Die U21 und die Muttermilch

Während die A-Nationalmannschaft heute in Bern (20.30 Uhr) in der WM-Qualifikation gegen Norwegen einen kapitalen Match bestreitet, spielt die U21 in einem prestigeträchtigen Duell gegen Deutschland um ein EM-Ticket.

Abschlusstraining: U21-Nationaltrainer Pierluigi Tami (Mitte) bei der Inaugenscheinnahme der BayArena in Leverkusen, wo die Schweiz auf Deutschland trifft. (Bild: Keystone/KARL MATHIS)

Während die A-Nationalmannschaft heute in Bern (20.30 Uhr) in der WM-Qualifikation gegen Norwegen einen kapitalen Match bestreitet, spielt die U21 in einem prestigeträchtigen Duell gegen Deutschland um ein EM-Ticket. In den Augen des – deutschen – SFV-Direktors Peter Knäbel eine Gelegenheit, mal zu zeigen, dass man mit den Weltbesten mithalten kann.

Beim FC Schalke 04 hat sich in diesem Sommer eine neue Viererclique formiert. Die Neuzugänge Roman Neustädter und Tranquillo Barnetta treiben sich in ihrer Freizeit vorzugsweise mit den Kollegen Lewis Holtby und Christian Fuchs herum, und natürlich blüht der Flachs unter diesen jungen Männer. Der Schweizer A-Nationalspieler Barnetta habe schon damit geprahlt, «dass die Schweizer eine Truppe mit Spielern haben von denen einige 2009 U17-Weltmeister waren und einige 2011 im Finale der U21-EM standen», sagt Holtby, der Captain der deutschen U21-Juniorenauswahl.

U21-EM-Qualifikation
Barrage-Hinspiele:
Slowakei–Holland 0:2 (0:0)
Spanien–Dänemark 5:0 (3:0)

Mögliche Aufstellung der Schweiz gegen Deutschland: Bürki (GC); Philipp Koch (FCZ), Schär (Basel), Affolter (Bremen), Daprela (Brescia); Wiss (Luzern) oder Buff (FCZ), Abrashi (GC); Kasami (Fulham), Toko (GC), Zuber (GC); Drmic (FCZ).

Das Aufgebot

Das grosse Deutschland trifft am heutigen Freitag in Leverkusen (18.00 Uhr, live auf SF2 und Eurosport) sowie im Rückspiel am Dienstag in Luzern auf die kleine Schweiz, der Sieger darf im kommenden Sommer zur Europameisterschaft nach Israel reisen. Und natürlich bereitet es Barnetta grosses Vergnügen, dem Kollegen Holtby ein wenig Furcht einzujagen.

Ganz so klein ist die Schweiz natürlich gar nicht, wenn es um Nachwuchsfussball geht. Jedenfalls sind die Schweizer selbstbewusst genug, sich über das schwere Los in diesen Playoffs zu freuen. «Für die Spieler ist das etwas ganz Besonderes», sagt Peter Knäbel, der Technische Direktor des Schweizerischen Fussballverbande SFV und in dieser Funktion lange für den FC Basel tätig.

Es geht ums Prestige und das Schaufenster

Der Schweizer Nachwuchs brenne darauf, sich «auf dem Markt zu zeigen, der diese Spieler am meisten interessiert», meint Knäbel, der einst in der Bundesliga für den VfL Bochum, den FC St Pauli, 1860 München und den 1. FC Nürnberg spielte, und für den dieses Kräftemessen gegen seine Landsleute auch von einiger Bedeutung sein dürfte.

Wie prestigeträchtig Siege gegen den grossen Nachbarn sind, zeigte der aus 5:3-Erfolg gegen Joachim Löws DFB-Elf während der EM-Vorbereitung im Sommer, der in der Schweiz als historisches Ereignis gefeiert wurde, in Deutschland hingegen schon fast vergessen ist.

Die U21 will nun nachlegen, auch um den Weg für schweizerischer Spieler zu den deutschen Spitzenvereinen weiter zu ebnen. Mit Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri derzeit zwei sehr ambitionierte Schweizer in der Bundesliga, die der selben Generation angehören, wie die aktuellen U21-Nationalspieler, so hoffen sie in der Schweiz.

Aktuelle U21 weniger geprägt von Individualisten

Es gehe bei den Playoff-Partien, «auch darum, wie das Bild Deutschlands vom Schweizer Ausbildungsprodukt ist», erläutert Knäbel ein wenig technokratisch. Aber es gibt ja tatsächlich immer wieder diese Trends, mal wird besonders viel in Skandinavien gescoutet, dann sind Japaner besonders angesagt. Daher dürften die beiden Spiele der Schweiz gegen den DFB-Nachwuchs in den Terminkalendern Bundesligascouts fett markiert sein.

Wobei die Hoffnung, dort Hochveranlagte wie die Ex-Basler Xhaka oder Shaqiri zu entdecken, eher klein ist. «Das Team, das jetzt die Qualifikation gespielt hat, ist weniger geprägt von grossen Individualisten, dafür arbeitet die Mannschaft eher teamorientiert und sehr solidarisch», sagt Knäbel.

Was kein Nachteil sein muss. Der Schweizer Nachwuchsfussball, der 2002 schon einmal einen Höhepunkt erlebte, als die Mannschaft um Barnetta und Philipe Senderos U17-Europameister wurde, erlebt eine lang anhaltende Blüte. 2009 gewann die Schweiz die U17-WM in Nigeria, 2011 wurden sie Zweiter bei der U21-EM, und im Sommer nahm das Team an den Olympischen Spielen in London teil.

Knäbel: Zeigen, dass es möglich ist

«Als Deutscher saugt man mit der Muttermilch auf, dass man mit den Weltbesten mithalten kann», sagt Knäbel, «in der Schweiz ist es extrem wichtig, dass man das auch mal tut. Die Erfahrung, dass solche Erfolge möglich sind, die hat eine sehr grosse Bedeutung.»

Erfolge bei internationalen Jugendturnieren gelten mittlerweile als unverzichtbarer Rohstoff für die Entwicklung ambitionierter A-Nationalmannschaften. In der Ära des Sportdirektors Matthias Sammer wurde beim Deutschen Fussball-Bund das Credo etabliert, dass die Befähigung zu grossen Turniererfolgen zuvor in den Jugendteams erlernt werden müsse.

2009 gewann Deutschlands U21 die Europameisterschaft, mit Manuel Neuer, Mesut Özil, Jerome Boateng, Sami Khedira, Benedikt Höwedes und Mats Hummels, jener Spielergeneration also, der zugetraut wird, Deutschland in naher Zukunft endlich wieder zu einem wirklich grossen Titel zu verhelfen. «Durch einen Erfolg bei einem solchen Turnier geht auch die Tür zur Nationalmannschaft auf, wie man bei den Europameistern von 2009 gesehen hat», sagt Holtby.

Den Deutschen fehlen zwei wichtige Akteure

Ganz so stark wie die Turniersieger von 2009 wird die gegenwärtige Generation allerdings nicht eingeschätzt, und mit Ilkay Gündogan und Sebastian Rode müssen zwei wichtige Spieler aufgrund von Verletzungen zu Hause bleiben. Aber mit Kapitän Holtby, Bernd Leno im Tor, Gladbachs Tony Jantschke, Sebastian Rudy (Hoffenheim) und Karim Bellarabi (Bayer Leverkusen) spielen auch jetzt einige Stars aus der Bundesliga in der Auswahl. Fussballer, die davon träumen, durch die U21 noch einmal einen kräftigen Karriereschub zu erhalten.

Der Stürmer aus den Tiefen des Vorarlbergs

In Altstätten SG ist er aufgewachsen und bei Au-Berneck hat er in der Jugend gespielt, ehe Orhan Ademi in der zweiten österreichischen Liga unter Urs Schönenberger 2008 im Fanionteam von Altach debütierte. In 94 Einsätzen für die Vorarlberger traf der 1,88 Meter grosse Stürmer 30 Mal. Jetzt ist der gebürtige Mazedonier mit Schweizer Pass der neueste Schrei in Braunschweig, wo er mit dem noch ungeschlagenen Traditionsclub sachte an der Tür zur 1. Bundesliga anklopft.

Bei der Premiere für Braunschweig traf der 20-Jährige als Einwechselspieler mit seiner ersten Ballberührung, zwei weitere Treffer sind inzwischen dazugekommen und waren Argument genug für eine Nomination durch U21-Trainer Pierluigi Tami für die Playoff-Spiele gegen Deutschland. Dass er für die Schweiz spielen werde, sei für ihn immer klar gewesen: «Ich bin hier aufgewachsen, in die Schule gegangen und fühle mich als Schweizer,» sagt Ademi, der erst seit wenigen Wochen den Schweizer Pass besitzt. Aus dem Land seines Eltern hat Ademi nie eine Anfrage erhalten, wohl aber vom österreichischen Verband. «Aber das war kein Thema für mich.»

Im Duell mit den Deutschen wird der Rheintaler zunächst in der Hierarchie des Teams hinter Josip Drmic (FCZ) und Haris Seferovic (US Lecce) anstehen müssen. Selbstbewusstsein demonstriert Ademi dennoch: Man müsse Respekt haben vor dem Gegner, aber keine Ehrfurcht: «Wir dürfen sie nicht überschätzen. Sie sind nicht stärker als Spanien.» Und gegen den Titelverteidiger hat die Schweiz – als bester Gruppenzweiter weitergekommen – in der Vorrunde immerhin im Heimspiel ein torloses Unentschieden bewerkstelligt. (cok/SI) 

 

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