Doping? Bei uns in Russland doch nicht!

Mit den üblichen Reflexen reagiert Russlands Sportspitze auf die Dopingermittlungen gegen ihre Fussball-Nationalmannschaft. Ob gedopt oder nicht – die Sbornaja machte beim Ausscheiden im Confed Cup nicht den Eindruck, bei der WM in einem Jahr grosse Stricke zerreissen zu können.

Vitali Leontjewitsch Mutko: einst Fussballverbandschef, Sportminister und Fifa-Exekutivmitglied, heute Russlands Vize-Premierminister, OK-Chef der WM 2018 und grosser Doping-Beschwichtiger. (Bild: Keystone/Dmitri Lovetsky)

Draussen waren die Spieler ganz gut weggekommen, es hatte wenig Unmut gegeben unter den 41’500 Zuschauern in Kasan, eher Resignation: die Erwartungen waren sowieso gering, da konnte das vorzeitige Ausscheiden im Konföderationen-Pokal nach Niederlagen gegen Portugal und nun Mexiko auch nicht mehr gross schocken. Ein paar Fans reckten gar trotzig ihre Schals in die Höhe und bewegten die Mannschaft dazu, sich auf eine letzte kleine Ehrenrunde zu wagen.

Zahlen und Fakten zum Confed Cup in Russland

Doch natürlich sind nicht alle Einwohner des grossen Landes so leidensfähig. Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow musste sich auf seiner unfreiwilligen Abschiedspressekonferenz vom Turnier daher so manche der im russischen Sport gern sehr direkt vorgetragenen Schuldzuweisungen anhören. «Ich werde weiter arbeiten», bekräftigte er zwar, und tatsächlich gelten seine Aussichten auf Weiterbeschäftigung als intakt.

Selbst unter hohen und höchsten Vorgesetzten soll man der Auffassung sein, dass mit der aktuellen Fussballergeneration keine Wunderdinge möglich seien. Ob man sie deshalb vom sonst so skrupellosen Prestigedenken verschont?

Der komplette WM-Kader steht unter Dopingverdacht

Wohin das offenbar auch im Fussball geführt hat, wurde gestern bekannt und komplettierte den russischen Turnierkater. Nach einem Bericht der englischen «Mail on Sunday» stand der komplette WM-Kader von 2014 auf einer Liste rund 1000 «interessanter (Sports-)leute», deren Dopingproben auf ministerielle Anordnung manipuliert worden seien. Ein Fifa-Sprecher habe bestätigt, dass dem Weltverband dazu Beweismittel vorlägen und der Vorfall untersucht werde.

Konsterniert: Die aktuelle russische Auswahl verliert gegen Mexiko, scheidet beim WM-Vorbereitungsturnier aus und erfüllt damit ungefähr die nicht sehr hoch geschraubten Erwartungen. 

Sollten sich die Vorwürfe erhärten, würden sie einen systematischen Betrugsversuch nachweisen und damit ausserhalb die in der Fussball-Rechtsprechung gepflegte Einzelfalltheorie fallen, nach der erst ab drei positiven Tests ein Klub oder ein Verband für ihre Spieler haften. Die Regelung hatte Russland etwa die Teilnahme an der EM 2004 gesichert, obwohl Jegor Titow im entscheidenden Playoff-Spiel gegen Wales positiv getestet wurde.

Schon im McLaren-Report über das Staatsdoping im Putin-Reich, der unter anderem zum Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen 2016 (und, als Team, weiterhin der WM 2017) führte, war der Fussball als eine von 30 betroffenen Sportarten aufgetaucht. Dabei ging es zwar nur um scheinbar lose Fälle, dafür erwähnt der Bericht konkret, dass Spielertests auf Anordnung von «VL» nachbearbeitet worden seien. Die Initialen stehen fürVitali Leontjewitsch Mutko, einst Fussballverbandschef, Sportminister und Fifa-Exekutivmitglied, heute Vize-Premierminister – und OK-Chef der WM 2018 wie des Confed-Cups. Mutko liess sich gestern mit dem schönen Satz zitieren: «Im Fussball gab es nie Doping, und wird es nie Doping geben.»

Der russische Fussball und das systematische Doping – ein Beitrag der «Süddeutschen Zeitung»   

Waren Russlands Spieler bei der WM 2014 also gedopt oder wurden ihre Proben von den Behörden im Zuge des Programms vorsorglich manipuliert? Alles ist denkbar, und der Turnierverlauf spricht womöglich sogar eher für die zweite Variante.Die «Sbornaja» war in Brasilien alles, nur nicht physisch dominant. Beim 0:1 gegen Belgien etwa wurde sie in der Schlussphase regelrecht überrannt. «Wir haben gewonnen, weil wir fitter waren», sagte Belgiens Trainer Marc Wilmots danach.

Anders lagen die Dinge bei der EM 2008, als ein unermüdliches Russland die favorisierten Niederländer in Grund und Boden spielte. Damals wurde das Wunder der Dauerläufer dem Fitnesstrainer Raymond Verheijen zugeschrieben, der unter seinem Chef Guus Hiddink bereits die Südkoreaner 2002 zu Duracell-Häschen aufgepäppelt hatte. Hiddink konnte jedoch nie wieder an diesen Erfolg anknüpfen, so wenig wie Dick Advocaat, Fabio Capello oder zuletzt Leonid Slutsky. Bis heute bleibt 2008 das einzige Turnier, in dem Russland seit Ende der Sowjetunion und damit dem Verlust der Talentschmiede von Dynamo Kiew eine Vorrunde überstand.

Und die fussballerische Qualität?

Confed-Cup jetzt also inklusive. Und wo liegt die Hoffnung? Vielleicht darin, dass Russland nicht zuletzt am eigenen Keeper Igor Akinfeev scheiterte, der bei den drei Turniergegentoren schwach (Portugals 0:1), schlecht (Mexikos 1:1) und sehr schlecht (Mexikos 1:2) aussah. Ansonsten präsentierte sich die durchgehend in der heimischen Liga beschäftigte und nach dem EM-Desaster runderneuerte Mannschaft technisch ordentlich und voller Enthusiasmus, wenn auch mit Problemen beim defensiven Umschalten, im Spielmanagement und, schon traditionell, der Chancenverwertung.

«Bis zu einem gewissen Punkt haben wir die Herzen und Köpfe (der Fans) gewonnen, es gibt durchaus Gründe für Optimismus», resümierte Tschertschessow. «Das Leben geht weiter, so ist das im Sport.» Wenn es doch mal wirklich nur Sport wäre.

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