Der FC Basel spielt am Donnerstag im Hinspiel des Europa-League-Sechzehntelfinals gegen die AS Saint-Etienne. Mit an Bord der holprig gelandeten Maschine: Renato Steffen, den die grosse Welt des Fussballs nervös macht, der von seinem Berater nicht viel hören will und der seinen Vater am liebsten weinen sieht.
Der Kopfhörer ist rot. Und er ist gross, was allerdings täuschen könnte, schliesslich hängt er an diesem Mittwochmorgen um den Hals des 170 Zentimeter kleinen Renato Steffen. Und als ob er andeuten wollte, dass nach dem turbulenten Transfer noch nicht alles am richtigen Platz ist, hat sich der Kopfhörer im Sakkokragen des dienstjüngsten Kaderspielers verfangen.
Steffen ist nach Saint-Etienne unterwegs, wo der FC Basel am Donnerstag im Sechzehntelfinal auf den französischen Rekordmeister trifft. Weil der Basler Anhang aus Sicherheitsgründen nicht in die Stadt am Furan reisen darf, spielt der 24-Jährige in Abwesenheit der Fans seines neuen Arbeitgebers.
Pfiffe waren nach Steffens Wechsel von den Young Boys an den Rhein vor allem im ersten Spiel gegen Luzern zu hören. Sein Treffer zum 3:0 änderte daran nichts, im Gegenteil: Mit seiner Jubelgeste goss er Öl ins Feuer. Auch beim Auswärtsspiel gegen GC waren aus dem Basler Sektor noch vereinzelte Pfiffe zu hören.
Die Seiten, die von aussen nicht wahrgenommen werden
«Ich musste lernen, damit umzugehen», sagt Steffen, der «genau wusste, was auf mich zukommen würde – auch, weil mich der Präsident und der Sportchef sehr gut auf die Situation vorbereitet haben». Steffen kann es nicht allen recht machen, das sei schon bei seinem Wechsel von Thun zu YB so gewesen. «Jetzt versuche ich, die ganzen Reaktionen in Positives umzuwandeln.»
Schliesslich hat Steffen realisiert, dass es «nicht schlecht ist, erst mal in der Schweiz zu bleiben, beim besten Verein des Landes».
Ein Tor gegen Luzern und ein Assist beim 4:0-Sieg im Spitzenspiel gegen die Grasshoppers sind das Resultat dieser Umwandlung. Ebenfalls dazu beigetragen hat Steffens Umfeld. Die Familie, für die die kritischen Kommentare «fast schwieriger sind als für mich selber», gibt dem Linksfuss Rückhalt.
Die vielen Gespräche mit seinem Umfeld und Personen im Verein hätten ihm die Situation leichter gemacht: «Von aussen sieht man die schönen Dinge im Leben eines Sportlers. Aber die anderen Momente, wie ein Fussballer mit einer kritischen Situation rund um seine Person umgeht, die sieht man von aussen nicht.»
Die Suche nach Sponsoren
Steffen, der noch immer pendelt, sieht sich in Basel und Umgebung nach einer Wohnung um. Vor allem sucht er aber nach Möglichkeiten, die öffentliche Wahrnehmung seiner Person zu korrigieren; die Darstellung, die ihn als provokanten Fussballer zeigt. Hilfreich sind für ihn die Mannschaftskollegen, die, wie Behrang Safari jüngst in einem Interview mit der TagesWoche, offen sagen: «Ich habe immer gedacht, dieser kleine Kerl bereitet uns derart viele Probleme. Jedes Mal. Und das ist für uns jetzt sehr positiv.»
Auf Facebook arbeitet Steffen an seinem Auftritt. «Ich bin der Typ, der auf die Menschen zugehen will. Man kann den Leuten mit Kleinigkeiten eine Freude machen.» Ihm gehe es darum, dass die Menschen merkten, wie er wirklich sei, dass er «nicht eine so schlechte Person» sei, wie er es nach seinem ersten Spiel für Basel formulierte.
«Ich bin zwischendurch noch nervös», wenn die Reise an die Europacup-Spiele geht. Für die Young Boys hat Renato Steffen in neun Partien drei Tore erzielt und vier vorbereitet. (Bild: Andy Mueller/freshfocus)
Die sozialen Medien – auch auf Instagram ist Steffen aktiv – helfen dem Aargauer zudem, die nächsten Schritte in seiner Karriere zu machen: «Ich bin vor allem deswegen auf diesen Kanälen präsent, weil ich mit den Menschen kommunizieren will. Es ist nie schlecht, an möglichst viele Personen heranzukommen, und wenn ich dadurch Kontakte mit potenziellen Sponsoren knüpfen kann… Wer weiss, vielleicht kommt das noch. Man muss allerdings mit allem klein anfangen.»
«Marc Janko ist ein anderer Typ»
Steffen wird es kaum etwas bringen, so zu kommunizieren wie Marc Janko, der sich auf Twitter beispielsweise kritisch zu seinem Platzverweis im Spiel gegen GC äussert. Auch wenn die Haltung des Österreichers erfreulich offen ist in einem Geschäft, in dem sich die meisten Akteure mit kritischen Aussagen zurückhalten: Bei Steffen würde diese Art der Kommunikation falsch verstanden werden.
«Ich sehe bei meinen Facebook-Beiträgen, wie viel kommentiert wird, nicht immer nur positiv.»
«Marc ist ein anderer Typ. Ich sehe bei meinen Beiträgen, wie viel kommentiert wird, nicht immer nur positiv. Deswegen muss ich mir noch überlegen, was ich genau veröffentlichen werde», sagt Steffen.
Ohnehin tut der flinke Flügel am meisten für Akzeptanz und Aufmerksamkeit, wenn er auf dem Feld gute Leistungen zeigt. Von den Junioren des FC Aarau gelangte Steffen über den FC Schöftland (2. Liga Interregional) und den FC Solothurn (1. Liga) zum FC Thun. Dann spielte er für YB, bis im Januar beim FC Basel einen Vertrag bis 2020 unterschrieb.
Im YB-Dress erzielte Steffen in der Saison 2014/15 in neun Europa-League-Partien drei Tore und bereitet vier Treffer vor. Beim 18-fachen Meister spielt er nun zum zweiten Mal europäisch.
Die Nervosität vor Europacup-Spielen
Die Erfahrung im Europacup hat Steffen in der Super League geholfen, weil man an diesen Spielen reife und sich eine gewisse Ruhe erarbeite. «Man handelt schneller und setzt den Körper mehr ein.» Nach Basel hat er auch deswegen gewechselt, weil der FCB Jahr für Jahr international dabei ist.
«Ich bin zwischendurch noch nervös vor Europacup-Spielen», sagt Steffen. «Das gehört aber dazu», und es rühre daher, «dass man nicht weiss, was einen erwartet. Die Gangart ist physischer, wie beispielsweise diejenige von Saint-Etienne.»
Jede Minute wird genutzt: TaWo-Redaktor Samuel Waldis am Mittwochmorgen mit Renato Steffen auf dem Weg zur Maschine, die den FC Basel nach Saint-Etienne brachte. (Bild: Keystone/PETER KLAUNZER)
Noch nervöser als bei Europa-League-Spielen wird Steffen sein, wenn sich Basel mit dem zu erwartenden siebenten Titel in Serie direkt für die Champions League qualifiziert. «Wenn wir das schaffen, wird es ein Höhepunkt sein, ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht.»
«Aber aus Freude!»
Und während Steffen über die Champions League spricht, kommt ihm eine Geschichte mit seinem Vater in den Sinn. Der war zwar skeptisch, was die sportlichen Ambitionen seines Sohnes betraf. Doch «als ich noch nicht Profi war, sagte mein Vater einmal, dass er weinen werde, wenn er dereinst im Stadion sitze, ich auf dem Rasen stehe und die Champions-League-Hymne ertöne. Das gab mir den Ansporn.»
Renato Steffen will seinen Vater also weinen sehen. «Aber aus Freude!»
Angebote aus der Bundesliga
Steffen hätte auch zu anderen Vereinen wechseln können. Der SC Freiburg etwa hat ihn sich lange und intensiv angeschaut. Steffen sagt dazu: «Ich glaube, es gab konkrete Angebote aus der Bundesliga.» Mehr wisse er nicht. «Einige Spieler wollen über jedes Angebot Bescheid wissen. Ich sagte meinem Berater, er solle mich erst dann informieren, wenn etwas definitiv zum Thema wird.» Schliesslich habe er realisiert, dass es «nicht schlecht ist, erst mal in der Schweiz zu bleiben, beim besten Verein des Landes».
Überzeugt Steffen in der Rückrunde weiterhin, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass der zweifache Nationalspieler mit der Schweiz an die Europameisterschaft nach Frankreich fährt.
Der gelernte Maler kann dann denselben Kopfhörer mitnehmen wie auf die Reise nach Saint-Etienne mit dem FCB. Rot passt sowohl zum Verein als auch zur Landesauswahl. Und vielleicht liegt dann der Kopfhörer ordnungsgemäss um Steffens Hals.