Nächste Woche gegen Argentinien spielen oder schon am Freitag enttäuscht heimreisen – so sieht es aus für die Schweiz vor dem Spiel gegen Honduras heute Abend (22.00 Uhr). Für den Trainer Ottmar Hitzfeld geht es darum, statt durch die Hintertür durchs grosse Portal abzutreten.
In der feuchten Hitze der Dschungelmetropole Manaus entscheidet sich, ob die WM 2014 trotz der schweren Niederlage gegen Frankreich doch noch zu einem Erfolg für die Schweiz werden kann oder ob die Expedition nach Südamerika mit einer herben Enttäuschung endet. Es ist zwar noch vieles möglich in der Theorie, wie Anfang kommender Woche die Achtelfinals zwischen den jeweils beiden Ersten der Gruppen E und F aussehen. Bis dahin, dass Frankreich nach zwei Siegen doch noch aus der Wertung fällt oder Argentinien in der Parallelgruppe hinter Nigeria nur Zweiter wird.
Aber im Prinzip konzentriert sich das Ganze auf zwei Dinge: Gewinnt die Schweiz gegen Honduras und verliert Frankreich gegen Ecuador nicht? Beides müsste man als Normalfall bezeichnen, dass Franzosen selbst mit dem einen oder andern Stellvertreter in ihrer aktuellen Verfassung gut genug sind, sich gegen Ecuador den Gruppensieg mindestens mit einem Unentschieden zu sichern. Und dass die Schweizer trotz allem gut genug sind, die Honduraner zu schlagen – anders als auf den Tag genau vor vier Jahren. Jenes 0:0 hätte ein 2:0 sein müssen, weil ja nicht zu erwarten war, dass Chile mit einem Sieg gegen Spanien helfen könne.
2010 hat die Schweiz am Starttag den Favoriten Spanien geschlagen und dann gegen den direkten Konkurrenten Chile verloren – das war für die Ausgangslage grundsätzlich schlechter als diesmal der Startsieg gegen den direkten Konkurrenten aus Ecuador und dann die Niederlage gegen den Favoriten Frankreich. Aber diesem Grundsatz kann nur mit einem Sieg gegen Honduras nachgelebt werden.
Die grosse Bandbreite
Die Bandbreite ist also gross – in mancherlei Beziehung. Vor vier Jahren hätte die Schweiz in Kapstadt gegen Brasilien spielen können, stattdessen flog sie am Tag von Brasilien–Chile heim. Diesmal lockt ein Match gegen den zweiten Grossen Südamerikas, Argentinien, am Dienstag in Sao Paulo – oder die Mannschaft tritt bereits Freitagnacht den Heimflug an.
Für den Ruf des Schweizer Fussballs wäre ein neuerliches Scheitern ein Rückschlag. Denn das Ziel war und ist noch immer, endlich einmal über den eigenen Schatten zu springen und nicht schon an der ersten Hürde zu straucheln. Hitzfeld sprach immer davon, «Geschichte schreiben» zu wollen – «und die beginnt ab den Achtelfinals».
Scheitert Hitzfeld, muss er sich vorhalten lassen, das Potenzial nicht ausgeschöpft zu haben.
Scheitert Hitzfeld heute aber wie vor vier Jahren an Honduras, in seinem dann letzten Match als Nationaltrainer der Schweiz, bleibt er – mit der verpatzten EM-Qualifikation dazwischen – gar im Schatten seiner beiden erfolgreichen Vorgänger der vergangenen 20 Jahre. Die Mannschaften Roy Hodgsons und Köbi Kuhns stiessen immerhin in Achtelfinals vor, 1994 in den USA und 2006 in Deutschland. Es müsste also klar festgestellt werden, dass die aktuelle Generation von Nationalspielern nicht besser ist als jene von 1994 und 2006 – obwohl sie doch von vielen, auch vom Trainer, als besser gesehen wird.
Was Hitzfeld und dem gesamten Staff im Falle eines Misserfolgs vor allem zu denken geben müsste: Ihre Mannschaft sei für diesen Auftritt offensichtlich nicht bereit gewesen. Sie habe ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Vor allem haben, zumindest bisher, manche Spitzenkräfte unter ihrem Wert gespielt und unter der Bedeutung für ihre Mannschaft.
Noch aber ist es nicht Zeit für definitive Urteile, noch haben diese Spitzenspieler, allen voran Stephan Lichtsteiner, Valon Behrami oder Xherdan Shaqiri, die Chance, mit dem Team den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Honduras: Härte und Erfahrung
An einem kühlen, ja kalten südafrikanischen Winterabend hat die Schweiz in Bloemfontein nicht geschafft, was sie nun an einem tropischen Nachmittag im brasilianischen Regenwald erzwingen muss. Sie muss Honduraner schlagen, die spielerisch unterlegen sein mögen, aber eine Truppe hartnäckiger, harter und aggressiver mittelamerikanischer Fighter sind.
Und dazu sehr erfahren: Bringen es die elf Schweizer, die heute in der Startelf zu erwarten sind, im Schnitt auf 38 Länderspiele, sind es bei den Honduranern genau 70. Das honduranische Mittel übertrifft nur der Schweizer Captain, Gökhan Inler, mit seinen 75 Matches.
Zwei Siege – gegen Ecuador und Honduras – durften von den Schweizern erwartet werden. Dieses Ziel ist immer noch zu erreichen, was auch Hitzfeld und seine Fussballer zu Recht immer wieder sagen. Aber auf die Stimmung, zumal in der Heimat, drückt, was gegen die Franzosen zu sehen war.
Diese Leistung war so weit unter Standard, dass Zweifel herrschen, ob die Schweizer gegen Honduras auch nur zu einem Par fähig sind. Und das wäre in der Golfersprache eben Standard – wie ein Sieg gegen die Nummer 33 der Fifa-Rangliste.
Ruhe bewahren, wenig ändern
Wäre Hitzfeld ein jugendlicher Draufgänger oder hätte er ein breites Kader wie es die Grossen des Weltfussballs besitzen, würde er vermutlich anders vorgehen, als sich abzeichnet. Es sieht so aus, als handle er grundsätzlich wie im Herbst 2013 zwischen dem 4:4 gegen Island und dem 2:0 in Norwegen.
Damals bewahrte er demonstrativ Ruhe, verzichtete er auf Massnahmen, die er als Aktionismus bezeichnet hätte – und wurde mit einem vollen Erfolg belohnt. Also dürfte heute selbst Valon Behrami seinen Platz behalten; Akteure wie Lichtsteiner und Shaqiri sind ohnehin von der Klasse her unverzichtbar.
Es zeichnen sich also nur zwei Änderungen ab: Gegen Frankreich wurde Philippe Senderos für den früh verletzten Steve von Bergen eingewechselt, heute wird der zumindest offensiv klar stärkere Fabian Schär beginnen. Überdies ist davon auszugehen, dass Josip Drmic in die Sturmspitze zurückkehrt und Haris Seferovic wieder zum Joker wird.
Für Hitzfeld geht es darum, nicht durch die Hintertür abzutreten
Es steht sehr, sehr viel auf dem Spiel für die Schweizer Fussballer – als Mannschaft, aber auch für jeden einzelnen. Die Differenz beträgt 75’000 Dollar zwischen der Startgage von 10’000 und der Prämie von 85’000 pro Mann für einen Platz in den Achtelfinals. Darüber dürfte sich zuhause selbstverständlich auch von Bergen freuen.
Dem am Ende seiner langen Karriere reichen Trainer werden solche Summen wenig kümmern. Für ihn geht es schlicht darum, statt durch die Hintertür durchs grosse Portal abzutreten.