Die nordkoreanische Charmeoffensive ist weiblich

8:0 gewinnt das Schweizer Frauen-Eishockeyteam gegen die gemeinsame Olympia-Formation von Süd- und Nordkorea. Das Ergebnis tritt angesichts der politischen Dimension in den Hintergrund – die ganz grosse Vereinigungsshow fällt jedoch aus.

Nordkoreanische Zuschauerinnen auf den Tribünen Hockey-Centers von Gangneung.

Die Cheerleaderinnen aus dem Norden kommen schon vor dem Spiel. Eine Armada in roter Winterkleidung, die in Formation zu ihren Plätzen ausströmt – reserviert auf beiden Geraden in der ersten Reihe. Einige Fans sind schon in der Halle, manche grüssen mit dem Fähnchen des vereinten Koreas. Das erste Eishockeyspiel des gemeinsamen Teams gegen die Schweiz steht an. Ein Abend, der als Fortführung der Eröffnungsfeier beginnt, wo die Spielerinnen Jung Su Yuon (Nord) und Park Jongah (Süd) gemeinsam das olympische Feuer trugen. Ein Abend, der dann aber nicht ganz nach Skript verläuft.

Die Erwartungen sind gross. Natürlich ist Südkoreas Präsident Moon in der Halle, mit seiner Frau. Natürlich auch das ungleiche Paar aus Nordkorea, der 90-jährige Parlamentspräsident Kim Yong-nam und die auf rund 30 geschätzte Diktatorenschwester Kim Yo-jong. Am Mittag hatte Moon die Gesandten zum Mittagessen im «Blauen Haus» von Seoul zum Essen empfangen.

Fast drei Stunden war man beieinander, um die Welt gingen Fotos im freundschaftlichen Gespräch und eine Einladung nach Pjöngjang, die Kim im Namen ihres Bruders überbrachte. Bei dieser Dynamik des Annäherungsprozesses in den ersten Olympiatagen kommen selbst erfahrene Beobachter aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Schwester Kim gilt als intimste Vertraute von Machthaber Kim Jong-un – nicht zuletzt, weil dieser seinen älteren Bruder umbringen liess – und ihre Auftritte haben in Südkorea einen Hype ausgelöst. Im Fernsehen war am Samstag kaum jemand anderes zu sehen. Ihre Schrift wird nach der Veröffentlichung ihres Annahmeschreibens der südkoreanischen Einladung als besonders elaboriert gefeiert. Ihr Aussehen und ihre Natürlichkeit in Stilkritiken gelobt. Sie lächle bescheiden und habe eine gute Figur, so einige der Schlussfolgerungen; beides ist man von ihrem Bruder ja weniger gewohnt.

Südkoreas Team fühlte sich gekapert

Nordkoreas Charmeoffensive ist also weiblich – insofern passt es, dass ihre sportliche Säule das Hockeyteam der Frauen darstellt. Auch wenn Südkoreas Trainerin Murray und ihre Spielerinnen davon anfangs wenig begeistert waren. Sie fühlten sich tatsächlich «gekapert», wie es US-Vizepräsident Pence für das gesamte Olympiaprojekt befürchtete. Erst als das IOC eine Sondergenehmigung erliess, nach der die Nordkoreanerinnen einfach dazu kamen statt andere zu ersetzen, liess man sich darauf ein.

Ihr Auftritt löste einen Hype aus: Kim Yo-jong, die Schwester des nordkoreanischen Diktators, in Gangneung beim symbolhaft überfrachteten Eishockeyspiel des gemeinsamen koreanischen Teams gegen die Schweiz.

Begeistert wirkte Murray jedoch weiter nicht. Drei Spielerinnen aus dem Norden musste sie nach der Vereinbarung in jeder Partie aktiv aufbieten. Drei sind es gegen die Schweiz, eine Stürmerin in der zweiten Reihe, eine in der dritten und eine Backup-Verteidigerin.

Ein Eishockeyteam ist zum Symbol geworden, und entlang der Meinungen über die Mannschaft verlaufen oft auch die über das Tauwetter der letzten Wochen.

«Innerhalb von einem Monat hat sich alles verändert»

Kim Chang-keum ist Olympiareporter für die Zeitung «Hankyoreh». Sein Blatt, erzählt er vor Spielbeginn, sei das einzige gewesen, dass den Turnaround von Kim Jong-un in Bezug auf eine Teilnahme an den Spielen in einer Rede am Neujahrestag nicht sofort verdammte, sondern für Abwarten plädiert habe. Kim bekam deshalb böse Leserpost.

Jetzt fühlt er sich in gewisser Weise bestätigt. «Innerhalb von einem Monat hat sich alles verändert», sagt er über die Sichtweise seiner Landsleute. Mehr teilen jetzt seine Ansicht, «dass wir mehr Zeit miteinander brauchen». Was aber noch lange nicht heisst, dass jetzt alle an eine Wiedervereinigung glauben – oder dafür wären.

Junge Südkoreaner haben andere Sorgen und Nöte

Kim schon, «ich bin über 50», sagt er – ein Chiffre dafür, dass er das Leiden an der Teilung noch aus eigener Erfahrung kennt. Sein Vater kommt ursprünglich aus dem Norden. «Es ist nicht natürlich so, wie es ist», so Kim, «wir sollten eins sein». Aber er versteht auch, dass es viele anders sehen.

«Armee der Schönheit» – der einstudierte Jubel nordkoreanischer Zuschauerinnen.

Die «2030» vor allem, wie in Korea die Generation der Twens genannt wird. «Sie leiden viel mehr unter den konkreten Herausforderungen ihres Lebens als unter dem Nordkorea-Thema», sagt er. «Sie spüren Instabilität, und ich sehe Ärger bei ihnen». Der Druck, einen Job zu finden, auf der richtigen Universität zu studieren, das bessere Auto zu fahren – schon in der Schule gehe es nur um Noten, auch die Eltern interessiere nichts anderes.

Diese Klage über eine zu hierarchische, materialistische und kompetitive Gesellschaft hört man oft, und sie ist keine Einbildung: laut Studien sind Koreas Jugendliche die unglücklichsten aller OECD-Länder. Und dazu brauchen sie nicht einmal Nordkorea.

Die ganz grosse Vereinigungsshow fällt aus

Dessen Cheerleader eröffnen zwanzig Minuten vor dem Spiel auf Kommando ihrer Vorjoggerinnen die Performance. Sie klatschen im Takt, schwingen die Fähnchen des gemeinsamen Koreas, skandieren, stehen auf, wippen, schwingen Blumenkränze  und singen ihre Lieder. Den ersten Tönen wird von den Zuschauern – zu diesem Moment erst ein paar Hundert – applaudiert, das Ende des ersten Songs auch noch.

Aber das bleibt nicht den ganzen Abend so, auch wenn die «Armee der Schönheit» – wie sie im Norden auch genannt wird – fast durchjubelt. Fast. Wenn, wie beim Eishockey üblich, «we will rock you» gespielt wird oder andere Rocksongs, bleibt sie sitzen.

Hunderte dressierte Mädchen – auch wenn sie in diesem Fall nur tanzen und nicht marschieren, kann man das mit allem bekannten Wissen über Nordkorea schon etwas gruselig finden. Als sie später zur La Ola animieren, macht kaum einer mit. Und sowieso schwenkt nur eine Minderheit der Zuschauer in der nicht ganz gefüllten Universitätshalle von Gangneung die Koreafähnchen. In etwa gleich oft sind die Flaggen Südkoreas sehen. Die ganz grosse Vereinigungsshow, sie fällt aus.

https://www.srf.ch/sport/pyeongchang/8-0-gegen-korea-mueller-schiesst-schweizerinnen-zum-startsieg

Dazu trägt natürlich auch der Spielverlauf bei. Es geht gar nicht so schlecht los, nach achteinhalb Minuten erobert Kim Hee-won beherzt den Puck und trifft Han Soo-jin daraufhin die Latte. Eine Strafzeit gegen die Schweizerinnen springt in der Szene auch noch raus, doch die vermasseln die Koreanerinnen dann gründlich. Durch hanebüchene Spieleröffnungen bringen sie sich immer wieder in Bedrängnis, noch vor Ablauf der Überzahl kassieren sie durch einen platzierten Schuss und bis zum Drittelende hat Alina Müller drei Mal für die Schweiz getroffen. Nach dem zweiten Drittel steht’s 0:6.

Der kulturelle Graben wird sichtbar 

In der Pause duellieren sich die Cheerleader mit der englischen Musik um die Stimmeshoheit. Alte Volkslieder gegen Van Halen. Nordkoreas Einpeitscherinnen versuchen auch die umstehenden Zuschauer zu «Jubelt, wir sind eins» oder «Unser Wunsch ist die Wiedervereinigung» zu animieren.

Aber kaum einer macht mit – und das liegt nicht nur am kulturellen Graben zwischen einer zeitgenössischen Gesellschaft und einer aus dem Gefängnis. Sondern auch am politischen. Mit nationalistischen Sehnsüchten können im Süden nicht alle etwas anfangen. Schon gar nicht, wenn sie nach der Pfeife aus dem Norden getanzt werden sollen.

Das zeigt sich auch, als nach dem 0:8-Endstand die beiden Fackelträgerinnen gemeinsam vor der Presse erscheinen. Wie fanden Sie es, dass nordkoreanische Politprominenz da war? «Die grösste Ehre für mich» (Jung) – «Nichts besonderes» (Park). Und die Atmosphäre, die Cheerleader? «Ich fühlte mich wie in meinem eigenen Land» (Jung) – «Ich hatte noch nie vor so vielen Leuten gespielt, also war ich nervös» (Park).

Sollte man, werden sie gefragt, auch künftig immer zusammen spielen? «Vereint sind wir stärker, vereint könnten wir herausragen, auch in anderen Bereichen», meinte Jung aus Nordkorea. «Die Konkurrenten sind stark», warnte Park. Auch das eine Antwort, die viel sagt.

https://tageswoche.ch/sport/wenn-die-politik-dem-sport-gelegen-kommt/

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