Ein Tal zwischen nicht allzu hohen Bergen, die Olympischen Ringe mit Blätterkränzen in einen winterlich-grünbraunen Hügel drapiert: auf diese Landschaft soll jetzt also die Welt schauen. Am Freitag werden in Pyeongchang die 23. Winterspiele eröffnet. Vorerst spielt die Musik allerdings im Nebenaustragungsort Gangneung. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen.
In der städtischen Kunsthalle steigt dort schon am Donnerstag ein Event, dessen Popularität bei den Olympiern Neid auslösen könnte. Während der Kartenverkauf für viele Sportarten ausnehmend schleppend verlief, bewarben sich binnen zweier Tage über 150’000 Koreaner um Einlass zu einem Varieté, das seinen Reiz vor allem aus der Herkunft der auftretenden Künstler bezieht: die rund 140 Artisten stammen aus dem abgeschotteten Norden der Halbinsel.
Angeführt werden sie von der Popsängerin Hyon Song-wol, die vor ein paar Tagen zur Ortsbegehung glamourös im grauen Pelz durch Südkoreas Hauptstadt Seoul stolzierte, wo am Sonntag ein weiterer Auftritt ansteht. Hyon ist ein Star auf der Halbinsel, um sie ranken sich Legenden. Früher soll sie etwas mit Diktator Kim Jong-un gehabt haben, dann wegen freizügiger Aufnahmen in Ungnade gefallen sein, sogar von Mordplänen war die Rede.
Einen gewissen Unterhaltungswert kann solchen Räubergeschichten aus der Erbdiktatur niemand absprechen. Ob sie auch der eigentlichen Idee der Spiele entsprechen – diese Debatte prägt die vorolympischen Tage. Ihr Ausgang wird wesentlich davon abhängen, ob bei den überraschenden Annäherungsversuchen von Kim letztlich nur billige Propaganda herauskommt oder dauerhafte Entspannung.
Ein Urteil wird also die Geschichte sprechen, und sie wird es nicht an Schanze und Eiskanal tun: Passend zu diesen Spielen, die sich fürs erste weniger nach dem Gründer des Internationalen Olympischen Komitees Baron de Coubertin anfühlen als nach Krimiautor John Le Carré. Was wiederum nicht daran liegt, dass uniformierte Volunteers den Fremden nach der Ankunft in Korea auf Schritt und Tritt folgen – das ist einfach nur asiatische Höflichkeit und Hilfsbereitschaft.
Die Schweiz gegen Gesamtkorea
Nein, es sind Spiele wie aus einem Spionagethriller. Geheimverhandlungen über obskure Kommunikationskanäle, ein südkoreanischer Sonderflug über die geschlossene Grenze, um Sportler von Pjöngjang nach Pyeongchang zu verfrachten, ein nordkoreanischer Luxusliner, der ebenfalls unter ausnahmsweiser Aufhebung des Embargos nun die Künstler und Delegierten vor der Küste Gangneungs beherbergen darf – so gehen die News.
Kein Sportstar konnte bei der Ankunft mit dem Medienauflauf um das nordkoreanische Schiff mithalten, keine Goldentscheidung des ersten Wochenendes wird mit annähernd so viel Spannung erwartet wie der erste Auftritt des gesamtkoreanischen Eishockeyfrauen-Teams am Samstag gegen die Schweiz.
Olympische Topmeldungen in den koreanischen Nachrichten kurz vor der Eröffnung: Diktatorenschwester Kim Yo-Jong, die Schwester des Diktators, wird mit der nordkoreanischen Gesandtschaft als erstes Familienmitglied die Grenze überqueren. Und ja: Die nordkoreanischen Cheerleader seien angewiesen, auch für Südkorea zu jubeln.
Wieviel Völkerverständigung steckt in diesen Spielen?
Man mag es naiv finden, aber diese Spiele umgeben eine zarte Hoffnung auf einen zumindest symbolischen Durchbruch in einem der gefährlichsten Konflikte der Welt, und das würde dann doch wieder zu Olympiagründer Coubertin und seinem Ideal der Völkerverständigung passen.
Sollte sich wirklich etwas bewegen, wer will dann noch so kleinlich sein und sich darüber echauffieren, dass den IOC-Funktionären das Thema nur allzu gelegen kommt, um von ihrem heillosen Wirrwarr mit dem russischen Doping abzulenken. Oder sich darüber wundern, dass sie doch sonst Sport und Politik immer tunlichst voneinander getrennt wissen wollen.
Wenn Südkoreas Regierung, die dem bösen Bruder stark entgegengekommen ist, eine Chance sieht, dann mag es sie vielleicht wirklich geben.
«Grossartig, dass die Nordkoreaner dabei sind, Integration ist doch ein wichtiger Teil von Olympia», findet US-Skistar Ted Ligety. Sein Präsident Donald Trump soll mit der Versuchung flirten, die unerwartete Charmeoffensive Nordkoreas als Erfolg seines harten Kurses der letzten Monate zu begrüssen.
Sport gibt es dann auch noch
Offiziell freilich weicht Washington keinen Millimeter, im Gegenteil: Vizepräsident Mike Pence, der die USA bei der Eröffnungsfeier vertreten wird, nahm demonstrativ den Bruder des nach nordkoreanischer Gefangenschaft verstorbenen Otto Warmbier in seine Reisegruppe auf und erklärte, man werde keinen propagandistischen «Überfall auf Olympia» zulassen. Am Mittwoch vor der Eröffnung verkündete er «härteste und aggressivste Sanktionen» gegen Pjöngjang.
Die Eröffnungsfeier wird also bereits zum ersten Showdown dieser Spiele. Während Hyon Song-wol im Gangneung Art Center womöglich auch ihren Hit «Exzellente Frauen, die arbeiten wie Pferde» schmettern wird, steht in Pjöngjang eine Militärparade an. Insider wollen an ihrem Zuschnitt und der Art der präsentierten Waffen einen Hinweis auf Kims wahre Absichten entdecken. Ach ja, und die Wettbewerbe gehen auch los. Am Donnerstag neun Uhr Ortszeit feiert das Mixed Curling olympische Premiere.
130 Kilometer östlich der Hauptstadt Seoul und 80 Kilometer entfernt von der innerkoreanischen Grenze finden die 23. Olympischen Winterspiele vom 9. bis 25. Februar statt. Der Zeitunterschied zur Schweiz beträgt acht Stunden. Im Fernsehen zu sehen sind die Spiele auf den gängigen, frei empfangbaren Kanälen (SRF, ARD, ZDF, Eurosport). Einen Überblick verschafft das SRF in seinem Dossier mit Zeitplan der Wettbewerbe.