Der erneute Griff nach der Weltnummer 1 ist für Roger Federer in weite Ferne gerückt. Der Baselbieter verliert in der dritten Runde des Australian Open gegen den Italiener Andreas Seppi, den er zuvor zehnmal geschlagen hatte. Federer wirkte müde – eine mögliche Folge einer zu kurzen Winterpause, nachdem er im Dezember noch an Schaukämpfen angetreten war.
Als es in die letzten Minuten des Centre-Court-Dramas ging, da lehnte sich Trainer Stefan Edberg in der Spielerbox gefährlich weit über das Geländer weg. Es sah so aus, als sei der alte Schwede auf dem Sprung hinunter in die Arena, um seinem Chef Roger Federer persönlich aus höchster Not und Bedrängnis zu helfen.
Doch das Unvermeidliche war nicht mehr zu verhindern an diesem windigen Australian-Open-Freitag, an dem Federer, der Rekordbrecher und Seriensieger, aus ziemlich unerfreulichen Gründen in die Schlagzeilen geriet: Um genau 17.54 Uhr Ortszeit blickte der 33-Jährige einem pfeilschnellen Passierball des Südtirolers Andreas Seppi machtlos hinterher, einem Traumschlag, der direkt vor der Grundlinie landete und Spiel, Satz und 6:4, 7:6, 4:6, 7:6-Sensationssieg für den zupackenden Aussenseiter bedeutete. «Es war einfach ein schlechter Tag», sagte Federer hinterher lakonisch, «ein Tag, an dem ich schon mit einer unguten Vorahnung auf den Platz gegangen bin.»
Die Weltnummer 1 entschwindet in weite Fernen
Vor knapp zwei Wochen war er noch als Mann der 1000 Siege gefeiert worden, als erst dritter Professional, der diese magische Erfolgsbarriere überwunden hatte. Doch nun dies: Ein krachender Absturz aus lichten Höhen, der allzu frühe Abschied aus Melbourne nach zuletzt elf Halbfinalteilnahmen hintereinander bei den Australian Open, der erste Fehlschlag gegen Seppi nach einer bisher makellosen 10:0-Bilanz.
Zwar hatte die versammelte Expertengilde Federer nach der Auslosungs-Lotterie einen schweren Gang zum möglichen fünften Melbourne-Titel prophezeit, doch dass sich ausgerechnet der unscheinbare Seppi als Stolperstein und Spielverderber für den 18-maligen Grand-Slam-Champion erweisen könnte, hatte niemand wirklich auf der Rechnung. «Ganz ehrlich: Das kommt aus heiterem Himmel, das ist irgendwie unglaublich», befand der siebenmalige Grand-Slam-Sieger Mats Wilander konsterniert.
Mit dem Knockout noch in der ersten Woche geriet auch Federers keineswegs klammheimliches Vorhaben, noch einmal auf Platz 1 der Weltrangliste aufzurücken, in weite Ferne. Die Niederlage gegen Seppi liess Federers Punktekonto im ATP-Ranking sogar zusammenschmelzen, immerhin war der Baselbieter 2014 erst im Halbfinal gescheitert.
Zu wenig ausgeruht
Doch damals war Federer gut ausgeruht und mit unbeschwertem Tatendrang nach Melbourne angekommen, ein drahtiger Fighter voller Elan und Energie. Vor dem laufenden Turnier aber hatte Federer über müde Knochen geklagt und erklärt, er habe nur acht Tage wirkliche Ruhezeit zwischen den beiden Spielzeiten 2014 und 2015 gehabt.
Auf der kleineren Bühne von Brisbane lief der 33-jährige Familienvater in einem Steigerungslauf zu starker Form auf, aber in Melbourne fehlten ihm dann sowohl die geistige wie körperliche Frische, um etwas Aussergewöhnliches auf die Courts zu zaubern.
Schon gegen Seppis Landsmann Bolelli hatte Federer in Runde zwei über vier Sätze gemusst. Federer hat, die spannungsgeladene Schlussphase der vergangenen Saison eingerechnet, derzeit einfach zu viel Tennis auf dem Buckel, das konnte auch sein Hinweis auf ein irgendwie schlechtes Karma an diesem 23. Januar nicht kaschieren.
Federer fehlte alles
Federer fehlte alles an diesem gruseligen Arbeitstag im kühlen Wind von Melbourne: Die Durchschlagskraft und Autorität, den bisherigen Lieblingsgegner Seppi zu dominieren. Und später auch die Power, ein auf die schiefe Bahn geratenes Match noch in einem Kraftakt herumzubiegen. «Ich kriegte einfach keinen Schwung in mein Spiel», sagte Federer später.
Neun Doppelfehler und 55 unerzwungene Fehlschläge waren wie ein Klotz am Bein für den Schweizer, der zudem fast alle wichtigen Ballwechsel verlor. Niemals war er der sonst so gerühmte Mann für die Big Points.
Es folgt eine Schaffenspause – wohl zu spät
Selbst die letzte Chance, dem Ganzen noch einen guten Dreh zu geben, liess er sträflich aus. Bei einer 5:4-Führung im Tiebreak von Satz vier hatte Federer zwei eigene Aufschläge zum 2:2-Gesamtausgleich, doch die nächsten drei Punkte gingen allesamt an Seppi, der sein Glück anschliessend kaum fassen konnte: «Es fühlt sich unwirklich an, gegen Roger gewonnen zu haben.»
Federer, der nach dem Sieg im Davis Cup Ende November auch noch bei den Schaukämpfen der sogenannten International Premier Tennis League in Asien und am Arabischen Golf unterwegs war, wird sich nun – zu spät wohl – eine längere Schaffenspause nehmen.
Erst für Ende Februar ist der nächste Arbeitseinsatz für den vierfachen Familienvater terminiert, in seinem Zweitdomizil Dubai. Danach dürften auf der Tour die Masters-Stationen in Indian Wells und Miami folgen. Ob er zwischendurch auch noch für die Schweiz im Davis Cup gegen Belgien (6.-8.März) an den Start gehen wird, bleibt zweifelhaft.