Die Lust am Spiel

Sepak Takraw, Lacrosse, Unterwasser-Rugby, Cricket, Ultimate Frisbee und Velo-Polo: Was sich wie ein Klanggedicht liest, ist ein Streifzug durch Basels alternative Sportkultur.

SPORTSERIE TAGESWOCHE: SEPAK TAKRA (Bild: STEFAN BOHRER)

Sepak Takraw, Lacrosse, Unterwasser-Rugby, Cricket, Ultimate Frisbee und Velo-Polo: Was sich wie ein Klanggedicht liest, ist ein Streifzug durch Basels alternative Sportkultur.

Nur schon in der Region Basel könnte er einer von Tausenden sein: Ein gewöhnlicher Junge in einem Leibchen des FC Allschwil jongliert einen Ball. Ein fussballspielender Junge halt. Doch es ist ein ungewöhnlicher Ball, ein geflochtener, den er in einer Turnhalle im Gundeli in der Luft hält. Es ist ein Sepak-Takraw-Ball.

Das macht ­Maxim Staehelin aus Basel zu einem von ganz wenigen – in der Schweiz. Die Stimmung in seinem neuen Verein, dem Sepak Takraw Club Schweiz, wo diese Mischung aus Fussballtennis und Volleyball gespielt wird, sei viel besser, sagt er. Zu ambitioniert sei es bei seinem alten Club, dem FC Allschwil, zugegangen, und der 16-Jährige präzisiert: hoffnungslos ambitioniert.

Unbekannte Sportarten in Basel

Die TagesWoche portraitiert Sportarten, die derart am Rande stehen, dass sie gerade deswegen schon wieder anziehend wirken. Kommt dazu: Wer in der Region Basel ziemlich allein auf weiter Flur steht, ist dafür oft international vernetzt.

Ausserdem erschienen:
Die Lust am Spiel
Velo-Polo
Ultimate Frisbee
Sepak Takraw
Unterwasserrugby
Lacrosse

Wir haben fünf Videos zu den vorgestellten Sportarten zusammengestellt.

Wir schauen uns um in Basels alternativer Sportkultur und begegnen Unterwasser-Rugby und Lacrosse, Velo-Polo und Ultimate Frisbee, Cricket und Sepak Takraw. Mit der Perspektive des Jugendlichen, der die Welt und ihr Funktionieren für sich entdeckt und nicht im selben Verein wie seine Eltern alt werden möchte.

Für ihn sind diese Sportarten Gegenwelten, weil in ihnen andere Verhaltensmuster greifen. Weil nicht absolute Leistungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen als höchste Güter gehandelt werden, sondern Zusammengehörigkeit und die Freude an der Bewegung an sich, am Spiel.

Marco Saner hatte als Jugendlicher Handball gespielt, später Lauf- und Radsport betrieben, um es dann nochmals im Handball zu versuchen. «Aber das Soziale hat nicht gestimmt, ich bin nicht mehr ins Team hineingekommen», sagt der 29-jährige Basler heute. Seit einigen Jahren spielt er nun La­crosse bei den Spartans Basel – und ist bestens integriert: «Es ist ein junges Team, und wir können gemeinsam etwas aufbauen.»

Ohne Schiedsrichter

Auch Maxim Staehelin hatte ein konkretes Motiv für seinen Wechsel vom FC zum Sepak Takraw: «Freundschaften sind mir wichtiger geworden, ich hatte genug von der ewigen Konkurrenz, auch innerhalb des Vereins.» Noch lange kein Grund, darin ein Symp­tom der Spassgesellschaft zu sehen. So einfach ist die Gleichung nicht: Von den Gesichtern der hochkonzentrierten Kids, die sich den Sepak-Takraw-Ball zupassen, tropft der Schweiss auf den Hallenboden. Bis auf die Kicks und das Flirren des Balls ist kaum etwas zu hören, fast flüstert Trainer Reto Loeliger seine Anweisungen an die Spieler.

Maxim Staehelin hat hier die Bedeutung des Dehnens und der damit gewonnenen Beweglichkeit für sich entdeckt. Und die 20-jährige Julia Giulia aus Binningen entkam ihren früheren Fussballtrainern, deren Botschaft noch war: Nur der Sieg zählt. Es geht auch anders, das Juniorenteam des Basler Sepak-Takraw-Clubs zählt trotzdem zu den Besten in Europa.

Im Ultimate Frisbee, einer Art American Football mit Flugscheibe, kulminiert die Abwendung vom rücksichtslosen Erfolgsstreben im gänzlichen Verzicht auf Schiedsrichter. Eine allfällige Regelabweichung zeigt der Gegenspieler an. Kurz wird diskutiert, eine Entscheidung gefällt, und das Spiel läuft weiter. Als Ritual treffen sich die beiden Teams nach der Partie und resümieren gemeinsam das Geschehen auf dem Rasen; der Verlierer beginnt. Bei Turnieren verspricht ein «Spirit of the Game»-Award mindestens so viel Prestige wie der Finalsieg.

Idee der Gemeinschaft

«Die Leistung ist auf jeden Fall wichtig», sagt Luca Miglioretto, der seit zehn Jahren für den Freespeed ­Ultimate Club Basel nach dem flachen Flugkörper hechtet. «Aber sie wird nie auf Kosten der Fairness erbracht. Der Sport basiert auf Respekt und Ehrlichkeit.» Wer nun lauter brave Gutmenschen vor sich sieht, der liegt falsch. Es ist die Jugend von heute, die sich beim Landhof einfindet: Sie parkt das stylische Fixie, trägt bunte Sneakers und hippe T-Shirts, bringt die Coolness der Stadt in den Sport – und umgekehrt die kulturellen Codes des US-Sports in die urbane Sphäre.

Hier verschmilzt Sport mit Lifestyle. Und der alte Leitsatz vom Sport als Schule fürs Leben gilt nicht mehr, weil gesellschaftliche Überzeugungen weniger im Sport erlernt werden, als dass sie selbst Grund für die Wahl der Sportart waren. Die ist nun auch keine Gegenwelt mehr, eher ein gelebter Gegenentwurf zur neoliberalen Gesellschaft: Sport wird zur Fortsetzung des Lebens mit anderen Mitteln, er ist ­Lebensstil.

Ary Vaistij wurde von seinen Ent­deckern praktisch direkt vom Park, wo er sich in seiner Freizeit mit Freunden den Frisbee zugeworfen hat, aufs ­Ultimate-Feld geholt. Heute ist der 26-Jährige ein wichtiges Rückgrat des international erfolgreichen Teams. «Wir sind eine grosse Familie, das gefällt mir besonders», sagt der Basler. «Nicht nur innerhalb des Vereins, sondern in ganz Europa.»

Die Gemeinschaft sorgt überall für ein Bett

Das ist auch für den Velo-Polo-Spieler Lukas Keller der entscheidende Punkt: die Idee der Gemeinschaft. Er war schon Bauer, wurde dann Banker, studiert heute in Basel Philosophie und sagt: «Egal, wo ich auch hinfahre, ich habe überall ein Bett. Dafür sorgt die Community des Velo-Polo.»

Es ist eine Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, die sich in virtuellen und globalen Gemeinschaften Gleichgesinnter eher zu Hause fühlt als in fixen Kategorien, wie sie der Kanton oder der Staat darstellen oder gar der traditionsreiche Verein.

Überhaupt gilt der Verein höchstens da als zweckdienlich, wo er die Orga­nisation erleichtert. Lukas Keller und sein Kollege Daniel Matti kommen noch ohne aus. Beim Abwart erhielten sie die Schlüssel zur Kunsteisbahn Margarethen auch so, wo sie während des Sommers trainierten. «Ein bisschen Charme hat gereicht», erzählt ­Daniel Matti verschmitzt.

Auch Marcus Thiele, Präsident des Unterwasser-Rugby-Vereins Riehen-Basel, sagt: «Die ganze Vereinsmeierei wollten wir immer vermeiden. Die ersten Generalversammlungen haben wir nach dem Training unter der Dusche abgehalten.»

Virale Verdichtung

Die Kanäle, über die der Austausch stattfindet und Informationen weitergegeben werden, sind elektronisch und entschlackt. Es braucht keine ewig langen Sitzungen mehr. Die Werkzeuge liefern die sozialen Medien: Über ihre Facebook-Gruppe geben Lukas Keller und Daniel Matti kurzfristig Ort und Zeit für gemeinsame Partien bekannt. Ein solcher Treffpunkt befindet sich beispielsweise auf Grossbasler Seite unter der Schwarzwaldbrücke.

Ironischerweise pumpte gerade das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 Leben in das Velo-Polo. Die zahlreichen Velokuriere, die im kalifornischen Silicon Valley ihre Briefe und Pakete verteilt hatten, waren plötzlich ohne Arbeit. Also begannen sie Rohrstücke aus Hochdruck-Wasserleitungen zu sägen und diese auf alte Ski-Stöcke zu stecken – ein Ball und zwei Tore dazu, und eine weitere Subkultur war geboren.

Viral vermittelt, hat sie sich rasch verbreitet und verdichtet: «Das Internet ist für die Bewegung unheimlich wichtig», sagt der 33-jährige Keller. «Es werden Neuigkeiten ausgetauscht, Materialtipps gegeben, Freundschaften gepflegt, Schlafplätze geregelt.» Spezialisierte Foren auf dem Netz, die sich mit dem Velo-Polo auseinandersetzen, sind quicklebendig.

Auch in der Aussenwirkung hat das Internet seine Funktion. Wer eine exotische Sportart betreibt, der kennt sie nur zu gut, die Erklärungsnot: «Wie funktioniert das? Immer die gleiche Frage», weiss Joëlle Esteves, die seit sieben Jahren Ultimate Frisbee spielt. «Zur Erklärung schicke ich einen Youtube-Link, das ist am einfachsten.»

Sponsoren: Lust und Leiden

Sportarten wie das Velo-Polo, das Ähnlichkeiten mit dem in Arlesheim betriebenen Einradhockey aufweist, sind nicht streng reguliert. Das Regelwerk ist noch im Begriff, gemeinsam im Netz ausgehandelt zu werden. Erst vor wenigen Wochen fanden in Genf, einer Hochburg des Velo-Polos, die vierten Weltmeisterschaften statt.

«Da wird auch das eine oder andere Bier getrunken und Joints machen die Runde», sagt Lukas Keller, der das nicht unbedingt goutiert. Er nimmt seine Sportart ernst, absolviert mit Daniel Matti auch Laufeinheiten zur Besserung der Kondition.

Ihn würde es freuen, wenn der Sport mehr mediale Aufmerksamkeit erhalten würde. Wobei: «Wird er dann echt zum Trend und alle spielen plötzlich Velo-Polo, dann würde er seinen Reiz für mich wohl verlieren.» Es ist die ewige Krux, ein Paradoxon: Der Wunsch nach Sponsoren und mehr Spielern ist zwar da, die Angst vor totaler Kommerzialisierung aber auch.

Bekannt durch den Exotenstatus

Denn es gab ja einst einen Grund, warum man sich diese spezielle Sportart ausgesucht hat. So wie bei den 18-jährigen Pascal Andermatt aus Witterswil und Patrick Buser aus Riehen. Sie sind heute als Rookies zum ersten Mal im Lacrosse-Training auf dem Rankhof dabei. «Es ist einfach etwas anderes», sagt Andermatt. «Mich haben die Sportarten aus Nordamerika schon immer angesprochen. Und La­crosse – ja, das spielt halt nicht jeder. Das macht es schon aus.»

Die geschilderten Sportarten sind Randphänomene, auch wenn gerade der Exotenstatus den Bekanntheitsgrad der einen oder anderen regional hat ansteigen lassen. Patrick Buser beispielsweise wurde durch einen Bericht auf Telebasel auf Lacrosse aufmerksam. Sie sind Zeichen einer diversi­fizierten Kultur, wo die gemeinsame, spezielle Tätigkeit Identität stiftet. Und das manchmal auch über Landesgrenzen hinweg.

Das gilt auch für Cricket. Am Bachgraben treffen sich Expats aus aller Welt, insbesondere aus den Ländern des Commonwealth, um den urbritischen Sport auszuüben. «Ich habe mein Leben lang Cricket gespielt», sagt Sundeep Gaba. «Die Liebe zum Spiel bringt uns zusammen, und für jeden ist es auch ein Stück Heimat.»

Integrative Wirkung

Auch wenn im Basel Cricket Club von siebzig Mitgliedern nur etwa fünf den Schweizer Pass besitzen, habe der Sport eine integrative Wirkung: «Er bringt mich mit Menschen zusammen, die ich sonst nicht kennenlernen würde. Und jeder ist mehr als willkommen, bei uns Cricket auszuprobieren.»

Der in Indien aufgewachsene Sundeep Gaba, der nach über einer Dekade in Grossbritannien seit drei Jahren am Rheinknie arbeitet, spricht einen wichtigen Punkt an. Nicht zu jedem exo­tischen Sport ist der Zugang so einfach, wie es der Schritt vom Frisbee-Spiel im Park zur Ultimate-Version auf dem Grossfeld ist.

Oft ist eine spezielle Ausrüstung von­nöten; schnell im Privaten ausprobieren geht also nicht. Entweder heisst es, ­selber basteln oder im Ausland bestellen. Auch da vereinfacht das Internet so einiges. Schauplatz Gartenbad Eglisee: Im Unterwasser-Rugby ist ein mit Salzwasser gefüllter Ball das Objekt der Begierde. «Man kann den Ball zwar selber nach einem bestimmten Mischrezept füllen, aber das ist uns mittlerweile zu aufwendig. Wir bestellen ihn in Deutschland», erklärt Präsident Marcus Thiele.

Probleme bei der Infrastruktur

Augenscheinlicher noch wird es bei der benötigten Infrastruktur: Der Korb ist im Unterwasser-Rugby am Boden eines rund drei Meter tiefen Beckens befestigt. Tauchgruben gibt es in Basel aber gerade mal drei. «Im Sommer können wir im Eglisee wunderbar trainieren. Aber im Winter weichen wir ins Bäumlihof aus, und da ist es für uns viel zu wenig tief.»

Die Stimmung am Beckenrand, bevor es losgeht und anderthalb Stunden am Stück geschnorchelt und getaucht wird, ist etwas weniger locker und ausgelassen als beim Ultimate Frisbee. Hiess man sich im Landhof noch mit einem speziellen Handgruss willkommen, werden im Gartenbad Eglisee die Zuspätgekommenen erst einmal freundlich zusammengestaucht.

Die Gruppe zeichnet sich durch ihre Heterogenität aus, sie reicht von 14- bis 47-Jährigen, und Frauen wie Männer kämpfen um den Ball. Überhaupt ­mischen sich bei den hier besprochenen Sportarten auffallend oft die Geschlechter; die meisten kennen eine Mixed-Version.

Der spielende Mensch

Eine Konstante, die sich in diesem Streifzug durch Basels alternative Sportkultur zeigt, ist die unbändige Lust am Spiel. Vielleicht ist es ­sogar eine menschliche Konstante, und es gibt den «homo ludens» wirklich. Der Landhof, das Gartenbad Eglisee, die Kunsteisbahn Margarethen, eine Turnhalle im Gundeli, der Rankhof und das Bachgraben: Es ist nicht so, dass diese exotisch anmutenden Beschäftigungen im Verborgenen stattfinden würden – im Gegenteil. Es faltet sich eine Topografie auf, die Basel auf neue Weise lebendig und vielseitig erscheinen lässt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

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