Die grosse Schlusspointe eines unvergesslichen Turniers

Die unglaubliche Tenniskarriere des Roger Federer ist um ein Kapitel reicher. Und es scheint, als hätte der alte und neue Meister der Eleganz seines Spiels neue Facetten hinzugefügt, die bislang Rafael Nadal vorbehalten waren.

epa05758954 Roger Federer of Switzerland celebrates winning against Rafael Nadal of Spain during their Men's Singles Final match at the Australian Open Grand Slam tennis tournament in Melbourne, Victoria, Australia, 29 January 2017. EPA/FILIP SINGER

(Bild: Keystone/FILIP SINGER)

Die unglaubliche Tenniskarriere des Roger Federer ist um ein Kapitel reicher. Und es scheint, als hätte der alte und neue Meister der Eleganz seines Spiels neue Facetten hinzugefügt, die bislang Rafael Nadal vorbehalten waren.

Er ist als «Mozart des Tennis» beschrieben worden. Als Künstler, als «Poet der Centre Courts», als Genie, als Ästhet am Ball. Was viele nie in ihm sahen, einen der zähesten Wettkämpfer seines Sports, einen Mann der Standfestigkeit und mit eisernen Nehmerqualitäten – genau dieser Roger Federer trat am Sonntagabend, auf der Zielgeraden seiner verrücktesten Grand Slam-Mission, in ganzer Pracht und Herrlichkeit auf: 1:3 lag Federer im fünften Satz des «Gigantenkampfs von Melbourne» gegen Rafael Nadal bereits zurück, er schien geschlagen und zermürbt vom bulligen mallorquinischen Fighter.

» Zur den Direktvergleichen zwischen Roger Feder und Rafael Nadal

Doch so unverdrossen und leidenschaftlich, wie er sich zuletzt mit seinen 35 Jahren an das Comeback nach der längsten Verletzungspause seines Tennislebens gemacht hatte, so störrisch weigerte sich Federer auch in der Hitze des Gefechts, die scheinbar besiegelte Niederlage zu akzeptieren.

Und daher lieferte er schliesslich auch die erstaunliche Schlusspointe dieses Turniers der Sensationen und unvorhersehbaren Drehs, war für den dramaturgischen Kniff im Nostalgie-Endspiel verantwortlich: Nicht nur die nächsten fünf Spiele gewann der beeindruckende Fighter Federer mit aller gebotenen Entschlossenheit in Folge, sondern auch die unvergesslichen Australian Open 2017 mit dem 6:4, 3:6, 6:1, 3:6 und 6:3-Sieg über Nadal.

Roger Federers 18 Finalsiege an Grand-Slams in der Übersicht. (Bild: Wikipedia)

Respekt vor dem Gegner

Grand Slam-Titel Nummer 18, dem er so lange als Favorit und Mitkandidat auf die Höchstpreise im Tennis nachgejagt war – nun holte er ihn als dezenter und doch unübersehbarer Aussenseiter, als Nummer 17 der Welt.

«Es ist eine unglaubliche Geschichte», sagte Federer nach seinem finalen Entfesselungsakt, den er im 100. Australian Open-Match auf dem Centre Court festschrieb. Rod Laver-Arena heisst dieser Hauptplatz in Melbourne offiziell, und jener Rod Laver, Australiens Legende und Federers Idol, war es auch, der den glückstrunkenen und zu Tränen gerührten Schweizer mit dem Siegerpokal beschenkte.

«Tennis ist brutal, es gibt nur einen Sieger. Aber heute wäre ich auch mit einem Unentschieden zufrieden gewesen.»

Roger Federer

Federer, ganz der Gentlemen, der er ist, vergass in all seiner augenblicklichen Freude nicht den Mann, der dieses Finale zu einem Klassiker gemacht hatte, zu einer faszinierenden Leistungsschau der alten, ewigen Meister – Rafael Nadal: «Er hätte es genau so verdient gehabt», sagte Federer, «Tennis ist brutal, es gibt nur einen Sieger. Aber heute wäre ich auch mit einem Unentschieden zufrieden gewesen.»

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Dass er viereinhalb Jahre nach seinem letzten Major-Sieg noch einmal eine Grand Slam-Anstrengung mit dem Pokaltriumph abschliessen würde, hatten viele in der Branche Federer nicht mehr zugetraut – schon gar nicht, nachdem er in der Saison 2017 wie nie zuvor mit härtnäckigen Verletzungsproblemen konfrontiert war. Nach dem Wimbledon-Aus erwies sich Federer allerdings wieder einmal als heller strategischer Kopf – statt eines holprigen Weiter-So-Lavierens in dem verfluchten Tennisjahr machte der Maestro einen radikalen Schnitt und verfügte eine Zwangspause.

Sechs Monate nahm er sich Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen, um Körper, aber auch Geist aufzuladen. Relativ gelassen und ohne Entzugserscheinungen schaute er zu, wie seine Kollegen um die olympischen Medaillen, den US Open- und später noch den WM-Titel spielten. «Hätte ich nicht so lange ausgesetzt, könnte ich jetzt wahrscheinlich keinen Topspieler mehr schlagen», sagte Federer in den letzten Tagen einmal in Melbourne, «es war harte Arbeit, dieses Comeback. Aber auch eine Kur für den Körper.»

Ein hartes Stück Arbeit

Geschenkt wurde dem sentimentalen Publikumsfavoriten allerdings nichts. Zwei vergleichsweise angenehme Auftaktmatches gaben ihm Gelegenheit, seine Wettkampftauglichkeit abzuklären, Vertrauen in die Schläge und die körperliche Belastbarkeit zu finden.

Doch bis zum Titelstreich hatte er Schwerstarbeit zu leisten, der Künstler und der Malocher in Federer waren gleichermassen gefragt, als es gegen Top Ten-Spieler wie Tomas Berdych, Kei Nishikori und erst recht seinen Landsmann Stan Wawrinka ging. Federer brillierte dabei auch alterslos und wie in Zeiten der grössten Tennis-Dominanz in seiner Paraderolle – als Mann der Big Points, als einer, der in entscheidenden Momenten volles Risiko geht. Und nicht auf Fehler seines Gegenübers wartet.

«Ich habe nie lähmenden Druck bei diesem Turnier verspürt», sagte Federer, «ich wäre ja auch glücklich gewesen, wenn ich zwei, drei Runden und etwas Selbstbewusstsein mitgenommen hätte.»

Federers Weg in den Final von Melbourne. (Bild: Scoresway.com)

Doch Federer musste seine Hoffnungen auf bessere Resultate, den Traum gar von spätem Grand Slam-Ruhm erst gar nicht auf ein ungewisses Morgen vertagen. Er schaffte das eigentlich Unmögliche im Hier und Jetzt, in Melbourne, wo er schon vier Mal mit dem Titel im Gepäck nach Hause gefahren war. Nummer 5 bei den Australian Open – und damit Nummer 18 auf allen kostbaren Grand Slam-Schauplätzen – hielt indes noch die für Federer stets heikelste Karriere-Aufgabe bereit, den Schlagabtausch mit Rafael Nadal, der Kampfmaschine aus Manacor.

Dessen Attitüde, nie, nie, niemals aufzugeben, führte Federer im Finale dann aber selbst in Perfektion vor – in jener Schlusssequenz vom 1:3 zum 6:3 im letzten Satz. Vielleicht war diese verblüffende Wendung auch der Grund dafür, dass Nadal später dieses Endspielfazit zog: «Roger hat es etwas mehr verdient als ich.»

Nadal, auch in der Niederlage wieder einmal ein Vorbild an Fairness und Charakterstärke, wirkte in diesen Minuten nach dem Knockout schwer angeschlagen, kaum jemals blickte er enttäuschter und grimmiger drein. Und auch Federers Worte konnten ihn nicht trösten: «Ich bin sicher, dass Du noch grosse Siege feiern wirst. Mach´weiter so, das Tennis braucht Dich.»

Federers Letzte Worte in der Rod Laver-Arena lassen Raum für Spekulationen:

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