Zu wenig Punkte, keine Fortune, letzter Platz – für Armin Veh (53) blieb da nur der frei gewählte Rückritt beim Bundesligisten VfB Stuttgart. Der Blick in eine entmutigte Trainerseele und in den Abgrund eines ambitionierten Fussballclubs.
Seine Abschiedsvorstellung war auch grosses Gefühlskino. Sie spiegelte die Glaubwürdigkeit der Behauptung, mit der Armin Veh an seinem letzten Arbeitstag für den VfB Stuttgart seinen sofortigen Rücktritt untermalte: «Ich bin ein Gefühlsmensch.» Das wissen alle, die diesen Augsburger Fussballtrainer seit längerem kennen und schätzen.
Schon am späten Sonntagabend, eigentlich schon mit der 0:1-Niederlage gegen seinen Heimatverein FC Augsburg, stand Vehs Entscheidung fest, die er zunächst den VfB-Präsidenten Bernd Wahler und Sportdirektor Jochen Schneider mitteilte und am Montagmorgen per Communiqué, danach in einer abschliessenden Pressekonferenz begründete: seine sofortige Kündigung.
«Dieser Schritt ist mir sehr schwer gefallen, weil mir der Verein und die Mannschaft am Herzen liegen. Letztlich aber muss ich so handeln, weil ich von der Richtigkeit dieses Schritts überzeugt bin. Die Mannschaft ist besser als der (letzte) Tabellenplatz. Neun Punkte aus zwölf Spielen sind einfach zu wenig. Dafür bin ich verantwortlich.»
Der einst Gefeierte besteht den Realitätstest nicht
Knall auf Fall ging damit zur Überraschung aller, die nicht zum engsten Kreis um Armin Veh zählen, eine Fortsetzungsgeschichte zu Ende, die zunächst wie ein Stück Bundesliga-Romantik anmutete. Sie bestand indes den Realitätstest nicht.
Veh hatte den VfB 2007 zur bisher letzten seiner fünf deutschen Meisterschaften geführt, war auf dem Cannstatter Wasen ein gefeierter Held und galt deshalb bis zu seinem frei gewählten Abschied noch immer als nahezu unantastbar. Obwohl die Stuttgarter mit gerade mal neun Punkten als Tabellenachtzehnter in höchster Gefahr schweben.
Mit seinem Wortwitz, seinem Charme, seiner Selbstironie überspielte der bayerische Schwabe bisher noch immer seine Zweifel an seiner Mission «VfB, die Zweite». Am Sonntag aber war der Mann, der drei glückliche Jahre bei Eintracht Frankfurt beendete, weil er «nicht immer dem gegnerischen Trainer die Hände zum Sieg schütteln wollte», mit seinem Latein am Ende.
Ein Abschied mit Stil und Tränen in den Augen
Die unglücklichen Umstände der 0:1-Niederlage gegen den Tabellensechsten, eine diskutable Gelb-Rote Karte gegen den Stuttgarter Schwaab und ein umstrittener Handselfmeter, der Augsburg den Sieg bescherte, lösten in Veh die Beschleunigung eines längst gärenden Prozesses aus. Er mochte nicht mehr weitermachen.
«Uns hat das notwendige Glück gefehlt, das im Leben wie im Sport dazugehört», begründete Veh seinen Rücktritt, «ich kannte so was schon, aber nicht in der Regelmässigkeit.» Bei diesen Sätzen, die seine verunsicherte Seelenlage offenbarten, schossen dem 53 Jahre alten Fussballlehrer die Tränen in die Augen.
Es war ein Ende mit Gefühl, das der Trainer bei seiner Abschlusspressekonferenz in VfB-Diensten durchlebte. Typisch Veh, der etwas anders ist als die meisten seiner Kollegen und seine Unabhängigkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorhebt.
Ein Altmeister auf dem Weg nach unten
Andererseits hinterlässt Armin Veh auch einen Club, der um Form und Fassung ringt in der vielleicht schwersten Zeit, die der Altmeister durchmacht. Jens Keller, Bruno Labbadia, Thomas Schneider, Huub Stevens und Veh: Vier Trainer versuchten in den vergangenen 17 Monaten einer rätselhaft labilen Mannschaft auf die Beine zu helfen. Davor war von Dezember 2009 bis Oktober 2010 Christian Gross in Stuttgart Trainer gewesen.
Unter Stevens kam man zumindest ans bescheidene Klassenziel: Klassenverbleib als Fünfzehnter. Danach ging das Elend mit Veh gerade so weiter. Wahler, seit 16 Monaten im Amt und seitdem noch kein Präsident mit Fortüne, beschrieb das, was der VfB jetzt sucht und benötigt: «Die Priorität ist, dass wir erstklassig bleiben. Wir brauchen einen Trainer mit Erfahrung, der die Klasse hält und unser Spiel voranbringt.»
Bis ein solcher Mann gefunden ist, haben Vehs Assistenten Armin Reutershahn und Reiner Geyer die Verantwortung. Vielleicht auch noch beim Auswärtsspiel in Freiburg am Freitag, auch wenn Sportdirektor Schneider nicht ausschliessen wollte, dass dann schon der neue Mann auf der Bank sitzen werde.
Der Rücktritt wirkt wie ein Fanal
Der Neue sollte – mal wieder – jemand sein, der diesen Club in die Zukunft führen kann. Viel Tafelsilber ist dem VfB in den vergangenen Jahren abhanden gekommen, zu viel Porzellan ist zerschlagen worden. Die Entlassung von Sportvorstand Fredi Bobic im September und die Kündigung Vehs am Sonntag muten wie ein Fanal an, und auch Wahler gibt zu, welchen Kraftakt es für ihn bedeute, «gleichzeitig Brände zu löschen und etwas aufzubauen».
Armin Veh hat den Preis für den eigenen Verschleiss selbst bezahlt, so wie er das auch 2003 mit seinem ersten Rücktritt, damals als Trainer von Hansa Rostock, tat. Er ging mit Stil und löste seinen Vertrag ohne Wenn und Aber auf. «Geld ist hier kein Faktor», hob Wahler am Montag hervor, «auch in dieser Hinsicht ist Armin ein Gentleman.»
Was der Herr Veh seinem Nachfolger wünscht? «Dass er mehr Punkte holt als ich und das Quäntchen Glück hat.»