannschaft jetzt auf 191 Millionen, da sehen Sie mal, was wir in den letzten Jahren für stille Reserven geschaffen haben.»
Aber dieses beeindruckende Zahlenwerk ist nur ein Teil der Geschichte. Neben wirtschaftlichem Erfolg haben die Dortmunder etwas anderes zu bieten: Die Frische der Jugend, den Zauber des Neuen. Und sie sind neben dem FC Barcelona einer der ganz wenigen Clubs, die das besitzen, wonach die halbe Fussballwelt dürstet: ein ganzheitliches Konzept. Bei der Rettung vor der Pleite Mitte des vorigen Jahrzehnts hatten die Dortmunder mehr Glück als Verstand, was danach passierte, ist aber noch viel verrückter. Weil es so unfassbar einfach klingt.
Das Credo: «Echtheit und Intensität»
Als das Überleben 2006 gesichert war, «haben wir versucht, eine Vision von der Borussia zu entwickeln, wie sie heute ist», sagt Watzke und nippt genüsslich an seinem Cappuccino. Er spricht von einem «Markenkern», der mit Hilfe einer Düsseldorfer Agentur entstanden sei und den zwei Begriffe prägen: «Echtheit und Intensität». Sie haben sich einfach auf den Charakter der Menschen im Ruhrpott und des Dortmunder Publikums besonnen.
So entstand ein neues Corporate Design, dem nicht nur sämtliche Kommunikationsmassnahmen wie Anzeigen, Plakate, das Stadionmagazin Echt und die Autogrammkarten angepasst wurden, sondern auch der Spielstil. «Wir haben gesagt, das kann man am besten mit jungen Leuten haben, deswegen haben wir beschlossen, fast alles, was wir an Investitionsvolumen haben, in junge Spieler zu stecken», sagt Watzke.
In dieser Zeit erhielten Marcel Schmelzer, Kevin Grosskreutz, Neven Subotic oder Mats Hummels Profiverträge beim BVB, und in Jürgen Klopp haben sie dann auch noch den perfekt passenden Trainer gefunden, und hier liegen die sensiblen Punkte des Erfolgskonzeptes, das Watzke gemeinsam mit Sportdirektor Zorc und Präsident Reinhard Rauball schuf.
Mit Klopp bis 2016 – ganz sicher
Was ist, wenn Klopp geht? Watzke legt eine gehörige Portion Entschlossenheit in seine Stimme und sagt: «Dass sich bis 2016 auf der Trainerposition bei Borussia Dortmund eine Änderung einstellt, das ist komplett ausgeschlossen.» Und was ist mit den Risiken, denen sich ein Fussballverein aussetzt, wenn er wächst? Schliesslich gibt es zahllose Beispiele von Vereinen, die nach dem Erreichen der Champions League Gehälter erhöht und teuer Spieler verpflichtet haben, um dann während einer schwächeren Saison ohne Einnahmen aus der Königsklasse finanziell in Schieflage zu geraten.
«Wenn wir eine Saison haben, in der wir mit 50 Punkten Achter werden, dann kostet die Mannschaft deutlich weniger als 45 Millionen», sagt Watzke. «Und dann weiss ich: Ich werde trotzdem ein positives Jahresergebnis haben.»
Diese Behauptung hat Uli Hoeness vor wenigen Wochen im Bezahlfernsehen als «Märchen», bezeichnet, denn das hiesse, dass die Dortmunder Spieler sich auf eine extrem erfolgsabhängige Vergütung einlassen. Wenn Nationalspieler wie Marco Reus (dem auch ein Angebot der Bayer vorlag), Mario Götze (der vom FC Arsenal umworben wurde) oder Mats Hummels sich überreden liessen, Verträge mit einem vergleichsweise kleinen Grundgehalt und hohen Prämien zu unterschreiben, wäre das in der Tat ein Kunststück, das kaum einem Spitzenclub gelingt.
Man werde ja sehen, «wenn die Bilanz auftaucht», sagt Hoeness, der gerne auf die schlechten internationalen Ergebnisse des BVB verweist. Aber der Vorsprung schmilzt, und das haben wird so langsam auch in London, Madrid und Mailand registriert.