Die ganze Härte des Fussballs

Nach dem 2:1-Sieg von Chelsea gegen Benfica im Final der Europa League: In Lissabon weinen sie seit Mittwochabend bittere Tränen. In London dagegen muss ein Trainer bald seinen Arbeitsplatz verlassen, der seinen Job mit beharrlicher Arbeit erledigt.

Chelsea's Ashley Cole (No. 3) and Ramires celebrate their victory as Benfica's Oscar Cardozo (L) lies on the ground after their Europa League final soccer match at the Amsterdam Arena May 15, 2013. REUTERS/Michael Kooren (NETHERLANDS - Tags: SPORT (Bild: Reuters/MICHAEL KOOREN)

Nach dem 2:1-Sieg von Chelsea gegen Benfica im Final der Europa League: In Lissabon weinen sie seit Mittwochabend bittere Tränen. In London dagegen muss ein Trainer bald seinen Arbeitsplatz verlassen, der seinen Job mit beharrlicher Arbeit erledigt.

Oscar Cardozo lag ausgestreckt auf dem Rasen und weinte bitterlich. Den paraguayischen Stürmer von Benfica Lissabon hatte wie seine Mannschaftskameraden die ganze Härte des Fussballs zum zweiten Mal binnen fünf Tagen brutal und fundamental getroffen.

In der Nachspielzeit hatte der portugiesische Rekordmeister am Samstag das wohl entscheidende Spiel um den nationalen Titel gegen den FC Porto 1:2 verloren. In der Nachspielzeit ging auch Benficas Traum zu Ende, nach zuvor sechs Finalniederlagen mal wieder ein europäisches Endspiel zu gewinnen. Aufs Neue hiess es 1:2, diesmal besiegelt durch Branislav Ivanovics Kopfballtor in der 93. Minute für den überglücklichen Gewinner FC Chelsea.

Yakins Wunsch, Benficas Fluch

Murat Yakin hatte den Sieg des Chelsea FC am Nachmittag vor dem Finalspiel der Europa League erhofft: «Es wäre natürlich schön, wenn Chelsea gewinnen würde.» So ist sein FC Basel im Halbfinal am späteren Titelgewinner gescheitert; was das Ausscheiden im Nachhinein etwas versüsst.

In Lissabon dagegen werden sie weiter die Geschichte des Guttmann-Fluchs erzählen. Unter Trainer Béla Guttmann gewann Benfica letztmals 1962 den Pokal der Landesmeister. Danach erhoffte sich der Ungar einen Bonus, der ihm aber nicht gewährt wurde. Guttmann verliess danach Benfica und soll gesagt haben: «Hundert Jahre lang soll Benfica keinen Europapokal mehr gewinnen.» Seither haben die Lusitaner bereits sieben europäische Finalspiele verloren. fra

Die Westlondoner ernteten am Mittwochabend in der Amsterdam Arena, was eigentlich die Lusitanier gesät hatten. Benfica aber wartet weiter auf den Tag des Triumphs, den dieser weltweit beliebte grosse Club zuletzt 1962 ebenfalls in Amsterdam bei seinem zweiten Sieg im Europapokal der Landesmeister, einem spektakulären 5:3 über Real Madrid, gefeiert hat.

Ein martialischer Vergleich

Ein Déjà Vu gab es unter den Augen des greisen Altstars Eusebio nicht, und so sagte Trainer Jorge Jesus später verbittert: «Wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass wir die verdienten Sieger gewesen wären. Meine Spieler haben sich am Ende gefühlt, als wären sie erschossen worden.»

Ein martialischer Vergleich, der die trostlose Seelenlage der unendlich traurigen Spieler und Anhänger spiegeln sollte. Auf der anderen Seite des Platzes feierten die Blues ihren zweiten Europapokalsieg nacheinander: nach dem glücklichen Erfolg per Elfmeterschiessen auf der grossen Münchner Champions-League-Bühne beim FC Bayern nun also die Zugabe im Kammertheater Europa League.

Und sie taten es nach den Toren von Torres (59. Minute) und Ivanovic bei einem Gegentreffer durch Cardozo per Handelfmeter (68.) mit derselben Hingabe wie am 19. Mai 2012. «Wir geben nie auf», beschrieb die tschechische Torhüter-Ikone Petr Cech das zähe Beharrungsvermögen seiner Mannschaft, «und wir werden für unsere Mentalität belohnt.»

Diesen Titel will Chelsea möglichst nicht verteidigen

Chelsea hat anders als andere, in diese Liga als Gruppendritte der Champions League abgestiegene Teams die neue Aufgabe im Schatten der Glamourklasse auf Anhieb angenommen und optimal gelöst. Ein Wiedersehen im Unterhaus des europäischen Fussballs soll es aber so schnell nicht wieder geben. Ein Sieg am Sonntag im letzten Saisonheimspiel der Premier League über den FC Everton, und der Tabellendritte Chelsea ist auch im kommenden Jahr in der Königsklasse dabei.

«Wenn wir unsere Ziele erreichen», sagte Cech am frühen Donnerstagmorgen in Amsterdam, «bekommen wir nicht noch einmal die Gelegenheit, um den Titel in der Europa League mitzuspielen.» Sie würden es verschmerzen, so wie es die professionelle Londoner Reisegruppe verschmerzt hat, auf die grosse Sause nach dem Finalsieg über Benfica verzichten zu müssen.

Noch in der Nacht ging es über vierzig Flugminuten zurück in die englische Hauptstadt, wo danach Bettruhe die erste Profipflicht für die Spieler war, die gegen Everton noch einmal einen Nachweis ihrer Unbeugsamkeit liefern müssen.

Erinnerungen an das Vorjahr

Dass der FC Chelsea nun für zehn Tage im Titelhalter der beiden grossen europäischen Vereinswettbewerbe ist, war am Mittwoch nur eine Randnotiz zu einem Endspiel, das Benfica mit seinem schönen Spiel verzierte und die Engländer dank ihrer Effektivität gewannen.

Vieles erinnerte dabei an den Final im Vorjahr, in dem ebenfalls die bessere Mannschaft verloren hatte und in dem ebenfalls ein Kopfballtor die Tür zum grossen Erfolg öffnete.

War es 2012 Didier Drogba, der nach Chelseas erstem Eckstoss in der 88. Minute den Ball zum 1:1 ins Tor wuchtete, ehe Chelsea das grosse Glück im Elfmeterschiessen nach der Verlängerung anlächelte, sorgte diesmal nach Matas Eckball Ivanovics schulbuchmässiger Kopfball für die Entscheidung. Zwei Lissabonner Abwehrspieler blieben in dieser Szene ebenso erstarrt stehen wie bei Torres’ Sololauf vor dem 1:0 in Richtung Torhüter. Der Serbe und der Spanier nutzten ihre Momente, die aber nicht allein Produkte des Zufalls waren.

Ein stillvergnügter Benitez

Trainer Rafael Benitez, im November als Nachfolger des gefeuerten Champions-League-Siegertrainers Roberto Di Matteo gekommen, hatte in den vergangenen Wochen mit viel Liebe zum Detail an der Perfektionierung von Ivanovics Kopfballstärke und der Wiederbelebung von Torres’ Torgefährlichkeit gearbeitet.

Der 53 Jahre alte Madrilene, der nach dieser Saison allen späten Erfolgen zum Trotz die Stamford Bridge verlassen muss, genoss diesen Abend, an dem ihm erstmals auch ein Teil der Chelsea-Fans applaudierte, stillvergnügt. Der Pragmatiker ohne Charisma ist längst einer der Grossen in seinem Genre, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Wer 2004 mit dem FC Valencia den Uefa-Pokal und 2005 mit dem FC Liverpool die Champions League gewonnen hat, bedarf, zumal nach dem jüngsten Europa-League-Erfolg, keiner weiteren Referenzen, um seine Klasse ins rechte Licht zu setzen.

Doch beim Westlondoner Club, der von den Millionenzuwendungen seines russischen Mäzens Roman Abramowitsch seit Jahren subventioniert wird, konnten sie mit dem wie ein Bürokrat ausschauenden rundlichen Spanier nie etwas anfangen. Ihm fehlt der Glamourfaktor, den sein Vorvorgänger und mutmasslicher Nachfolger José Mourinho in diesen Verein der Reichen brachte.

Die Arbeit hat sich ausbezahlt

Wie die Fans ignorierte auch Abramowitsch die Arbeit des emsigen Spaniers, der unter anderem auch geholt wurde, um dem verunsicherten Torjäger Torres, in gemeinsamen Liverpooler Zeiten einer von Benitez’ Musterschülern, wieder auf die Beine zu helfen.

Torres dankte es seinem Coach mit sechs Treffern in der Europa League und überspielte damit seine chronische Schwäche in der Premier League, in der der 29-Jährige, im Januar 2011 für 50 Millionen Pfund gekommene Welt- und Europameister, bisher nur 14 Tore in 81 Einsätzen schoss.

Rafael Benitez‘ Bemühungen haben sich wieder einmal unter erschwerenden Umständen ausgezahlt. Den Lohn dafür wird er demnächst woanders ernten – vielleicht wieder in der Premier League, gewiss aber jenseits von Chelsea.

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