Beim 16. Basler Schachfestival sitzt auch Vlastimil Hort am Brett. Der bald 70-Jährige mit der facettenreichen Karriere erfreut seine Fans demnächst mit einem Comeback als Kommentator. Derweil sind im Hotel Hilton nach drei Runden noch sechs Spieler makellos.
» Sechs mit makelloser Bilanz – zum Zwischenstand beim 16. Schachfestival
«Man hat immer Angst – wir sind zu materialistisch!» Vlastimil Hort kleidet seine Analysen gerne in philosophische Sätze. Besonders, wenn sie seine «Schwermut» bestätigen. In seinem böhmischen Singsang klingt die «Schwärmut» noch niederdrückender, als sie eh schon ist. Beim 16. Schachfestival in Basel ist ihm mittlerweile die «Teilnahme wichtiger als der Sieg, obwohl ich natürlich in jeder Partie gewinnen will». Schliesslich sei Schach für ihn «eine wunderbare Droge geworden».
Wie die berühmte Filmfigur aus seiner Heimat, will er, der brave Schach-Soldat Schwejk, daher seinen ganzen Mut zusammennehmen und «ohne Angst spielen». Eine verwunderliche Aussage für den beliebten Kommentator, der einst zur Weltspitze zählte. Immerhin kann Hort bis zur dritten Runde im Hotel Hilton überzeugen. Nach 2,5:0,5 Punkten und Platz sieben wartete jedoch mit Igor Kowalenko ein jüngerer Grossmeister auf ihn – eine Herkules-Aufgabe mit Schwarz.
Die sonst so übliche «Schwärmut» befällt Hort nicht, wenn es um die Weltmeisterschaft geht. «Nein, weil ich ein Realist bin, wusste ich, dass es für den WM-Titel nicht reicht», befindet der Oberhausener im Rückblick, auch wenn der gebürtige Tscheche in seinen besten Jahren selten eine Turnierpartie verlor. «Irgendetwas fehlte mir – was, weiss ich leider nicht, das wissen nur die Schachgötter». Hort, der am 12. Januar seinen 70. Geburtstag feiert, stand aber während seiner besten Zeiten in den Top Ten.
Der verpasste Triumph
Nur ein paar Sekunden fehlten dem Ausnahmekönner 1977 zu seinem grössten Triumph auf dem Weg ins WM-Endspiel: In der 15. von 16 Partien im Kandidaten-Viertelfinale konnte der Aussenseiter gegen Boris Spasski mit 8:7 in Führung gehen – doch in haushoher Gewinnstellung überschritt Hort im 35. Zug die Bedenkzeit gegen den Ex-Weltmeister und verpasste mit einem 7,5:8,5 das Halbfinale.
Für das unglückliche Aus würde Hort heute mit Fairplay-Preisen überschüttet werden. Der während des langen Zweikampfs erkrankte Spasski verbrauchte nämlich seine kompletten freien Tage, ohne richtig gesund zu werden. Hort nutzte das indes nicht durch kampflose Siege aus, sondern schöpfte sein Kontingent für den Russen aus und nahm frei. Spasski konnte so das Match fortsetzen.
Die Ambitionen des Grossmeisters zerbarsten kurz nach der grossen Geste noch mehr, als er mit dem Politsystem im Osten brach. «Mein Weg nach Deutschland war meine endgültige Abrechnung mit dem Kommunismus. Es hat auch meine Schachkarriere beeinflusst», sagt Hort heute nur noch lapidar dazu.
Simultan ins Buch der Rekorde
Seiner Popularität hat die Übersiedlung nach Deutschland 1979 aber nicht geschadet. Sechs tschechische Einzel-Meisterschaften und drei deutsche Titel nach Erhalt der Staatsbürgerschaft 1986 – darunter der als erster wiedervereinigter Champion 1991 in Bad Neuenahr – stehen in seiner beeindruckenden Vita. Noch wertvoller: Dreimal triumphierte Hort in Hastings (1968, 1975, 1976), zweimal in Dortmund (1982, 1985) und gewann Topturniere in Skopje (1969), Havanna (1971), Banja Luka (1976), Sarajevo (1980) und Amsterdam (1987).
Zudem stellte der damals 42-Jährige 1985 mit einem Simultan gegen 636 Gegner eine Bestleistung auf, die ins «Guinness-Buch der Rekorde» einging. Als Rekord galt auch sein Blindsimultan (Anmerkung: ohne Ansicht aller Bretter) gegen starke Gegner 1977 in Reykjavik, wonach Hort befand: «Das Schwierigste ist, die Züge wieder aus dem Gedächtnis zu radieren.»
Die deutschsprachigen Fans haben den langjährigen Bundesligaspieler für Köln-Porz jedoch nicht wegen seiner Erfolge ins Herz geschlossen, sondern vor allem wegen seines unterhaltsamen Plaudertons als Kommentator.
Horts kongenialer Kommentator-Partner
Als das königliche Spiel noch bis 2005 im deutschen Fernsehen kam, stand Hort einmal im Jahr in der TV-Sendung «Schach der Grossmeister» auf der grossen Bühne. Zusammen mit seinem kongenialen Partner Helmut Pfleger kommentierte Hort, Vater eines Sohnes und zum dritten Mal verheiratet, das Duell zweier Topspieler so, dass es auch der grösste Patzer nicht nur kapierte, sondern auch Spass daran fand.
«Vlastimil versteht es seit jeher einzigartig mit seinem Humor, der oft wegen seines Dialekts an den Soldaten Schwejk denken lässt, die Schachspieler zu unterhalten und zu fesseln. Mit dieser Gabe erwies er dem Schach einen grossen Dienst. Vlastimil ist landauf, landab sehr beliebt, häufig werde ich auf ihn angesprochen», sagt Pfleger, der dank seiner Kolumnen in der «Zeit» selbst zum Publikumsliebling avancierte.
Der Grossmeister aus München, von Beruf Internist, erreichte 1961 beim ersten Zusammentreffen mit Hort anlässlich der Junioren-WM in Den Haag im Gegensatz zu Hort das Finale. Geblieben ist eine Art Bewunderung: «Ganz sicher ist Vlastimil ein Liebhaber des Schachspiels, heute im Grunde ebenso wie früher, ohne jemals ein Schachidiot gewesen zu sein. Er kennt sich in der Welt aus, spricht etliche Sprachen, wobei er einen besonders gern mit seiner letzten Liebe, dem Französischen, überfällt.»
Inzwischen verbringt Hort wieder viel Zeit in seiner tschechischen Heimat. Und die «Schwärmut» der Fans wird mit einem Comeback verscheucht. Hort und Pfleger haben zusammen DVDs für den Schach-Softwarespezialisten Chessbase produziert. In Hamburg kommentierten sie die spektakulärsten Partien der neueren Turnier-Geschichte mehr als zehn Stunden lang.
Die beiden «Dinosaurier» zeigen sich auf dem bald erscheinenden Material in alter Hochform. Alles andere als fleischlose Kost. Auch wenn Hort gleich wieder meint, den «Dino»-Vergleich präzisieren zu müssen: «Nein, nein, Chelmut ist Brontosauriärr. Er ist ja Vägätariärr!»
Beim 16. Basler Schachfestival im Hotel Hilton wiesen sechs Spieler nach drei Runden im Meisterturnier noch eine makellose Bilanz auf. Zur Halbzeit treffen sie aufeinander: Der Brasilianer Alexandr Fier führt die weissen Steine gegen Topfavorit Radoslav Wojtaszek. Der Pole hatte vor dem Neujahrswechsel das mit 30’000 Franken dotierte Weihnachts-Open in Zürich gewonnen. Überdies spielen Deep Sengupta (Indien) und Ivan Popow (Russland) sowie der Israeli Gil Popilski und der junge Holländer Robin van Kampen gegeneinander.
Im 13-köpfigen Verfolgerfeld mit 2,5 Zählern findet sich neben Vlastimil Hort auch der beste Schweizer: Yannick Pelletier gewann nach seinem Fehlstart mit dem Remis gegen Klaus Bräunlin die zwei folgenden Partien. Der Zürcher Nationalliga-A-Spieler trifft auf Andreas Heimann. Der Reichensteiner Spieler ertrotzte gegen Boris Gratschew ein Remis. Der Biberacher Amateur Klaus Bräunlin ist die bisherige Turniersensation und befindet sich mit ebenfalls 2,5 Punkten mitten unter den Grossmeistern.
Das Meister- und das Amateurturnier, an denen nach einigen kurzfristigen Absagen insgesamt 230 Spieler teilnehmen, enden am Sonntag mit der siebten Runde.
Resultate, 3. Runde, Meisterturnier: GM Wojtaszek – GM Seturaman 1-0, GM Sengupta – GM Rodshtein 1-0, IM Mozharov – GM Istratescu remis, GM Grachev – IM Heimann remis, GM Popilski – GM Bartel 1-0, GM Popov – IM Kopylov 1-0, IM Dann – GM Kovalenko remis, GM van Kampen – IM Brunner 1-0, WGM Kashlinskaya – GM Mareco remis, Lötscher – GM Fier 0-1, GM Pelletier – IM Lekic 1-0. – Rangliste: 1. Fier, 2.-5. Popov, van Kampen, Sengupta, Popilski, 6. Wojtaszek, alle 3, gefolgt von 13 Spielern mit 2,5/3.
Amateurturnier: Sperzel – Andjelkovc remis, Schaub – Schönherr remis, Grob – Sommeregger 1-0, Basson – Spielmann 1-0, Liphardt – Tönz 1-0, Schambach – Blum 1-0, Kopylov – Bojic 1-0. – Rangliste: 1. Amadeo-Blanco, 2. Kopylov, 3.-4. Grob, Lachausse, 5.-6. Tillmann, Basson, 8. Liphardt, alle 3.
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