Weil er zu fehlerhaft agierte, kam der FC Basel nicht einmal in die Nähe der gefährlichen Zone – und das gegen einen FC Porto, der in der Heimat keineswegs so hochgelobt wird wie in der Schweiz. Eine Analyse des Spiels und der Werte, die für den FCB in der Champions League ermittelt werden.
Dass Paulo Sousa nach einem Spiel, zumal nach einem zu später (Champions-League-)Stunde, lange nicht in den Schlaf findet, ist nichts Ungewöhnliches in einem Trainerleben. Das Adrenalin pocht noch im Körper, das Erlebte wird noch einmal durchgespielt und per Aufzeichnung der Fernsehbilder analysiert, und so erging es ihm auch in der kurzen Nacht von Mittwoch auf Donnerstag nach dem Porto-Match.
Das Ergebnis: Ganz so schlimm, wie es der FCB-Trainer unmittelbar nach Spielschluss eingeordnet hatte, war es dann aus seiner Sicht doch nicht. Sprach er erst vom «schlechtesten Spiel» seiner Mannschaft, womit er wohl die internationale Kampagne gemeint hatte, korrigierte er seinen Eindruck mit etwas zeitlichem Abstand und vertiefter Betrachtung: «Wir waren länger stark, als ich gleich nach dem Spiel dachte.» Er geht nun sogar so weit zu sagen: «Ich bin überzeugt von der ersten Halbzeit.»
Der fehlende Zugriff auf den Gegner
Das deckt sich interessanterweise mit den Einschätzungen, die in Portugal vorgenommen wurden. Der in Sachen Fussball tonangebende Radiosender «Antena 1» etwa urteilte über den FC Porto: «Steigerung nach schwacher erster Halbzeit. Aber es gibt noch viel Spielraum nach oben.» Das wiederum will man sich in Basel, wo der Auftritt der Lusitanier einigen Eindruck hinterlassen hat, gar nicht vorstellen. Zu klar war das Übergewicht, war die Präsenz und die spielerische Potenz dieses Portos.
Zumindest für die erste Halbzeit also erteilt der FCB-Trainer seiner Mannschaft Absolution, vergisst aber nicht, dass nach der Auswechlsung (in der 25. Minute) des am Kopf (Blutung am Ohr, Schwindel) getroffenen Torschützen Derlis Gonzalez keine Wirkung mehr im offensiven Bereich erzielt werden konnte. Danach bekam der FCB eigentlich überhaupt keinen Zugriff mehr auf Spiel und Gegner. Phasenweise schien es ein Fiasko zu werden.
Die Passverteilung im Mittelfeld, von der Onlineplattform des englischen Fussballmagazins «Fourfourtwo» dargestellt, zeigt: Porto spielte sehr viel mehr Pässe und diese genauer. Beim FCB signalisiert die Häufigkeit der Farbe Rot die Fehlerhaftigkeit anschaulich:
Passverteilung im Mittelfeld, links der FC Basel, rechts der FC Porto (Spielrichtung jeweils von links nach rechts). (Bild: Screenshot fourfourtwo.com)
Zu fehlerhaft war der FCB im Moment des Ballgewinns. Wenn er denn mal den Ball zurückeroberte. Hatte er den Ball, machte er wenig daraus. Ballstafetten, mit denen er das Spiel hätte beruhigen können, gelangen ihm gegen das aufsässige, wuchtige Pressing Portos nicht. Weit zurückgezogen – oder gedrängt, je nach Sichtweise – konnte er im Mittelfeld keine Überzahlsituationen schaffen.
Ausdruck der portugiesischen Dominanz zeigt auch die Passverteilung im Angriffsdrittel. Die hellblauen Pfeile zeigen Spielzüge, die zu Chancen (oder zumindest Halbchancen) führten. Diese Farbe fehlt beim FCB (links) gänzlich; einzig der gelbe Pfeil markiert Fabian Freis Zuckerpass in die Schnittstelle und in den Lauf von Derlis Gonzalez, der in der 11. Minute das Führungstor erzielte. Weiter fällt auf, das lediglich ein einziger Pass in den Strafraum erfolgreich war und keine einzige Flanke vor dem Tor den eigenen Mittspieler erreichte. Ansonsten sieht es im Basler Angriffsdrittel eher wie in einer Wüste aus – kahl:
Portos Risko, die Klarheit zu verlieren
«A Bola», die grösste Sportzeitung Portugals, schreibt unter dem Titel «Drachen mit spanischer Seele und europäischer Dimension» über das taktische Gesicht des FC Porto: «Speziell in der Champions League spielt Porto auf spanische Art, mit hoher Intensität und dem Risiko, Klarheit zu verlieren. Wegen dieser Ausrichtung begann Quaresma auf der Ersatzbank. Tello und Brahimi sind auf den Flanken dynamischer, explosiver. Sie machen das Offensivspiel flüssiger. Die portugiesische Art wäre ein Wechsel zwischen schnellem und langsamem Rhythmus, gemäss den Umständen der Partie und den Eigenschaften des Gegners.» Und: «Die Einwechslung von Quaresma war wichtig und führte zu einer intelligenteren Spielweise.»
Ins gleiche Horn stösst «O Jogo»: «Nach der Pause zog Sousa die Linien zurück, das Pressing begann später. Porto musste den Ballbesitz neu interpretieren und die erste Aufbauphase betonen. Der Eintritt von Ruben Neves war insofern sinnvoll. Doch den Unterschied machte Quaresma aus. Seine Unberechenbarkeit brachte den Basler Block durcheinander. Und sein Pass auf Danilo ebnete den Weg, der zum Penalty führte.»
Weil der FC Basel in der Hälfte Portos quasi nicht stattfand, überrascht auch die Verteilung der Ball-Rückeroberungen nicht. Dort, wo es sofort gefährlich werden könnte (gelb schraffiert), kam der FCB überhaupt nicht zum Zug:
Die Ball-Rückeroberungen, links der FC Basel, rechts der FC Porto (Spielrichtung jeweils von links nach rechts). (Bild: Screenshot fourfourtwo.com)
Fabian Frei kommt neben Xhaka am besten weg
Durchaus bemerkenswert ist die Beurteilung der Basler Spieler, die «O Jogo» vornimmt. Für das Fachblatt war Fabian Frei einer der besten Basler, was sogar Frei selbst und trotz seiner brillanten Vorlage zum Tor in Abrede stellt. «Ich habe viel zu viele Fehler gemacht, das wurmt mich schon sehr», sagte der Mittelfeldspieler nach dem Spiel. Aber vielleicht haben die portugiesischen Kollegen dem fehlenden Einfluss Freis zum Trotz erkannt, welches Potenzial da schlummert: «A Bola» verteilte sieben von zehn möglichen Punkten an Taulant Xhaka (dafür, dass er Yacine Brahimi kontrollierte) und Frei («Ein Mann von Klasse»). Auf der anderen Seite verdienten sich Danilo und Casemiro sieben Punkte.
Die Einzelkritik, die «O Jogo» vorgenommen hat, sei hier nicht vorenthalten:
Die Basler Defensive
«Safari liess Tello viel Raum und wurde überlaufen, Xhaka störte Brahimi früher. Suchy im Zentrum spielte korrekt, während Samuel viele Fehler beging und nur bis zum Ende auf dem Platz blieb, weil der Schiedsrichter es so wollte. Vaclik wirkte stets sicher im Tor.»
Das Basler Mittelfeld
«Der beste Sektor mit Frei, ein Spieler, für den es auch in europäischen Topteams Platz hätte. Das Problem war, dass seine Kollegen abfielen. Elneny hatte erst nach dem Ausscheiden Oliver Torres’ etwas Ruhe. Zuffi war nie in der Lage, das Spiel aufzubauen.»
Die Basler Offensive
«Bei allem Pech hatte Porto Glück, dass Derlis Gonzalez sich beim Treffer verletzte und ausschied. Seine Schnelligkeit hätte noch mehr Schaden anrichten können. Ohne den Aussenstürmer verschwand Basel komplett im letzten Drittel des Feldes. Der Torjäger Gashi wurde von Danilo neutralisiert. Die Referenz im Angriff war Streller. Solange die Kräfte reichten, gewann er einige Zweikämpfe, aber immer weit vom Strafraum entfernt.»
Die Zeitung vergisst nicht, darauf hinzuweisen, wo Gonzalez herkommt: In Lissabon hatte er sich im zweiten Glied von Benfica versucht, und im vergangenen Sommer wechselte er für kolportierte drei Millionen Euro von Olimpia Asunción zum FCB.
Ballungsgebiet und Terra incognita
Wo das Spiel seine Ballungsgebiete hatte, welche Räume der FC Porto bewirtschaftete und welche für den FCB Terra incognita waren, zeigen diese Grafiken:
Die Heatmap, links der FC Basel, rechts der FC Porto (Spielrichtung jeweils von links nach rechts). (Bild: Screenshot sueddeutsche.de)
Festzuhalten bleibt: Der FC Porto war offenbar nicht so stark, wie er von einer Mehrheit im St.-Jakob-Park und vor den Fernsehschirmen empfunden wurde. In Portugal, wo in Bezug auf den FC Porto eine grosse Anspruchshaltung herrscht, wurde der Auftritt als schwächer apostrophiert denn hierzulande. Wie so oft stützt sich das portugiesische Urteil auf die mangelnde Stringenz. So macht- und eindrucksvoll sich der FC Porto in die gefährliche Zone kombinierte, so ineffektiv war er auf den letzten Metern.
Wie Zahlen trügen können
Dass der FC Basel kein gutes Spiel ablieferte, dass etliche Spieler nicht ihr mögliches Rendement erreichten, daran ändert auch eine schlaflose Nacht des Trainers nichts. Ein paar nackte Zahlen veranschaulichen: Am läuferischen Einsatz mangelte es nicht. Nur beim 1:1 in Liverpool waren die Basler mehr unterwegs. An der Anfield Road, wo die erste Halbzeit des FCB als extraordinär wahrgenommen wurde, spielte der FCB kaum mehr Pässe als gegen Porto und erzielte einen kaum höheren Ballbesitzanteil.
Was zeigt, dass man den Fussball statistisch in seine Einzelteile zerlegen kann und dennoch keine untrüglichen Rückschlüsse auf die Qualität des Spiels und die Austrahlung einer Mannschaft ziehen kann.
* Bei Ludogorets Razgrad spielte der FCB nach einem Platzverweis für Serey Die 66 Minuten in Unterzahl Quelle: uefa.com |
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Champions League 2014/15: Der FC Basel in Zahlen | |||||||
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Real (a) | Real (h) | Ludo (a)* | Ludo (h) | Liver (h) | Liver (a) | Porto (h) | |
Ballbesitz FCB | 48 % | 46 % | 38 % | 53 % | 55 % | 42 % | 39 % |
Passquote FCB | 84 % | 83 % | 92 % | 85 % | 86 % | 70 % | 77 % |
Passquote Gegner | 87 % | 86 % | 86 % | 84 % | 82 % | 80 % | 86 % |
Pässe FCB | 481 | 410 | 238 | 503 | 392 | 302 | 279 |
Pässe Gegner | 508 | 443 | 530 | 397 | 286 | 508 | 528 |
Gelaufene Meter FCB | 114,2 km | 113,6 km | 112,7 km | 121,1 km | 113,2 km | 125,1 km | 123,7 km |
Gelaufene Meter Gegner | 108,7 km | 107,7 km | 117,9 km | 116,5 km | 109,7 km | 118,8 km | 123,4 km |
Wie auch immer: Für das Rückspiel wird Sousa sich etwas einfallen lassen, schon, um seinen Ruf zu polieren, den er sich Mittwochnacht eingefangen hat. «Diário de Notícias» schrieb von einem «ultradefensiven» Fussball, den Basels portugiesischer Coach angerichtet habe. Das wird der nicht auf sich sitzen lassen wollen.
Sousa, die schlimme Winterpause und der Rhythmus
Was nicht von der Hand zu weisen ist: die Spielpraxis. Porto ging im Vorfeld des Abstechers nach Basel einen hohen Rhythmus, spielte mit dem in Gruppenform ausgetragenen Liga-Cup eine englische Woche nach der anderen, und das war dieser Mannschaft auch anzumerken. In dieser Zeit hat der FCB eine 61-tägige Wettbewerbspause gehabt und lediglich zwei Spiele (GC, Sion). «Die Winterpause», so Sousa, «ist diesbezüglich schlimmer als die Pause zwischen zwei Saisons im Sommer.»
Bis in drei Wochen wird der FCB vier Spiele mehr in den Beinen haben, dazu die englische Woche mit dem Cup-Match in Münsingen. Und schon am Sonntag, im Spitzenspiel bei den Young Boys, wird er von einem Tag mehr Regeneration profitieren, nachdem die Berner am Donnerstag gegen Everton ihren Europa-League-Match bestritten – und 1:4 untergingen.
Für das Rückspiel in Porto gibt es – bei aller fussballerischer Qualität des Gegners – keinen Grund, nicht an einen angemessenen Basler Widerstand im Dragao zu glauben. Oder, wie es Fabian Frei ausgedrückt hat: «Immer wenn wir uns am wenigsten zugetraut haben, waren wir am besten.»