«Echte Liebe» oder blosses Marketing? Die Borussia leidet an inneren Zerwürfnissen

Zwei Unentschieden reichen in Dortmund für eine «Krise», dabei will man die Fallhöhe nicht noch mehr erhöhen. Die Fans regen sich derweil viel mehr über steigende Ticketpreise auf als über das Geschehen auf dem Platz. Und dort geht es am Sonntag (17.30 Uhr) gegen Rekordmeister Bayern München.

Dortmund's Pierre-Emerick Aubameyang celebrates after scoring his second goal during the German Bundesliga soccer match between Borussia Dortmund and SV Darmstadt in Dortmund, Germany, Sunday, Sept. 27, 2015. (AP Photo/Martin Meissner)

(Bild: MARTIN MEISSNER)

Zwei Unentschieden reichen in Dortmund für eine «Krise», dabei will man die Fallhöhe nicht noch mehr erhöhen. Die Fans regen sich derweil viel mehr über steigende Ticketpreise auf als über das Geschehen auf dem Platz. Und dort geht es am Sonntag (17.30 Uhr) gegen Rekordmeister Bayern München.

Rechtzeitig vor dem grossen Spiel von Borussia Dortmund beim FC Bayern München am Sonntag hat sich Hans-Joachim Watzke zu Wort gemeldet, um ein paar Dinge ins rechte Licht zu rücken. Nach der krisenhaften Vorsaison wurde die fünf Spieltage währende Tabellenführung des BVB ja in fast allen Winkeln der Fussballrepublik als grosser Genuss empfunden.

All die Millionen Fussballfans, die sich wünschen, dass der zuletzt so einseitige Wettbewerb um den Meistertitel endlich wieder spannender wird, waren hoch erfreut über den atemberaubenden Fussball, den die Dortmunder spielten. Nach zuletzt drei Unentschieden sagt Geschäftsführer Watzke: «Auf eine Strecke von 34 Spieltagen kann zurzeit keiner in Deutschland – und wahrscheinlich auch keiner in Europa – dieser unfassbaren Qualität des FC Bayern Paroli bieten.» Der neue Hype geht den Dortmundern viel zu weit, und die Fallhöhe ist schon wieder gigantisch.

Am fünften Spieltag wurde die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel noch für den besten Saisonstart gefeiert, den jemals ein Bundesligateam hingelegt hat, zwei Unentschieden später, ärgert Watzke sich über einen erstaunlichen Stimmungsumschwung. Bei der Lektüre «einiger Medien» sei bei ihm der Eindruck entstanden, dass der BVB «auf Platz 14 steht» und in einer tiefen Krise stecke. «Das ist in meinen Augen eine totale Respektlosigkeit», sagt Watzke. Wobei die Klubführung auch ihren Teil zur angespannten Gesamtstimmung beigetragen hat.

Die Kritik von Grosskreutz

Denn jenseits der Medien, die vielleicht tatsächlich ein überkritisches Auge auf die insgesamt hoch erfreuliche sportliche Entwicklung werfen, haben auch andere Leute im Umfeld des Klubs zuletzt ihre Enttäuschung artikuliert. Und zwar nicht darüber, dass der BVB auch mal nicht gewinnt und die eigene Chancenlosigkeit gegenüber dem FC Bayern hervorhebt. Sondern darüber, dass die Ähnlichkeiten zum Rekordmeister viel zu gross werden. «So langsam braucht man sich auch nicht mehr über andere Vereine beschweren», postete der ehemalige Spieler Kevin Grosskreutz auf Instagram. In Dortmund werde inzwischen «genau dieselbe SCHEISSE gemacht! Preise, Tradition usw. (…). Ich bin immer noch Fan von Borussia Dortmund und möchte weiter meine Borussia behalten!!!!»

 

Günaydin cimbom!!! #aslan #isso ❤️?. Noch ein paar Sätze zum BVB : Was ist aus unserer Borussia geworden?! Es wird 2 mal unentschieden gespielt und es wird so getan als ob man um den Abstieg spielt!!! Natürlich will man jedes Spiel gewinnen, aber es sollten alle mal auf dem Teppich bleiben! Immer dieses vergleichen mit Bayern und über sie reden! Borussia Dortmund zählt und nicht immer andere Vereine! Man sollte stolz sein für den BVB Leben zu dürfen , alles rauszuhauen , Fan oder Spieler von der Borussia zu sein und wissen wo man herkommt.Es ist ein geiler Verein, aber macht ihn nicht kaputt und werdet nicht wie andere Vereine! So langsam braucht man sich auch nicht mehr über andere Vereine beschweren ! Es wird genau dieselbe SCHEISSE gemacht! Preise, Tradition usw….Ja , normalerweise sei leise Kevin, aber ich bin immer noch Fan von Borussia Dortmund und möchte weiter meine Borussia behalten!!!! Grüße ? cimbom ??

Ein von Kevin (@fischkreutz) gepostetes Foto am29. Sep 2015 um 1:11 Uhr

 

Das klingt nach wüster Polemik, die Watzke als «Tatbestand des Nachtretens» bezeichnet, inhaltlich entkräftete der Geschäftsführer die Vorwürfe, die auch von anderen Anhängern erhoben werden, allerdings nicht. Die schon länger spürbare Unzufriedenheit in Teilen des Dortmunder Anhangs wurde in den Sozialen Medien zu einem Sturm des Protestes, als Mitte September plötzlich ein seit Jahren am Stadion stehender Spruch von der Klubikone Adi Preissler («Entscheidend ist auf’m Platz») übermalt und durch ein Sponsoren-Logo ersetzt worden war. Marketing-Chef Carsten Cramer erklärte schnell, der BVB habe «die Sensibilität der Thematik (…) unterschätzt». Inzwischen steht der Preissler-Spruch wieder da.

Die Interessen der Fans rücken in den Hintergrund

Für einen – zwar keineswegs repräsentativen, dafür aber umso engagierteren – Teil der Fans handelt es sich bei dieser Fehleinschätzung aber nur um den jüngsten Fehltritt in einem schon lange schwelenden Prozess der Entfremdung. Es gibt kaum noch öffentliche Trainingseinheiten, die Ticketpreise steigen immer weiter und zum Saisonbeginn wurde den Dauerkartenbesitzern einfach ein um 13 Prozent erhöhter Abonnementpreis von den Konten abgebucht. Weil die Tickets für die Europa-League-Abende nicht mit den üblichen Rabatt für treue Besucher versehen worden waren. «Um es klar zu sagen: Borussia Dortmund ist hier ein Fehler unterlaufen», entschuldigte der BVB sich prompt auf Facebook und überwies das Geld zurück, was nichts an dem Eindruck änderte, dass reichlich unsensibel mit den Interessen des Anhangs verfahren wird.

Den «Echte Liebe»-Slogan nimmt sich die Borussia nicht ganz so zu Herzen, wie es das Marketing in aller Welt glauben machen will.

Daher sei es «Zeit für ein klares Statement, für einen ehrlichen Dialog» heisst es in einem Gastbeitrag auf den Seiten des klugen Online-Fanzines «schwatzgelb.de»: «Was will der Verein, was die KGaA? Möchte der BVB in erster Linie zweiter Leuchtturm sein oder vor allem für die tiefe Verbindung zwischen Fan und Verein weltweite Bekanntheit erlangen?» Die Gesamtheit der Vorfälle erzeuge den Eindruck, «dass die fanpolitischen Belange immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden und die Entscheidungen im Zweifel eher aufgrund wirtschaftlicher Interessen getätigt werden».

Der BVB argumentiert, dass die Dauerkartenpreise immer noch vergleichsweise günstig seien und als 1899 Hoffenheim beim Gastspiel des BVB einen saftigen Topzuschlag erhob, unterstützte der Klub die Anhänger in ihrem Protest. Das war eine kluge Geste der Versöhnung. Die Botschaft von Kevin Grosskreutz dürfte nun aber auch dem grossen, weniger engagierten Teil des Publikums vor Augen geführt haben, dass ihr Klub den «Echte Liebe»-Slogan sich nicht ganz so zu Herzen nimmt, wie es das Marketing in aller Welt glauben machen will.

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