Die Sorgen der Österreicher hätten alle anderen gerne

Mit den letzten Schwüngen in Méribel haben Anna Fenninger und Marcel Hirscher Österreich historische Siege beschert. Doch der Triumph übertüncht einige Probleme, die die dominierende Ski-Nation plagen. Eine Analyse des alpinen Weltcup-Winters.

Austria's Marcel Hirscher (R) and Anna Fenninger pose with their Globe trophies surrounded by Austrian team on the podium at the Alpine Skiing World Cup Finals in Meribel, in the French Alps, March 22, 2015 REUTERS/Robert Pratta (Bild: Reuters/ROBERT PRATTA)

Mit den letzten Schwüngen in Méribel haben Anna Fenninger und Marcel Hirscher Österreich historische Siege beschert. Doch der Triumph übertüncht einige Probleme, die die dominierende Ski-Nation plagen. Eine Analyse des alpinen Weltcup-Winters.

Die Ohren- und Augenzeugen in Méribel mussten sich zwangsläufig an den Filmklassiker «Und täglich grüsst das Murmeltier» erinnert fühlen. Im Fünf-Minuten-Takt wiederholten sich am Sonntagnachmittag in den französischen Alpen die immergleichen Szenen, als beim Weltcupfinal die Besten der Skibranche prämiert wurden. Und dabei schien einmal mehr das Motto zu gelten: «Und ständig jubeln die Österreicher.»

Gezählte neun Mal wurde am letzten Tag des Weltcupwinters die rot-weiss-rote Fahne gehisst und dazu die österreichische Hymne abgespielt. Neun Fanfaren für zwei Tagessiege und sieben Kristallkugeln, die Österreichs Skifahrer auch diesmal wieder abgeräumt haben. Angesichts dieser Dauerbeschallung würde es nicht weiter verwundern, wenn so mancher Bewohner von Méribel bei nächstbester Gelegenheit statt der Marseillaise irrtümlich das österreichisches Bundeslied anstimmen würde.

Peter Schröcksnadel, der Mahner

Für Peter Schröcksnadel, der seit einem Vierteljahrhundert dem Österreichischen Skiverband als ehrgeiziger und erfolgreicher Präsident vorsteht, waren all die Auszeichnungen am Ende schon fast ein wenig zu viel des Guten. Marcel Hirscher müsse nicht unbedingt ein viertes Mal den Gesamtweltcup gewinnen, um den Beweis zu erbringen, dass er der Beste sei, hatte Schröcksnadel bereits vor dem Final gemeint.

Dem Deutschen Felix Neureuther (links) und der Slowenin Tina Maze wurden die Kristallkugeln im letzten Augenblick aus den Händen gerissen. Die österreischische Dominanz im alpinen Skizirkus freut den österreichischen Verbandspräsident Peter Schröcksnadel (rechts) nicht vorbehaltslos.

Dem Deutschen Felix Neureuther (links) und der Slowenin Tina Maze wurden die Kristallkugeln im letzten Augenblick aus den Händen gerissen. Die österreischische Dominanz im alpinen Skizirkus freut den österreichischen Verbandspräsident Peter Schröcksnadel (rechts) nicht vorbehaltslos. (Bild: Keystone/Reuters)

Als weltweit vernetzter Multiunternehmer, der auch im Tourismus tätig ist, weiss Schröcksnadel nur zu gut, dass die Dominanz einer Nation für den gesamten Ski-Weltcup nicht unbedingt förderlich ist und Abwechslung das Ski-Geschäft beleben würde.

Historisch einmalige Serien

Doch wer Alleskönner und Ausnahmeskifahrer wie Anna Fenninger und Marcel Hirscher in seinen Reihen hat, der kann die Trophäen im Grunde schon einplanen. Es hat in der erfolgreichen österreichischen Weltcup-Historie schon öfter einmal Seriensieger und überragende Persönlichkeiten gegeben, von Karl Schranz bis Annemarie Moser-Pröll, von Petra Kronberger bis Hermann Maier, doch dass bei den Damen und Herren gleichzeitig Österreicher das Mass aller Dinge sind, das ist selbst für den hoch dekorierten ÖSV noch eine Besonderheit.

Anna Fenninger (25) gewann mit dem Riesenslalom in Méribel nicht nur die kleine Kristallkugel in dieser Disziplin, sie überholte damit im letzten Rennen auch noch die Slowenin Tina Maze (3.) im Gesamtweltcup und verteidigte mit 22 Punkten Vorsprung ihren Gesamtsieg aus der Vorsaison.



Anna Fenninger of Austria skis during the second run of the women's giant slalom race at the Alpine Skiing World Cup Finals in Meribel, in the French Alps, March 22, 2015 REUTERS/Christian Hartmann

Unwiderstehlich zum Sieg im Gesamt-Weltcup: Anna Fenninger, hier im abschliessenden Riesenslalom beim Weltcup-Finale in Méribel, den sie für sich entschied. (Bild: Reuters/CHRISTIAN HARTMANN)

Marcel Hirscher (26) schnappte mit dem Slalomsieg in Méribel nicht nur dem Deutschen Felix Neureuther die kleine Kristallkugel weg, er sicherte sich auch noch die Riesentorlauf-Wertung und gewann zum vierten Mal in Folge den Gesamtweltcup. Ein historisches Husarenstück – vier Gesamtsiege in Serie waren seinerzeit nicht einmal dem grossen Ingemar Stenmark (Schweden) geglückt. «Es fällt schwer, das zu realisieren», gestand Hirscher, der sonst nie um einen flotten Spruch verlegen ist.

Der Triumph übertüncht einige Probleme

Die Triumphe von Fenninger und Hirscher sind ein Erfolg mit System. Aber sie sind nicht zwangsläufig ein Erfolg des Systems. Vielmehr überdecken die beiden aussergewöhnlichen Skifahrer, die bereits im Nachwuchs erfolgreich ihre Spuren gezogen haben, so manche Probleme und Sorgen, die den Österreichischen Skiverband nun schon seit geraumer Zeit plagen.

Der Entstand und die Punkte in der Weltcup-Gesamtwertungen von Männern und Frauen im Winter 2014/15:

Darüber können auch die obligaten Siege in den Nationenwertungen (seit 1990 ist Österreich immer die Nummer eins) nicht hinwegtäuschen. Doch über die Schwachstellen reden sie beim ÖSV an Feiertagen wie diesen nur ungern.

Marcel Hirscher – die One-Man-Show

Marcel Hirscher hat kraft seiner Verdienste innerhalb des ÖSV längst einen Sonderstatus und ist nun schon seit geraumer Zeit als erfolgreiches One-Man-Team im Weltcup unterwegs. Der 26-jährige Salzburger hat in den vergangenen Jahren eine Crew um sich geschart, der ein eigener Coach (Michael Pircher), ein persönlicher Physiotherapeut und Konditionstrainer sowie ein eigener PR-Betreuer und sein Papa Ferdinand angehören, der zu den wichtigsten Einflüsterern und Ratgebern Hirschers zählt.



epa04674251 Marcel Hirscher of Austria clears a gate during the second run of the Men's Slalom race at the Alpine Skiing World Cup in Meribel, France, 22 March 2015. EPA/GUILLAUME HORCAJUELO

Eine letzte Demonstration: Marcel Hirscher im Slalom von Méribel, den er gewann und Felix Neureuther noch den Sieg in der Slalomwertung entriss. (Bild: Keystone/GUILLAUME HORCAJUELO)

Nichts anderes machen auch andere Superstars wie Tina Maze (SLO) oder Lindsey Vonn (USA), die ebenfalls höchst erfolgreich mit Privatteams durch den Weltcup gondeln.

Dass es auch anders gehen kann, beweist Anna Fenninger, deren grösste Extravaganz ein deutscher Manager ist, der vielen beim Skiverband ein Dorn im Auge ist. Denn gewöhnlich werden die Stars vom ÖSV selbst vermarktet, doch Fenninger schert sich mittlerweile darum genauso wenig wie um die ständigen Vergleiche mit Annemarie Moser-Pröll, die sie schon die gesamte Karriere begleiten.

Anna Fenninger – die früh Vollendete

Dabei braucht die Salzburgerin den Vergleich mit ihrer Landsfrau (62 Weltcupsiege), die in diesem Winter von Lindsey Vonn (67 Weltcupsiege) als erfolgreichste Weltcupläuferin abgelöst wurde, nicht mehr scheuen. Mit 25 ist Fenninger bereits mehrfache Weltmeisterin, Olympiasiegerin und stolze Besitzerin zweier grosser Kristallkugeln.

«Dass der Weltcupsieg überhaupt möglich war, bedeutet mir extrem viel. Das heisst, dass die komplette Saison perfekt war. Ich bin Zweite in der Abfahrt, Zweite im Super-G, Erste im Riesentorlauf. Das sind meine Hauptdisziplinen. Viel mehr geht einfach nicht», sagt Fenninger.

Welche Ziele bleiben noch?

Das ist auch das grosse Dilemma, in dem sich Marcel Hirscher nun befindet. Es spricht für den Ehrgeiz und den Elan des 26-Jährigen, dass er bereits im Augenblick des Triumphes schon wieder in die Zukunft blickte. Denn langsam gehen ihm die Ziele aus.

Klar, ihm fehlt noch ein Olympiasieg in der Trophäensammlung, und natürlich hat er Hermann Maier, mit 54 Weltcupsiegen Österreichs Nummer eins, ebenfalls noch nicht eingeholt. Aber sonst? «Ich muss mir jetzt Gedenken machen: was ist next?», gesteht Hirscher. «Es ist zäh, was soll jetzt besser werden? Man kann sich einmal diese Frage stellen.»

Die unfreiwillige Slapstick-Nummer des Franzosen Julien Lizeroux beim Start zum Slalom in Méribel:

Gut möglich, dass Marcel Hirscher im kommenden Winter öfter einmal fremdgeht und sich vermehrt im Super-G versucht. Die WM-Kombiabfahrt und der vierte Platz im Super-G von Méribel haben dem Österreicher sichtlich Lust auf mehr gemacht.

Doch auch wenn der 26-Jährige in den letzten Jahren kräftig an Muskeln und Gewicht zugelegt hat, eine Karriere als Abfahrer wird er so schnell dann doch nicht einschlagen. «Das wäre ja ein Vollprojekt, bei dem du den Bereich verlässt, wo du dein Leben lang hingearbeitet hast», weiss Hirscher. Darunter würde zwangsläufig seine Performance in Slalom und Riesentorlauf leiden.

Und wenn der Österreichische Skiverband etwas dringend nötig hat, dann sind es die verlässlichen Siege und Podestplätze von Marcel Hirscher in den technischen Disziplinen. Denn ohne seinen Superstar und Alleinunterhalter wäre Österreich in Slalom und Riesenslalom längst nur mehr ein Niemandsland.

«Wir haben eine Krise» – sagt Marcel Hirscher

Beim Weltcupfinal in Frankreich waren im Slalom neben Hirscher nur mehr Benjamin Raich, 37-jährig, und Reinfried Herbst, 36-jährig, am Start, die nicht wirklich als Hoffnungsträger für die Zukunft durchgehen. Im Riesenslalom schaut es ähnlich trist aus.



Marcel Hirscher of Austria reacts in the finish area during the second run of the men's Slalom race of the FIS Alpine Skiing World Cup Finals, in Meribel, France, Sunday, March 22, 2015. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Schaut kritisch aufs Grosse und Ganze: Marcel Hirscher, der als Erster den alpinen Gesamt-Weltcup vier Mal in Folge für sich entscheidet. (Bild: Keystone/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

«Wir haben eine Krise», befindet Marcel Hirscher. «Man muss sich nur die Ergebnisse anschauen, es ist definitiv eine Krise. Heute ist es so: Wenn du Slalom fahren kannst und gut drauf bist, hast du einen Startplatz. Angebot und Nachfrage stimmen nicht mehr.»

In der Komfortzone gefangen

Die Personalkrise in den technischen Disziplinen hat jedenfalls auch Verbandspräsident Peter Schröcksnadel schon auf den Plan gerufen. Der wortgewaltige Boss , der in seiner Ära das Verbands-Budget von fünf auf 60 Millionen Franken steigern konnte, forderte bereits während des Winters Konsequenzen. «Wir leben in einer Komfortzone. Für mich ist das nicht akzeptabel. Ich sehe, dass wir immer mehr Geld ausgeben und wir bekommen immer weniger Output.»

Sieben Kristallkugeln und neun WM-Medaillen, davon fünf in Gold – ein schlechter Output? Solche Sorgen hätten andere Skiverbände gerne.

Die Nationenwertung im alpinen Ski-Weltcup 2014/15:

» Alle Wertungen und die Podestplatzierungen sämtlicher Rennen des alpinen Ski-Winters bei der Übersicht von wikipedia

» Noch detailierter: Die Website der FIS

Nächster Artikel