Haarscharf am Aus in der Champions League vorbeigeschrammt – der FC Basel im Findungsprozess einer noch jungen Saison.
Er hatte dieses dumpfe Gefühl, dass ein zweites Tor nötig wäre. Bernhard Heusler sass im zweiten Rang des St.-Jakob-Parks und hatte in der Schlussphase der Partie gegen den Molde FK Bilder vor Augen: ein letzter, hoher Ball in den Strafraum, vielleicht ein abgefälschter Schuss. Es war dann tatsächlich ein hoher Ball, ein Foul, ein Pfiff, und seine Gefühlswelt beschreibt der Präsident des FC Basel, der seit seiner Amtsübernahme so viele glückliche Momente erleben durfte, ohne grosse Dramatik: «Man schickt sich in die Situation.»
Fünf mögliche Gegner bei Auslosung der Playoffspiele
Um 12.00 Uhr werden in Nyon die Playoffs zur Champions League ausgelost. Auf dem sogenannten «Meisterweg» ist der FC Basel als Team mit dem höchsten Uefa-Koeffizienten gesetzt. Die möglichen Gegner sind die Meister aus Rumänien (CFR Cluj), Schweden (Helsingborgs IF), Slowenien (NK Maribor), Zypern (AEL Limassol) und Israel (Hapoel Kirjat Schmona). Die Auslosung wird von Eurosport 2 übertragen und kann auf uefa.com mitverfolgt werden. Die Playoffs sind für 21./22. August und eine Woche später am 28./29. August angesetzt. (cok)
Auf dem Flug nach Molde in der Woche zuvor hatte Heusler noch geunkt: «Es kann nicht immer Champions League sein.» Jetzt hat der FC Basel fürs erste die Gruppenphase der Europa League auf sicher, den nächsten Schritt in die Beletage kann er in den Playoffs machen, die an diesem Freitag ausgelost werden (siehe Beitrag rechts).
Vergangene Saison erlebte der FC Basel die herausragenden Momente im letzten Gruppenspiel gegen Manchester United, dann im Achtelfinal-Hinspiel gegen Bayern München. Momente, in denen er neben seiner Klasse auch das nötige Wettkampfglück besass. Jetzt hat er die erste sportliche und emotionale Zuspitzung bereits im vierten von insgesamt sechs Qualifikationsspielen hinter sich.
Die 92. Minute des Rückspiels am Mittwoch gegen den norwegischen Meister. Ein Penalty und eine Parade. 1:1-Unentschieden, Molde draussen, Basel weiter. «Die Ambivalenz des Fussballs, dieses begeisternden Spiels, das immer auch Zufälligkeiten birgt, Glück und Pech hervorbringt, ist uns vor Augen geführt worden», sagt Heusler. Mit dem diesmal äusserst glückhaften Ende für den FC Basel.
Schweizerisches und norwegisches Sportsmanship
In der Nacht noch telefonierte Heusler mit den Norwegern, um sich nach den beiden verletzt ausgeschiedenen Spielern zu erkundigen, von denen Even Hovland einen Kreuzbandriss davongetragen haben könnte. Das zeugt von ähnlichem Sportsmanship, wie ihn Ole Gunnar Solskjaer im Umgang mit dem bitteren Moment für seine couragiert aufspielende Mannschaft bewiesen hatte. Insofern war es ein in mehrfacher Hinsicht gehaltvoller Fussballabend, den 18‘567 Zuschauer im St.-Jakob-Park miterlebt und erlitten hatten.
Yann Sommers Parade in einer Extremsituation war eine Millionen-Tat. Zunächst in Bezug auf die Zahl von Steinen, die den FCB-Fans vom Herzen gefallen sein dürften. Und von diesen Sympathisanten gibt es in der Schweiz laut eines Marktforschungsinstituts immerhin 550‘000.
Ganz zu schweigen vom Geld. Allein die Playoffs der Champions League sind 2,1 Millionen Euro an Prämien wert. Heusler sagt zwar in weiser Voraussicht, die Arbeit des FCB dürfe nicht immer nur am Erreichen der Königsklasse gemessen werden. Doch in den wirtschaftlichen Dimensionen, in denen sich Basel bewegt, nach drei Titeln in Serie und zwei Champions-League-Teilnahmen hintereinander, die den Umsatz an die 70-Millionen-Grenze katapultiert haben, macht es einen Unterschied, ob man mit den Königen in der Sternenliga flirtet oder mit der kleinen Schwester, der Europa League.
Die wirtschaftliche Dimension
Übersteht ein Schweizer Verein die Gruppenphase der Europa League, kann er umgerechnet zwei, vielleicht 2,5 Millionen Franken aus dem Uefa-Topf verdienen. Schafft ein Schweizer Vertreter der Champions League so wie der FCB vergangene Saison den Sprung ins Achtelfinal, sind es 19 Millionen allein an Antrittsgeldern und Prämien (siehe Tabelle).
Welche wie geschmiert laufende Geldmaschine die Königsklasse geworden ist, schlüsselt die Uefa detailiert auf. Die Verteilungsliste zeigt, dass der jeweilige nationale TV-Markt gross einschenkt. Der aktuelle Champions-League-Sieger FC Chelsea etwa hat 60 Millionen Euro bekommen, wovon 50 Prozent aus dem sogenannten Marktpool stammen. Im Jahr davor war das noch markanter, als Chelsea in den Viertelfinals ausschied und von den 44,5 Millionen Euro 60 Prozent aus dem Pool stammten.
Das sind Grössenordnungen, die ein Schweizer Club aufgrund der natürlichen Gegebenheiten nie erreichen wird. Zum Vergleich: Beim FC Basel machte vergangene Saison der Marktpoolanteil bei Totaleinnahmen von 15,8 Millionen Euro gerade einmal 15 Prozent aus.
Auch der Gewinner der Europa League 2011/12, Atlético Madrid, brachte es auf immerhin 10,5 Millionen Euro. Wer erst einmal ins wirtschaftliche Getriebe des Europacup gekommen ist, will immer wieder zurück an die reich gefüllten Fleischtöpfe. Und ein Ende der Entwicklung nach oben ist nicht abzusehen.
Der verheerende Pfiff
Diese wirtschaftliche Bedeutung und die emotionale Befrachtung für Umfeld und Fans hat in Heuslers Augen eine «beeindruckende und auch beängstigende Dimension» angenommen. Und in diesem Spannungsfeld sieht sich dann also ein 23-jähriger Torhüter in der 92. Minute einem Penalty gegenüber.
Und er pariert, so wie er schon vor knapp drei Monaten im Cupfinal gegen Luzern – damals garniert mit ein paar Faxen – der entscheidende Mann gewesen war. Für Heusler ist es auch eine Genugtuung dafür, «dass wir Vertrauen in einen jungen Torwart gesteckt haben. Das hat jetzt einen Kulminationspunkt erreicht.»
Streng genommen war es Sommer, der es mit seinem Fehler in der 32. Minute erst ermöglichte, dass Sommer in der 92. Minute zum Helden wurde. Denn einen Schuss, wie jenen von Simonsen hält Sommer normalerweise mit offenen Schuhbändeln, geschlossenen Augen und einer Hand auf den Rücken gebunden. «Penalty in letzter Minute – das ist verheerend», beschreibt Sommer seine Gefühlswelt, «auch in mir war eine Leere. Ich hab’ mir gesagt: Probier’ ihn halt zu halten.»
Eine Frage des Potenzial, aber auch der Einstellung
Diese Parade war ein Deckmantel dafür, was die Mannschaft eine quälend lange erste Halbzeit abgeliefert hatte. «Vielleicht lief es im Hinspiel zu einfach. Die Einstellung hat nicht gestimmt, und damit habe ich Mühe», sagt Sportdirektor Georg Heitz unverblümt, «80 Prozent reichen gegen keinen Gegner dieser Welt.»
Dass die Mannschaft im Findungsprozess steckt, dass die neuen Spieler wie Marcelo Diaz und vor allem Gaston Sauro in der Abwehr noch grosse Schwankungen haben, dass der FCB ein traditioneller Spätstarter ist und in dieser Saison seine Tore mehrheitlich erst in der zweiten Halbzeit erzielt, dass es tagesformabhängige Leistungen gibt, dass man gegen Molde in drei von vier Halbzeiten die bessere Mannschaft war – alles geschenkt. «Mehr Leidenschaft in den Zweikämpfen erwarte ich schon», sagt Heitz.
Dass diese Mannschaft Potenzial besitzt, dass Mohamed Salah das Zeug zum Publikumsliebling hat, ist unbestritten. Was demnächst in Liga und Playoff zur Champions League zu demonstrieren wäre.
Verein | total | Marktpool |
FC Chelsea (1.) | 59,9 | 30,0 |
Bayern München (2.) | 43,8 | 14,8 |
FC Barcelona (HF) | 40,6 | 18,5 |
FC Basel (AF) | 15,8 | 2,4 |
Verein | total | Marktpool |
Atlético Madrid (1.) | 10,52 | 4,3 |
Schalke 04 (VF) | 10,50 | 7,9 |
Athletic Bilbao (2.) | 9,5 | 4,3 |
FC Zürich (GR) | 1,37* | 0,9 |
Beträge in Millionen Euro. – Im Marktpool werden Gelder nach dem jeweiligen Gewicht des heimischen Fernsehmarktes berechnet.
HF=im Halbfinal ausgeschieden.
VF=im Viertelfinal ausgeschieden.
AF=im Achtelfinal ausgeschieden.
GR=in der Gruppenphase ausgeschieden.
* = Plus 2,1 Millionen Euro Prämie für das Champions-League-Playoff gegen Bayern München.
Die komplette Übersicht über die Einnahmen-Verteilung der Champions League 2011/12.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.08.12