Die Exploits der Schweizer Leichtathleten in den letzten zwölf Monaten haben zu härteren Massstäben bei der Bewertung geführt. Das zeigte sich am Athletissima-Meeting bei den Sprinterinnen und auch bei Selina Büchel sowie Kariem Hussein eindrücklich.
Justin Gatlin (9,75 über 100 m), Christian Taylor (18,06 m im Dreisprung) und Mo Farah (begeisternder Sieg über 5000 m) verliehen mit ihren Topleistungen dem 40. Athletissima-Meeting das Prädikat «sehr gut». Für eine herausragende Bewertung hätte es wohl Exploits der neuen Schweizer Führungsgeneration benötigt. Doch diese blieben aus.
Weder Kariem Hussein, Selina Büchel, Mujinga Kambundji, noch die Sprintstaffel sorgten für einen vergleichbaren Höhepunkt wie vor einem Jahr. Damals lief das Quartett Kambundji, Lanvanchy, Ellen und Lea Sprunger mit 42,93 Sekunden einen erstklassigen Schweizer Rekord.
Nun wurden Kambundji, Lea Sprunger, Lavanchy und Humair in 43,73 gestoppt. Dass damit der zweite Schweizer Sieg nach Büchel resultierte, verbarg nicht, dass noch einiges zu tun ist, um wieder auf dasselbe Level zu kommen.
Büchel mental müde
Dem Wunschlevel bereits sehr nahe ist Selina Büchel. Ihr 800-m-Rekord eine Woche zuvor in Paris verdeutlicht dies. Bei Athletissima feierte sie einen weiteren überzeugenden Sieg, doch ohne Makel blieb er nicht.
Die Hallen-Europameisterin des KTV Bütschwil musste sich mit einer Zeit von 2:01,23 Minuten begnügen. An ihrem neuen Schweizer Rekord von 1:57,95 Minuten gemessen nicht mal eine Durchschnittszeit. «Siegen macht zwar Spass», sagte sie, «aber die Zeit stimmt nicht.»
Vorgenommen hatte sie sich, die Zwei-Minuten-Grenze ein zweites Mal zu durchbrechen. Doch den Konzentrationsmangel, die mentale Müdigkeit und eine zu gemächliche erste Runde vermochte sie nicht zu korrigieren. Offen sagte die 23-Jährige: «Ich hatte Mühe mit der totalen Konzentration.» Im Vergleich zum Vorjahr präsentierte sich die Vorzeigemittelstreckenläuferin allerdings deutlich weiter. Damals lief sie – vom Anfangstempo überfordert – dem Feld hinterher. 2:03,34 Minuten hatte sie zu erklären.
Hussein braucht mehr Rennen
Und auch um Europameister Kariem Hussein haben sich die Massstäbe massiv verschoben. Gemessen wird er nun an Topzeiten, verglichen mit der Weltklasse. Diesem Massstab wurde der 26-Jährige am Donnerstag bis Hürde 8 gerecht. Nach vielversprechenden ersten 300 m verlor er auf der Zielgeraden zu viel.
«Ich wollte den 14-Schritt-Rhythmus zwischen den Hürden durchziehen, und diese Rechnung ging nicht auf», erklärte er. In 49,44 Sekunden wurde er gestoppt, das reichte nur für den sechsten Platz. Letztes Jahr waren es nach einem ähnlichen Rennen 49,38 Sekunden gewesen.
Konnte mit seiner Leistung bei den 400 Meter Hürden nicht zufrieden sein: Kariem Hussein (dritter von links). (Bild: PIERRE ALBOUY)
Damals sagte der Chef Leistungssport Peter Haas: «Kariem büsste für seinen Mut, doch irgendwann kommt er exzellent durch.» Was sich anderthalb Monate später mit dem Sturmlauf zu EM-Gold bewahrheitete. Im ersten Augenblick nach dem Rennen rätselte Hussein nun in Lausanne. Doch die Zuversicht dürfte bald zurückkehren: «Die Trainings stimmen zuversichtlich, jetzt brauche ich noch das eine oder andere Rennen.»
Schulterzucken bei Kambundji
Mujinga Kambundji siegte zwar mit der Staffel, aber auf den 200 Metern blieb sie weit hinter den Erwartungen. (Bild: PIERRE ALBOUY)
Gleiches trifft auf Sprint-Ass Mujinga Kambundji zu. Die Bernerin präsentierte sich nicht annähernd wie letzten Sommer an den Europameisterschaften in Zürich. Und sie verfehlte über 200 m trotz idealer Windunterstützung ihre Saisonbestmarke von 23,20 Sekunden um sechs Hundertstel. Schlecht aus sah sie vor allem auf den letzten 30 Metern, letztlich reichte es nur für den 8. und letzten Platz.
Gefragt nach einer Erklärung hob die EM-Vierte über 100 m und Fünfte über 200 die Schultern. Die Wettkampfpause von einem Monat liess sich nicht verbergen.