Roger Federer beweist an den Australian Open, dass er noch immer zum ganz grossen Schlag ausholen kann. Im Halbfinal trifft er mit Andy Murray aber einen der wenigen Spieler auf der Tour, der gegen ihn eine positive Bilanz aufweist.
Als vor zwei Wochen an der Crown Promenade in Melbourne die Lose für die Herrenkonkurrenz des Australian Open gezogen wurden, erhob sich im Tenniskosmos sofort eine Welle des Mitleids und des Entsetzens. Der schwerste Grand-Slam-Weg aller Zeiten werde das für den Ü30-Spieler Roger Federer, nicht auszuschliessen sei sein Ausscheiden schon in der ersten Turnierwoche. Und überhaupt: Spiele dieser Federer denn nicht schon wieder ein gefährliches Pokermatch mit seinem Vorhaben, ohne ein einziges vorbereitendes Wettkampspiel in den ersten Saisonhöhepunkt zu gehen, ohne jeglichen Test, ohne Standortbestimmung?
An diesem Freitag (9.30 Uhr) aber steht der Baselbieter in seiner geliebten Rolle des Tennis-Immergrüns zum zehnten Mal hintereinander im Halbfinal der Offenen Australischen Meisterschaften. Und fast hat es sich zum Jahresbeginn zum Ritual emporgesteigert, dass dieser herausragende Altvordere den Jüngeren und Jüngsten und auch manch altgedientem Weggefährten ein Schnippchen schlägt zum Saisonbeginn.
«Zentralgestirn im Tennis-Universum»
Tritt Federer im Halbfinal zu seinem Serienklassiker gegen Andy Murray in der Rod Laver Arena an, dann weist er gegen den Schotten zwar eine negative Bilanz von neun Siegen und zehn Niederlagen auf. Er tut er es aber immer noch als eine der vertrauten Leitfiguren der Branche. Als «ein Zentralgestirn im Tennis-Universums» (Sports Illustrated), als Mann, der allen Unkenrufen zum Trotz noch immer die Hauptpreise an seinem turbulenten Arbeitsplatz abräumen kann.
«Ich habe immer noch den Ehrgeiz wie in jungen Jahren. Ich will jedes Spiel mit heissem Herzen gewinnen», sagt Federer. Das nimmt man ihm allein schon deswegen leichthin ab, weil man sieht, wie er sich auch jenseits der Dreissig hart auf seine Herausforderungen vorbereitet. «Hinter seiner Leichtigkeit auf dem Platz steckt eine Menge Plackerei», sagt der Schweizer TV-Experte Heinz Günthardt.
Nach elf Turniertagen in Melbourne stehen sie im Wanderzirkus mal wieder in Habacht-Stellung vor dem Künstler, dem es ein diebisches Vergnügen zu sein scheint, die notorischen Pessimisten zu widerlegen. Den mal offenen, mal klammheimlichen Abgesängen vor Turnierbeginn hat Federer eine Kampagne voller Kreativität und Kampfkraft, voller Leidenschaft und Entschlossenheit entgegengehalten. Mit dem vorläufigen Höhepunkt seines Fünf-Satz-Erfolgskrimis im Viertelfinal gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga.
Für ungeübte Ohren klang es wie leichte Arroganz
Das Schwerste hat der Familienvater zwar immer noch vor sich, den Zweikampf gegen Murray und ein mögliches Endspiel gegen Titelverteidiger Djokovic, doch Schweres hatte er auch schon früh hinter sich gelassen. Er besiegte den genialisch-kauzigen Franzosen Benoit Paire zum Auftakt, meisterte die Zweitrunden-Hürde gegen den wiedererstarkten Marathonmann Nikolai Dawydenko, ehe er dann den aufmüpfigen Youngstern Bernard Tomic (Australien) und Milos Raonic (Kanada) das Abreiseticket in die Hand drückte.
Für ungeübte Federer-Deuter mochte es wie leichte Arroganz klingen, als er sagte, er habe «richtigen Spass» an diesen Aufgaben und Siegen gehabt. Aber es sind eben auch und gerade diese fiebrigen Generationenduelle, die ihn reizen und wach halten.
Dass er sich auch in diesem Karriere-Herbst noch als Rekordbrecher betätigen kann und soeben ja auch – wie im Vorbeigehen – den 39. Grand Slam-Viertelfinal in Serie erreicht hatte, ist umso bemerkenswerter in der heutigen Tennis-Welt. Die Gegnerschaft ist über die Jahre immer athletischer, durchtrainierter geworden. Viele Spieler reisen inzwischen mit einem Stab beflissener Dienstleister durch die Zeitzonen und Kontinente. Und doch hält Federer 98 bis 99 Prozent seiner vielen Hundert Kollegen immer noch vergleichsweise souverän in Schach.
Eine schon fast irritierende Fitness
Und während sein einst kongenialer Duellant Nadal immer mal wieder unter allerlei Verletzungen leidet und derzeit die letzten Tage einer rund siebenmonatigen Zwangspause absitzt, erfreut sich Federer robuster Gesundheit und fast schon irritierender Fitness.
Kein anderer auf der Tour verfügt über mehr strategisches Geschick und Gefühl als dieser Federer, der übers Tennisjahr stets zu den Höhepunkten seine erstklassige Form findet. Wohl auch deswegen, weil er sich, im Alter umso mehr, auch seine Regenerations-Auszeiten nimmt.
Jenseits der Dreissig trainiere er so «klug und ausgefeilt wie nie zuvor», erzählt Federer. So konnte er sich nach seinem 200-Minuten-Sieg gegen Tsonga die Koketterie leisten zu sagen: «Ich bin ja jung. Ich werde keine Probleme mit der Regeneration haben.»
Ein prägender Zweikampf
Federer gegen Murray – das war vor allem im letzten Sommer der prägende Zweikampf im Tennis. Federer siegte, Krönung einer Comebackjagd auf den Tennisthron, im Wimbledon-Final, dann holte Murray sich die Goldmedaille im etwas anderen Wimbledon der Olympischen Spiele.
Das letzte Wort freilich hatte Federer etwas später, als er den inzwischen zum Grand-Slam-Sieger (US Open) aufgerückten Schotten kühl im Halbfinal der WM in London abservierte. Und das ist eben auch seine Magie der späten Jahre: Federer kann noch immer und überall und gegen jeden zum ganz grossen Schlag ausholen.