Die Euphorie ist gebremst

Gegen die Physis der Norweger war kein Kraut gewachsen: Die Schweiz gibt beim 1:1 in Bern die ersten Punkte in der WM-Qualifikation ab. In einem phasenweise mitreissenden und ebenso harten Spiel hadern Hitzfeld und Co. mit dem Schiedsrichter, können aber auch von Glück sagen, dass ihnen eine Niederlage erspart blieb.

Zwiespältig: Der Blick des Mario Gavranovic zurück auf einen aus der Hand gegebenen Sieg. (Bild: Keystone/LAURENT GILLIERON)

Gegen die Physis der Norweger war kein Kraut gewachsen: Die Schweiz gibt beim 1:1 in Bern die ersten Punkte in der WM-Qualifikation ab. In einem phasenweise mitreissenden und ebenso harten Spiel hadern Hitzfeld und Co. mit dem Schiedsrichter, können aber auch von Glück sagen, dass ihnen eine Niederlage erspart blieb.

Als man sich endlich am Schiedsrichter abgearbeitet hatte, kam die Nationalmannschaft dazu, das Ergebnis einzuordnen. «Gefühlt sind es zwei verlorene Punkte», sagte Diego Benaglio, um trotzig zu ergänzen: «Aber wir sind auf einem guten Weg.» Der wird steiniger werden, als es nach den zwei Auftaktsiegen den Anschein erweckt hatte, zumindest was den Gruppensieg und die direkte Qualifikation für die WM in Brasilien angeht.

«Wir hätten die Norweger distanzieren können», meinte Ottmar Hitzfeld, «so ist wieder alles offen.» Die Schweiz bleibt zwar an der Spitze der Europa-Gruppe E, aber schon am Dienstag wird sie auf Island von einer Mannschaft gefordert, die im Startspiel Norwegen eine empfindliche Niederlage beigebracht hat und am Freitag in Albanien 2:1 gewann.

Die Höhepunkte der Partie bei sf.tv

«Es werden nicht viele Punkte in der Schweiz holen», orakelte Egil Olsen, «das 1:1 ist ein Bonus für uns aus einem engen Auswärtsspiel.» Listig fügte der 70-jährige Nationaltrainer der Norweger dem Kompliment für die Gastgeber aber eine Kampfansage für das Rückspiel in Oslo an. Bis dahin sind es zwar noch elf Monate (10. September 2013), aber Olsen macht die Schweizer schon mal auf etwas gefasst: «Willkommen, dann wird es noch schwerer.»

Atemberaubende erste Halbzeit

Dabei war das Kräftemessen in Bern bereits ein heisser Tanz, vor allem während einer temporeichen, phasenweise atemberaubend spannenden ersten Halbzeit. Die Schweiz, mit dem Selbstvertrauen von sechs Punkten gestärkt, kam zu etlichen Möglichkeiten, von denen Tranquillo Barnettas Kopfball an den Pfosten die beste war (25. Minute).

Die Norweger, die ihren heilsamen Schock in dieser Qualifikation mit der Niederlage auf Island und dem 2:1-Sieg in extremis gegen Slowenien schon hinter sich haben, zeigten, was man von ihnen erwartet hatte: kampfstark, bisweilen mit harten Bandagen, und lauffreudig holten sie mit ihren langen Bällen das heraus, wovor sich die Schweizer gefürchtet hatten, wovon sie aber jede Menge zuliessen: Freistösse und Eckbälle.

Es brannte jeweils lichterloh, wenn Fulham-Verteidiger Brede Hangeland seine 1,95 Meter in den Schweizer Strafraum bewegte, sekundiert vom 1,86 Meter langen Vegard Forren vom Molde FK. Johan Djourou und Eren Derdiyok als zugeteilte Bewacher zogen schon in der ersten Halbzeit wiederholt den Kürzeren, und es war den Paraden und Reflexen von Benaglio zu verdanken, dass die Norweger nicht reüssierten.

Stade de Hopp Suisse

Nach sieben Jahren Kunstrasenpause ist die Schweizer Nationalmannschaft für ein Wettbewerbsspiel nach Bern zurückgekehrt, und die Kulisse von 30’712 Zuschauern im ausverkauften Haus und die Stimmung erinnerte an die letzten grossen Affichen wie der gegen die Türkei auf dem Weg zur WM 2006. Zu den Nationalhymnen brauchte niemand mehr zum Aufstehen gebeten werden – alles stand bereits, als die beiden Mannschaften ins Stade de Hopp Suisse eintauchten.

Die erste Halbzeit war mit vom intensivsten, was die Nationalmannschaft unter Hitzfeld abgeliefert hat, die spielerischen Fortschritte sind unverkennbar, Gökhan Inler und Valon Behrami waren in der ersten Halbzeit zwei gute Aufbauer, und Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner zeigte in seinem inzwischen auch schon 52. Länderspiel, warum er bei Juventus zu den Teamstützen zählt. Seine Flanke war es, die Barnetta mit dem Kopf an den Pfosten spedierte.

Energie am Schiedsrichter vergeudet

Hitzkopf Lichtsteiner stand aber auch stellvertretend dafür, wie die Schweizer an Energien und vielleicht auch ein  entscheidendes Prozent Konzentration im Hader mit dem Schiedsrichter vergeudeten. Natürlich pfiff der Spanier nicht unbedingt für das Heimteam, natürlich hätte er den in jedem Zweikampf die Zähne zeigenden Ruben Yttergard Jenssen unmittelbar vor der Pause für ein Foul an Granit Xhaka verwarnen müssen.

Und vielleicht reklamiert Hitzfeld zurecht, dass es gar kein Eckball war, der schliesslich zum Ausgleich führte. Aber mit ihrer Attitüde brachten die Schweizer den Spanier nur noch mehr gegen sie auf. «Ich will nicht viel dazu sagen. Es ist immer schwer, gegen zwölf Mann zu spielen», moserte Hitzfeld. Und Benaglio, den die Norweger bei stehenden Bällen lange ungestraft angingen, hieb in die gleiche Kerbe: «Er hat viele Situationen gegen uns gepfiffen – und dann wird es schwer.»

Gegen das 1:1 war kein Kraut gewachsen

Dem Schlussmann konnte man den Ausgleich, den die Schweizer postwendend nach ihrem späten Führungstor kassiert hatten, nicht ankreiden. Den gefühlt drei Meter grossen norwegischen Innenverteidiger Hangeland zu verteidigen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Derdiyok, in der zweiten Halbzeit für ihn zuständig, konnte nicht verhindern, dass Hangeland entschlossen in die Cornerflanke von John Arne Risse rannte, mit ungeheuerer Urkraft aufstieg und dem Ball mit der Stirn die Richtungsänderung gab.

Bei aller Analyseanstrengung: dagegen war kein Kraut gewachsen. Und ein Gegentor aus einem ruhenden Ball – das hatte sich in dieser Auseinandersetzung wahrlich abgezeichnet. Und bei allen kultiviert vorgetragenen Angriffen geht dieser Nationalmannschaft zumindest am Freitag gegen einen bärenstarken Gegner die physische Widerstandskraft ab.

So war das 1:0 der Schweiz aus der 79. Minuten noch gar nicht richtig vertwittert, der WM-Traum noch nicht ausformuliert, als die Schweizer um die Frucht ihrer Anstrengungen in der zweiten, weit zäheren Halbzeit gebracht war. Xherdan Shaqiri, mit Höhen und Tiefen in dieser Partie, hatte einen Eckball auf den ersten Pfosten gezirkelt, wo Granit Xhaka, der sich seine Auszeiten nahm, mit dem Kopf verlängerte.

Gavranovic‘ drittes Tor im vierten Spiel

Im Zentrum stand der erst neun Minuten zuvor für den leicht erkälteten Barnetta gekommene Mario Gavranovic und drückte die Kugel gegen norwegischen Widerstand mit Vollstreckerinstinkt über die Linie. «Ich war richtigen Moment da», sagte der knapp 23-Jährige und wollte keine grosse Sache aus seinem Tor machen, das eine ganze Fussballnation für ungefähr anderthalb Minuten in Wallung versetzt hatte. Aber immerhin: Nach vier Länderspielen stehen drei Treffer zu Buche für den aus der Bundesliga in die Super League zum FC Zürich zurückgekehrten Gavranovic.

Zu überlegen, seinen zwar emsigen, aber weiterhin glücklos agierenden, bisweilen übermotiviert wirkenden und schliesslich mit dem Kopf durch die Wand wollenden Stürmer Eren Derdiyok eine Pause zu verordnen, muss Hitzfeld nicht. Der Basler holte sich mit unkontrollierten Grätsche in der eigenen Platzhälfte eine Gelbe Karte, die eine Sperre nach sich zieht.

Hitzfeld ist vor Island gewarnt

Am Dienstag wäre Reykjavik ohnehin ein ungeeigneter Therapieort gewesen für den in der Bundesliga bei Hoffenheim aus der ersten Wahl gekippten Derdiyok. Die Nordländer stehen nach drei Spielen überraschend mit sechs Punkten als erster Verfolger der Schweiz da und könnten sich mit einem weiteren Coup eine ungeahnte Ausgangslage verschaffen.

«Ein gut organisiertes Team mit namhaften Einzelspielern», sagt Hitzfeld, «wir wissen, was uns erwartet und sind gewarnt.» Hoffentlich auch vor den Qualitäten der Isländer bei stehenden Bällen: Gylfi Sigurdsson traf am Freitag im Gewittersturm von Tirana mit einem direkten Freistoss zum 2:1-Siegtreffer.

Den, das soll nicht unterschlagen werden, verpassten die Norweger in Bern haarscharf. Benaglio entschärfte in der 83. Minute einen Forren-Kopfball, und in der 90 Minute traf Tarik El Younoussi mit einem prächtigen Schuss von der Strafraumkante den Pfosten. Auch deshalb kam Hitzfeld zu dem Schluss: «Wir können mit dem Punkt leben.»

Ein kleiner Rückschlag ist dieses 1:1 dennoch, wähnte sich doch der eine oder andere schon weiter als es dieses Nationalteam tatsächlich ist.

WM-Qualifikation, Gruppe E
Schweiz–Norwegen 1:1 (0:0)
Stade de Suisse, Bern. – 30’712 Zuschauer (ausverkauft). – SR Fernandez Borbalan (Sp).

Tore: 79. Gavranovic (Xhaka) 1:0. 81. Hangeland (Corner John Arne Riise) 1:1.
Verwarnungen: 11 Nordtveit (Foul/in Zypern gesperrt). 40. Derdiyok (Foul/in Island gesperrt). 44. Lichtsteiner (Reklamieren). 73. Yttergard Jenssen (Foul). 83. Benaglio (Reklamieren). 88. Braaten (Unsportlichkeit).

Schweiz: Benaglio; Lichtsteiner, Djourou, Von Bergen, Rodriguez; Behrami (91. Dzemaili), Inler; Shaqiri, Xhaka, Barnetta (70. Gavranovic); Derdiyok.
Norwegen: Jarstein; Ruud, Hangeland, Forren, John Arne Riise; Nordtveit; Braaten, Henriksen, Yttergard Jenssen (83. Wolff Eikrem), Elyounoussi (92. Parr); Söderlund (64. King).

Bemerkungen: Schweiz komplett, Norwegen ohne Abdellaoue und Björn Helge Riise (beide verletzt). – 25. Kopfball von Barnetta an den Pfosten. 90. Pfostenschuss von Elyounoussi.

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