Zum 21. Mal kommt es zum Europacup-Klassiker Real Madrid gegen Bayern München. In Spaniens Hauptstadt herrscht jedoch nicht die übliche Hysterie, was womöglich mit dem Respekt vor Pep Guardiolas Mannschaft zu tun hat. Angeblich sagt man sich bei den Königlichen: Die beste Version von Real hat gegen die beste Version der Bayern keine Chance auf ein Weiterkommen.
Das gab es auch schon lange nicht mehr: Der FC Bayern kommt in die Stadt, und auf den Titelseiten der Madrider Sportpresse muss man die Ecken absuchen, um davon zu erfahren. Keine Kampfansagen, keine schwarzen Bestien, kein Oliver Kahn mit Matsch im Gesicht und der Schlagzeile: Das ist der Feind. Im Mittelpunkt des Hauptstadtlebens stand gestern erst mal das andere Champions-League-Halbfinale im sieben Kilometer von Reals Estadio Santiago Bernabéu entfernten Vicente Calderón.
Das luxuriöse Fussallangebot der Metropole erklärt die vergleichsweise gesetzte Atmosphäre vor der 21. Auflage des Europapokal-Klassikers allerdings nur zum Teil. Nicht mal über die vom FCB gedruckten Fan-T-Shirts, auf denen er sich kurz nach der Auslosung nicht nur zum Angstgegner («bestia negra»), sondern gleich auch zum Finalisten erklärte, will man sich grossartig aufregen.
Die Aktion bestätigt viele bei Real in ihrer traditionell nicht allzu hohen Meinung von Bayerns Manieren, und sollten die Deutschen ausscheiden, darf mit extra grosser Schadenfreude gerechnet werden. Aber fürs erste hält man sich lieber zurück. Zu gross ist die Sorge, sich selbst mit vorlauten Sprüchen zu blamieren.
Real und der Deutschland-Komplex
Denn sportlich könnte der Respekt vor den Münchnern kaum grösser sein. Das Duell in dieser Saison weicht insofern klar vom historischen Parameter ab. In Madrid sahen sie sich in der Regel immer als fussballerisch überlegen; die monströsen Ängste betrafen vor allem die Mentalität der Münchner sowie den eigenen, rational kaum erklärbaren Deutschland-Komplex.
Gegen einen bislang souveränen und noch dazu von Pep Guardiola trainierten Titelverteidiger stellt sich die Lage jedoch anders da. Wie die Zeitung «El País» berichtet, hätten die königlichen Späher nach intensiver Gegnerbeobachtung ihrem Trainer Carlo Ancelotti eine deprimierende Grundthese eröffnet: Danach hätte die beste Version von Real Madrid gegen die beste Version von Bayern München keine Chance auf ein Weiterkommen.
Real Madrid hofft auf Cristiano Ronaldo (links), der sich am Dienstag im Training zurückmeldete, und auf den erkälteten Gareth Bale. (Bild: Reuters/ANDREA COMAS)
Eine erstaunliches Eingeständnis angesichts einer voraussichtlichen Startelf, in der nur zwei Spieler unter 25 Millionen Euro gekostet haben, die Eigengewächse Iker Casillas und Daniel Carvajal. Doch die Summe der edlen Einzelteile ergibt bei Real schon seit dem letzten Champions-League-Sieg 2002 nicht den ersehnten Mehrwert. Auch unter dem neuen Trainer Carlo Ancelotti bleibt Madrid vor allem mit Kontern gefährlich: wenn es schnell das Mittelfeld passieren und die immense Athletik von Cristiano Ronaldo oder neuerdings Gareth Bale einsetzen kann.
Gegen einen Rivalen vom Kaliber des FC Bayern ein Spiel im Mittelfeld zu kontrollieren, beherrscht es trotz Fortschritte durch die Integration von Luka Modric immer noch nicht. Schon beim letzten Aufeinandertreffen, im Halbfinal 2012, konnte Real eine 2:0-Hinspielführung zuhause nicht verteidigen und verlor im Elfmeterschiessen.
Ancelottis Respekt vor der Bayern-Perfektion
Unter Guardiola haben die Münchner darüber hinaus Varianten erarbeitet, die Ancelotti bei perfekter Exekution als kaum zu verteidigen eingestuft haben soll: wie das Aufrücken der Aussenverteidiger ins zentrale Mittelfeld und die daraus resultierende Entfesselung der Spielmacher zu weiteren Angreifern.
Freilich ist auch den Madrilenen nicht entgangen, dass das mit der Perfektion bei den Bayern zuletzt so eine Sache war. Seit dem 0:3 der Münchner zuhause gegen Dortmund am Tag nach der Halbfinal-Auslosung ist der anfängliche Pessimismus von zarter Hoffnung ersetzt worden: Kommen die Bayern nicht in bester Version, sieht sich Real mit allen Chancen.
Die beiden zuletzt maladen Superstars Ronaldo (Kniebeschwerden) und Bale (Grippe) trainierten gestern jedenfalls ohne Beschwerden. Ancelotti bestätigte den Einsatz des Walisers, bei Ronaldo sollen am Spieltag weitere Untersuchungen vorgenommen werden. «Wenn es das Risiko eines Rückfalls gibt, wird er nicht spielen.»
BBC – Real und das taktische Korsett
Die Frage eines Einsatzes des Weltfussballers hat weitreichende taktische Implikationen. Kann er mitwirken, ergibt sich die Aufstellung praktisch von selbst. Dann spielt Real immer im 4-3-3-System mit «BBC» im Angriff: Bale, Benzema, Cristiano. Ohne ihn würde sich für Ancelotti wesentlich mehr Manövrierspielraum eröffnen. Der Pokalsieg vorige Woche gegen Barcelona gelang auf Basis eines 4-4-2, mit Isco als zusätzlichem Mittelfeldspieler zu den üblichen Xabi Alonso, Modric und Ángel Di María. Real wirkte kompakter als in vorherigen Schlüsselspielen, in denen es oft in zwei Teile zerbrach.
So ist die Einlassung von Alonso, dem Kopf der Mannschaft, schon auch als dezenter Hinweis an die oft etwas arbeitsscheuen Starangreifer zu verstehen: «In diesem Stadium des Wettbewerbs braucht es das Engagement der ganzen Mannschaft. Wir müssen immer ein Block sein.» Noch deutlicher wurde Ancelotti: «Ich hoffe, dass wir als Elf auftreten. Und das ist nicht als Witz gemeint.»