Es ist schon immer ein Phänomen gewesen, wie schnell sich die St. Jakobshalle nach einem Match leeren kann, wie die Zuschauer sich in den Wandelgängen zerstreuen, während auf dem Centre-Court das nächste Spiel ansteht. Manche nennen diese Platzflucht eine Unsitte.
Das war auch am Montag nicht anders, dem «Super Monday», oder, wie es Turnierpräsident Roger Brennwald nennt: «Ein Eröffnungstag, wie ihn nur Basel kennt». Das ist seit geraumer Zeit ein gemischtes Doppel aus Kultur und Sport, ein bisschen schwülstig, aufgeblasener Klassikpop mit der Basler Sinfonietta, allerdings verziert in diesem Fall mit der hinreissenden Schottin Amy Macdonald.
Anschliessend entledigte sich der aufstrebende Kanadier Denis Shapovalov (ATP 49) seiner Aufgabe gegen den Japaner Yuichi Sugita (38) in drei Sätzen und mit einiger Mühe.
Kurz vor halb zehn ist die Halle zu drei Vierteln geleert
Als Marco Chiudinelli um kurz vor halb zehn zu seinem Abschiedsmatch die Halle betrat, da sass vielleicht noch ein Viertel der 9200 Zuschauer auf seinen Plätzen – und der Rest war entweder bereits auf dem Heimweg oder verlustierte sich dort, wo die Swiss Indoors in der lichter und luftiger ausgebauten St. Jakobshalle jede Menge Ablenkung bietet vom eigentlichen Anlass.
Diejenigen, die geblieben waren, boten Chiudinelli einen warmen Empfang. Sie stärkten dem 36-Jährigen, der am Freitag verkündet hatte, dass sein letztes Spiel in Basel gleichbedeutend mit seinem Karriereende sein würde, den Rücken. Und sie motivierten ihn, nachdem der erste Satz diskussionslos mit 6:2 an den Niederländer Robin Haase gegangen war, zu einem Aufbäumen im zweiten.
Im Publikum sassen Familie und Freunde, ehemalige Trainer und Mitspieler wie Michael Lammer, an dessen Seite Chiudinelli 2009 in Gstaad im Doppel seinen einzigen ATP-Titel gewinnen konnte, Physiotherapeuten und Chirurgen, die Teil einer von vielen Verletzungen gekennzeichneten Karriere waren.
Und Roger Federer, der an diesem Dienstag ins Turnier eingreift, war da. Er sass nicht in der Loge, in der seine Eltern Platz genommen hatten, sondern neben seiner Frau hinter der Grundlinie. Der Freund aus Kindertagen, als Chiudinelli und Federer Balljungen bei den Swiss Indoors waren, und die sich später Daviscup-Sieger nennen durften.
Als eine «schöne Geste» empfand Chiudinelli den Beistand Federers. Der munterte den Weggefährten, der einen so anderen Pfad beschritten hat auf der Tennistour, mit Applaus für jeden guten Ball auf. Indes: Es waren zu wenige.
Für einen letzten Widerstand reicht es noch
Chiudinellis letzter Match war quasi wie ein Abbild seiner 18-jährigen Laufbahn: Er rackerte, die Weltranglisten-Nummer 366 streute schöne Winner ein gegen die Nummer 44, allerdings noch mehr unerzwungene Fehler. «Es war schwer», räumte Chiudinelli ein.
Nachdem der 36-Jährige jüngst entscheidenden Anteil am Schweizer Klassenerhalt im Daviscup gehabt hatte, war er wieder einmal körperlich angeschlagen. Sechs Tage nur konnte er vor den Swiss Indoors vernünftig trainieren. «Ich habe probiert, noch einmal alles in die Waagschale zu werfen. Aber ich habe gemerkt: Ich bin langsam und schnell ausser Atem.»
Für einen letzten Widerstand reichte es dennoch: Vom 3:5 kam er zurück, er nutzte den letzten von sieben Breakbällen zum 5:5 und erreichte das Tiebreak mit dem letzten Ass seiner Karriere. «Ich bin nicht happy über die Leistung, aber ich bin froh, dass ich im zweiten Satz noch etwas bieten konnte.»
Nach einer Stunde und 34 Minuten, um 23.11 Uhr an diesem «Super Monday» war es dann geschehen: Mit 3:7 ging der Tiebreak an Haase. Die Leute in der St. Jakobshalle erhoben sich, es gab eine Standing Ovation, die der Adressat sichtlich genoss («habe ich wenig bekommen in meiner Karriere»), es gab eine Ehrenrunde, viele Umarmungen, die letzte mit Federer und ein paar Tränen. Chiudinelli schluckt, als er sagt: «Es war fantastisch, noch einmal vor so vielen Leuten spielen zu dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.»
An nackten Zahlen bleiben Chiudinelli nach 18 Jahren auf der Profitour: knapp über zwei Millionen Dollar Preisgeld, von denen er auch etwas auf die Seite legen konnte, Platz 52 als bestes Ranking in der ATP-Weltrangliste, eine in den meisten Würdigungen seiner Karriere vergessen gegangene Dopingsperre aus dem Jahr 1999 und unzählige Kilometer auf einem langen Weg zu Turnieren der zweiten und dritten Garnitur dieser Welt.
Diese Reise ist nun zu Ende. «Die positiven Emotionen bleiben für immer in meinem Herzen», sagte Chiudinelli, ehe er sich Montagnacht zum Feiern zurückzog. Was nun kommt, nennt er einen «neuen Start, wie damals vor 18 Jahren». Seine Zukunft könne im Tennis liegen, müsse aber nicht. Er will sich weiterbilden, gedenkt eine Trainerausbildung zu machen, kann sich eine Aufgabe im Sportmanagement vorstellen und er hat vor allem eines: «Respekt vor einem neuen Lebensabschnitt».
Die Swiss Indoors am Dienstag: Roger Federer bestreitet sein Erstrundenspiel gegen den US-Amerikaner Frances Tiafoe nicht vor 19 Uhr.
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