Novak Djokovic schlägt Roger Federer in London mit 7:6 und 7:5. Schon vor dem ATP-Final stand fest, dass die vier Besten der Tenniswelt heuer ihre dominante Stellung zementiert haben. Verschiebungen gibt es nur noch innerhalb dieser Kleingruppe. Eine Tendenz, unter der der reguläre Betrieb der Tour durchaus leidet.
Im Blitzlichtgewitter der Fotografenmeute hielt er strahlend seinen Siegerpokal in die Höhe. Am vorletzten Sonntag war es, als David Ferrer im Hallenpalast von Paris-Bercy einen raren Moment des grossen Ruhms hatte – nach dem ersten Masters-Sieg seiner langen, aufreibenden Tennis-Karriere. Doch wer genauer hinsah beim Triumph des «kleinen Biests», des bissigen Kämpfertypen aus Valencia, der stolperte automatisch über den Schönheitsfehler dieser Siegkampagne.
Roger Federer, der Schweizer Maestro, war erst gar nicht angetreten bei dem Wettbewerb in Frankreichs Kapitale, Novak Djokovic und Andy Murray hatten sich lustlos in frühen Turnierrunden verabschiedet, um alle Konzentration aufs WM-Finale in London zu richten. Und Spaniens Matador Rafael Nadal fehlte natürlich noch immer verletzt, er besah sich Ferrers Coup vor dem Fernseher im mallorquinischen Manacor.
So wirkte das Endspiel zwischen dem späteren Sieger Ferrer und dem polnischen Qualifikanten Jerzy Janowicz eher wie ein Gnadenakt der Mächtigen, eine Laune des Schicksals, herbeigeführt auch durch den merkwürdigen Tourkalender, der direkt vor dem rauschenden Londoner Schluss-Punkt noch ein Masters-Turnier vorsah.
Die grossen Vier teilen sich die grossen Titel
Wenn es richtig ernst wird im Tourbetrieb der Profis, kennen die aussergewöhnlichsten Tennisartisten, die Fabelhaften Vier also, jedoch keinerlei Pardon – und so verwunderte nicht, dass der Marathonmann Ferrer unlängst einmal sagte, der Weltranglisten-Platz 5 sei ein «Traum» für ihn, mehr könne er «eigentlich nicht erreichen.» Der Spanier führt gewissermassen die Parallelgesellschaft all jener an, die seit Jahr und Tag versuchen, in die Phalanx des dominierenden Quartetts vorzudringen, darunter so spielstarke Leute wie Tschechiens Tomas Berdych oder Frankreichs Musketier Jo-Wilfried Tsonga.
Auch das nun auslaufende Tennisjahr 2012 machte da keine Ausnahme, im Gegenteil: Mit seiner Qualitätsoffensive und dem Gewinn des ersten Grand Slam-Titels zementierte der Brite Andy Murray noch die Übermacht der spielstarken, äusserst beharrlichen Gentleman auf dem Gipfel. Fein säuberlich teilten sie sich ihre Major-Titel auf: Djokovic siegte nach einem Sechs-Stunden-Drama in Melbourne, Nadal gewann den Zwei-Tages-Fight im roten Sand von Paris, Federer rückte wieder auf den Wimbledon-Thron, Murray debütierte als Champion in New York.
Und jedes Mal war auch einer der Ihren der Gegner im Endspielkampf, einer aus der diskreten Kleingruppe, die allenfalls unter sich die Titel ausbalanciert und Positionsverschiebungen zulässt. «Ich sehe keinen, der sich in nächster Zukunft da vorne hereinschieben kann», sagt Beobachter John McEnroe, «einzig Nadal könnte wegen seiner körperlichen Probleme in Gefahr geraten.
Der Graben zum Rest ist tief
Der fast selbstverständliche Vorstoss von Djokovic, Federer und Murray ins Halbfinale der WM bestätigte nur den Trend dieser Spielserie, in der eine einsame Führungsgruppe die Verfolger energisch auf Distanz hält. Wie tief der Graben selbst unter den Top-Ten-Leuten ist, beweist die Kopf-zu-Kopf-Bilanz zwischen Federer, der Nummer 2, und Ferrer, der Nummer 5. 14:0 lautet inzwischen die Bilanz für den Schweizer, der auch im fortgeschrittenen Alter von 31 Jahren nicht müde wird, seine erstklassige Stellung zu verteidigen.
Abgesehen von Ferrers zweifelhaftem Voll-Treffer in Paris, holten Federer und Co. alle anderen Masters-Titel des Jahres 2012, der Maestro gewann genau so wie Djokovic drei Pokale – und Nadal, der seit Wimbledon verletzte Gladiator, nahm im Frühjahr noch zwei Trophäen mit. Murray ging zwar bei den Masters-Wettbewerben leer aus, doch er versüsste sich die Saison noch schöner mit dem Goldmedaillen-Coup von London.
«Diese Gruppe verfügt einfach über extreme Qualität», sagt der Schwede Mats Wilander, «allerdings hat man manchmal auch den Eindruck, dass viele im grossen Pulk schon nicht mehr an ihre Chance gegen die Topleute glauben.»
Der reguläre Tourbetrieb leidet
Der reguläre Tourbetrieb leidet sogar unter der Führungsstärke seiner Besten. Denn ausserhalb der Grand Slams und Masters-Turniere treten die Superstars immer seltener an, um sich ganz auf die wichtigeren Herausforderungen konzentrieren zu können. In vielen Ländermärkten treten Djokovic und Co. kaum noch an, mal, weil die Veranstalter die hohen Antrittsprämien nicht bezahlen können, mal, weil das Turnier nicht in den eigenen, strikt getakteten Zeitplan passt. «Und diese Tendenz», sagt ein europäischer Turnierboss, «wird eher noch zunehmen.»