Roger Federer im Herbst. Keineswegs im «Herbst seiner Karriere», sondern schlicht im Basler Herbst 2012. Eine Bestandesaufnahme und ein Blick weit voraus.
Roger Federer muss einem zu denken geben. Neinnein, falsche Fährte. Wir zweifeln nicht plötzlich an seinen Qualitäten, nur weil ihm in seinen beiden bisherigen Basler Matches der eine oder andere Lapsus zuviel unterlief, nur weil er sich nicht in fast schon gewohnter Leichtigkeit durch seine Runden gespielt hat.
Federer gegen Paire
Roger Federers Viertelfinalgegner an den Swiss Indoors ist der 23-jährige Franzose Benoit Paire (ATP 46), der sich gegen den polnischen Qualifikanten Lukasz Kubot 6:4, 6:4 durchsetzte. Federer trifft erstmals auf Paire. Die Partie ist am Freitag um 20.00 Uhr angesetzt.
Das Tableau
Der Spielplan für Freitag
Die Formel «muss einem zu denken geben» ist in diesem Fall als dickes Kompliment zu verstehen, als verkürzte Hommage und zugleich als Merci an einen ausserordentlichen Sportler. Einen solchen aus der Nähe zu sehen, zu erleben, zu beschreiben, eben über ihn nachzudenken, einen, der erst noch unseren Dialekt spricht, das ist – Vorsicht, Vorsicht vor zuviel Pathos – schon ein ausserordentliches Privileg.
Und ob man will oder nicht, man fängt an zu sinnieren, wie unser Interesse an diesem Sport aussehen wird, wenn der beste im Schweizer Tennis nicht mehr Federer heisst; auch darüber zu hirnen, wie das Basler Turnier aussehen wird, wenn seine grosse Nummer nicht mehr Federer heisst.
Immer noch hoch oben
Derzeit ertappt man sich fast schon mit einem schlechten Gewissen, wenn man seine Matches gegen Benjamin Becker und Thomaz Bellucci als nicht rundum geglückt oder als nur mittelprächtig beschreibt. Aber hallo, vergessen wir bitte nicht, auf welch hohem Niveau hier Sport betrieben wird.
Ende diesen Sommers war in einer tennistechnisch durchaus kompetenten Schweizer Zeitung dieser Satz zu lesen: «…und spielte während der Woche phasenweise absolutes Spitzentennis.»
Tenniskompetent, wie gesagt. Wir hatten nicht den geringsten Zweifel an der Richtigkeit dieses Satzes, hatten uns nur gewundert, dass der Satz so, in seiner ganzen Banalität, überhaupt geschrieben werden und stehen bleiben konnte. Er schien uns nämlich so überflüssig wie ein Doppelfehler am Schluss eines Tiebreaks, wenn auch keineswegs so folgenschwer. Jaja, der Satz galt nicht irgendeinem wenig bekannten Junior bei seinem Einstieg in die ATP-Serie oder einem, der lange schon versucht, sich dort zu etablieren, etwa einem Michael Lammer oder einem Stephane Bohli, sondern galt einem, der in den Wochen zuvor eben erst das Grand Slam-Turnier in Wimbledon und eine olympische Silbermedaille gewonnen hatte.
Der permanente Superlativ
Und jetzt soll er unvermittelt «während der Woche phasenweise absolutes Spitzentennis» gespielt haben? Wir «deleten» den zitierten Satz und stellen richtig: Roger Federer spielt nicht nur phasenweise und nicht nur während einer Woche absolutes Spitzentennis, sondern er spielt seit über einem Jahrzehnt absolutes Spitzentennis, also spätestens seit jenem Tag im Jahr 2001, als er im Achtelfinal von Wimbledon Pete Sampras schlug.
Wer nicht Match für Match absolutes Spitzentennis spielt, kann nicht während fast sechs Jahren die Nummer 1 der Sparte sein. Ein paar Momente, zugegeben, nehmen wir aus diesem Dauer-Superlativ aus, etwa jenes eine Game neulich im Halbfinal von Shanghai gegen Andy Murray, als Federer in Serie drei Doppelfehler fabrizierte. Der Beleg dafür, dass Roger Federer auch nur ein Mensch ist.
Allzeit bereit
In den beiden bisherigen Basler Matches mag man gelegentlich das Gefühl bekommen haben, Federer mache nicht mehr wie von selbst in jedem Moment das Richtige, er habe das momentan Erforderliche nicht mehr jederzeit auf Abruf parat. Und im nächsten Moment widerlegt er einen nach Strich und Faden – einen Zahn zulegen gegen Benjamin Becker und der zweite Satz ist locker gewonnen, zwei Fehler Thomaz Belluccis dankbar zur Kenntnis nehmen, das Break machen und den Match gewinnen.
So ist sie im belangvollen Moment eben doch wieder da, diese scheinbare Selbstverständlichkeit, die ein hohes Mass an Talent, ein höheres Mass an Erfahrung und ein höchstes Mass an Arbeit voraussetzt. Spieler wie Becker oder Bellucci stehen letztlich doch wieder mit leeren Händen da und müssen anerkennen: Federer bleibt puncto scheinbare Leichtigkeit ein Schwergewicht.
Segen und Fluch?
Wir wollen uns nicht beteiligen an den Spekulationen darüber, ob Federer das Basler Turnier auch ein achtes oder zehntes Mal gewinnen kann. Aber wir fragen uns mal vorsichtig, wie es den Swiss Indoors ergeht, wenn seine Ära vorbei ist. Wird dann der derzeitige Federer-Segen zum Federer-Fluch? Wird man das Turnier dann nicht mehr so mögen? Wird man dann munkeln, da fehle doch etwas? Wird man vergessen haben, dass die Swiss Indoors auch dann schon ausverkaufte Hoch-Zeiten erlebten, als es einen Federer weit und breit noch nicht gab?
Und schliesslich: Wird nach der Ära des Spielers Roger Federer und der Ära des Turnierdirektors Roger Brennwald eine Ära des Turnierdirektors Roger Federer beginnen? Würde ja passen. Denn das Basler Tennisturnier gehört zu Roger Federers Biografie, seit er als Drittklässler durch die Strassen Münchensteins zog und Indoors-Löösli verkaufte; danach war er Ballbub, 1997 versuchte er sich erstmals (erfolglos) in der Qualifikation, und seit 1998 ist er im Hauptturnier – theoretisch – immer dabei; 2003 bis 2005 musste er wegen Verletzungen aufgeben oder kurzfristig absagen.
In seinen übrigen Teilnahmen hat er mehr Basler Finals verloren als jeder andere, nämlich drei, aber auch mehr gewonnen als jeder andere, nämlich fünf. Jetzt ist der mehrjährige Vertrag zwischen dem Turnier und dem Unternehmen Federer ausgelaufen.
Ob es einen neuen oder weiterlaufenden längerfristigen Vertrag gibt oder geben wird, darüber ist noch nichts bekannt geworden. Aber man müsste sich schon die Augen reiben, sollte Federer noch ein paar Jahre lang auf allen möglichen Turnieren spielen, nur in Basel nicht. Das würde einem tatsächlich zu denken geben, und die beiden Partner müssten uns das schon sehr plausibel erklären können. Oder ganz schlicht ausgedrückt: Wir wären ziemlich beleidigt.