Während die meisten Nationen ausländische Gäste kaum in ihre Olympiahäuser lassen, hält das House of Switzerland für alle die Türen offen. Das vom Departement für äussere Angelegenheiten bezahlte Haus ist damit eine Attraktion im Olympiapark. Bloss bei der Käsebestellung und der Grösse der Wall of Fame haben sich die Erbauer verrechnet.
Es ist Mitternacht im Olympiapark. Die letzte Kür ist gelaufen, der letzte Puck gefallen, alles ist ausgiebig besprochen, gefeiert, betrauert worden. Sogar der Olympiashop, russischer Hotspot der Spiele mit stundenlangen Warteschlagen, hat inzwischen geschlossen. Nur aus einem zweistöckigen Holzhaus vor der Brücke zum Ausgang des Parks kommen noch Licht und Stimmen.
Viele Stimmen, laute Stimmen, denn im House of Switzerland ist mal wieder die Hölle los. Schon der Eingangsbereich ist so voller kanadischer Eishockey-Fans, dass man überhaupt nicht in den Patio der Schweizer Repräsentanz vordringen kann. Fans mit Cowboyhut, Fans mit Eishockeyhelm, einer hat sich sogar schwarz angemalt als Hommage an den dunkelhäutigen Nationalspieler P.K. Subban. Blackfacing scheint offenbar weder in Kanada noch in Russland ein kontrovers diskutiertes Thema zu sein. Die Fans trinken Dosenbier und sind, vorsichtig gesagt, sehr ausgelassen; es fühlt sich an wie eine Zeitreise zu den letzten Spielen, als wäre man wieder in Vancouver.
Massige Eishockey-Fans samt ihrer kreischenden Freundinnen sind vielleicht nicht direkt die Klientel, die das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) als erstes im Sinn hatte, als es sich entschloss, auch in Sotschi wieder die Vorzüge der Schweiz zu präsentieren. Aber der entscheidende Punkt ist: Sie sind trotzdem willkommen.
Die anderen ziehen die Burgtore hoch
Während sich Amerikaner und Deutsche, ja auch die Kanadier selbst, die Burgtore hochziehen und ausländische Gäste gar nicht oder bloss nach enervierendem Anmeldungsprozedere in ihre Stuben einlassen, pflegt das House of Switzerland den Ursprungsgedanken von Olympia als internationale Begegnungsstätte. Es ist offen für jeden. Und allein das ist beste Werbung bei Spielen, die heutzutage, egal wo, viel mehr Zäune aufstellen als Türen öffnen.
«Wir werden überrannt», sagt Benjamin Blaser, der das Projekt als Sprecher betreut. Mit 2000 Gästen pro Tag hat das EDA in etwa kalkuliert, 6000 bis 7000 sind es geworden. Blaser schlüsselt auf: «Zirka 15 Prozent sind Schweizer, 10 Prozent internationale Besucher und 75 Prozent Russen.»
Das mit den vielen Einheimischen freut die House-Manager besonders, denn dieses Jahr feiern die Schweiz und Russland das 200-jährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen. Selbst wenn beide Nationen in der heutigen Form damals noch gar nicht existierten.
Putin war exakt elf Minuten im House of Switzerland
Moskaus Aussenminister Sergej Lawrow hat dem ungeachtet zusammen mit Bundespräsident Didier Burkhalter eine kleine Ausstellung im Innenraum eröffnet, bei der man unter anderem erfährt, dass der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler die Grundidee für Sudoku in Moskau entwickelte, und der erste Doktortitel für eine Frau an einer Schweizer Universität an eine Russin verliehen wurde. Auch Wladimir Putin rauschte schon mal mit seiner Security durch das Haus. Exakt elf Minuten, erinnern sich die Mitarbeiter.
Wo jetzt die Eishockey-Fans trinken, haben ein paar Stunden vorher Patrizia Kummer und Nevin Galmarini ihre Medaillen im Snowboard-Riesenslalom gefeiert. Es wird dann immer eine kleine Siegesparty inszeniert, das Schweizer Fernsehen überträgt. Bei Iouri Podladtchikov ging es am wildesten zur Sache; weil er ein cooler Bursche aus der Halfpipe ist, klar, aber auch wegen seiner vielen russischen Fans.
Podladtchikov unterschrieb wie die anderen Medaillengewinner ausserdem eine Tafel mit Namen, die an die Holzwand nebenan gehängt wird. «Wall of Fame», nennen sie die hier, und schon als die Bobfahrer am Montag Silber gewannen, musste sie erweitert werden. So sehr übertreffen die Schweizer Sportler hier die Erwartungen der Diplomaten.
Dass anders als bei den übrigen Ländern nicht das Nationale Olympische Komitee, sondern ein Aussenministerium als Hausherr auftritt, ist Tradition, seit 1998 in Nagano erstmals ein House of Switzerland errichtet wurde. Die Reihenfolge der Interessen ist deshalb eine andere als bei anderen Nationen, die ihre Hütten für ihre Athleten und noch mehr für (Semi-)Promis aus der Heimat konzipieren. «Bei uns geht es erstens ums Image der Schweiz. Und zweitens um einen Treffpunkt für unsere Athleten», sagt Blaser.
Die Sportler haben im ersten Stock einen abgetrennten Lounge-Bereich, der sowohl für Pressekonferenzen genutzt wird als auch am Abend zum Tanzen, mit Mischpult, Discokugel und einer DJane aus Kanada. Aus dem Fenster blickt man auf die olympische Flamme und die Eishockeyhalle mit ihren schicken LED-Farbenspielen.
Ansonsten ist das Holzhaus ein Monument der Sachlichkeit inmitten der bunten, schrillen, manchmal trashigen Ästhetik dieser russischen Spiele. Nachempfunden ist es einem Schweizer Chalet. «Wir wollen Klischees zeigen, aber das verbunden mit der innovativen Schweiz», sagt Blaser. Also hängen im Restaurant beispielsweise Bergfotos an der Wand, allerdings als beleuchtete Installation.
Im Nebenraum steht das Raketenprojekt
Fragt man die Russen nach ihrem Bild von der Schweiz, erzählen Mitarbeiter, kommt das Übliche: Heidi, Schokolade, Banken, Berge. Gelinge es, die Besucher da abzuholen, könne man ihnen im Nebenraum auch das Raketenprojekt einer Start-up-Firma aus Payerne zeigen.
Das Haus, auch darauf ist man stolz, ist nachhaltig; innerhalb von zwei Wochen auf- und abbaubar. Im Sommer wird es bei der Leichtathletik-EM in Zürich auf dem Sechseläutenplatz stehen. Finanziert wird es überwiegend aus Steuergeldern, ein Drittel muss über private Sponsoren akquiriert werden. Und das ist gar nicht so einfach.
Da das Schweizer Haus als eine der wenigen Länderdependancen auf dem Olympiagelände steht, unterliegt es den strengen IOC-Regeln, was bedeutet: es braucht sogar für Dinge eine Genehmigung, an die man nicht mal im Traum gedacht hat.
Werbung für Schönheitsoperationen
Am pingeligsten ist das IOC bekanntlich bei den Sponsoren. Es darf da keinen Kannibalisierungseffekt geben, die Mäzene der Schweiz müssen also aus anderen Sektoren kommen als die Olympiafinanciers. Im House wirbt nun unter anderem das Genolier-Netzwerk für Schönheitsoperationen. «Das hat in Russland ja einen guten Markt», sagt Blaser und lacht.
Ebenso unübersehbar populär ist bei den Olympiagastgebern allerdings das Essen. Für das House ist es das logistische Hauptproblem. Wegen der strengen Einfuhrbestimmungen nach Russland wie Olympialand müssen ein paar Umwege in Kauf genommen werden, um den Gästen echte Spezialitäten wie die Olma-Wurst anzubieten. Ein Schweizer Metzger aus Moskau liefert das Fleisch, ein Schweizer Winzer von der Schwarzmeerküste den extra abgefüllten Wein. Vor ein paar Tagen ging wegen des grossen Ansturms schon der Raclette-Käse aus.
Wie das eben so ist, bei einer In-Location des Olympiaparks. Wenn der nicht um zwei Uhr schliessen würde, bekäme man die kanadischen Fans wahrscheinlich die ganze Nacht nicht aus dem Haus. «Switzerland’s cool», sagt der mit dem Helm. «Yeah», der mit dem Hut. Auch wenn sie wahrscheinlich immer noch nicht wissen, wie die erste Doktorandin an einer Schweizer Universität hiess: Nadeschda Prokofjewna Suslowa.