Am 21. Mai 2016 sass Raphael Wicky in der Fussballkulturbar «Didioffensiv» am Erasmusplatz. Für einmal lief dort nicht Fussball auf den Bildschirmen, sondern der Boxmatch zwischen dem Basler Schwergewichtler Arnold Gjergjaj und dem Engländer David Haye. Der Basler hielt sich in der Londoner O2-Arena keine zwei Runden auf den Beinen und verlor erstmals in seiner Profikarriere.
Wicky war damals Trainer der U18 beim FC Basel, übernahm wenige Tage später die U21 und ist inzwischen Übungsleiter der ersten Mannschaft. Für diese geht am Dienstag in Manchester die Champions League los. Anders als Gjergjaj nimmt der FC Basel aber bereits die Hinreise angeschlagen in Angriff. Denn in den letzten Spielen ist der Meister arg gebeutelt worden.
Zum letzten Mal gewonnen hat Wickys Team in der ersten Cuprunde gegen den FC Wettswil-Bonnstetten, in der Meisterschaft wartet Basel seit genau einem Monat auf einen Sieg. Zuletzt spielte der FCB unter Wicky zweimal 1:1, gegen den FC Lugano und den FC Sion, und verlor bei der Hauptprobe für den Champions-League-Auftakt gegen den FC Lausanne-Sport mit 1:2.
«Wenn du die Hausaufgaben nicht machst, ist irgendwann fertig» – Raphael Wicky
Sportchef Marco Streller sagt nach der Niederlage in ein Mikrofon des SRF: «Die Vorfreude auf Manchester ist gross, aber wir wären gerne mit mehr Selbstvertrauen dahin gefahren. Denn wenn wir so auftreten wie heute, haben wir in Manchester gar keine Chance.» Zum ersten Mal überhaupt benutzt die neue sportliche Leitung solch deutliche Worte, verflogen sind die Momente, in denen man beim FCB die Erfolge gegen englische Mannschaften aufzählt, allen voran der 2:1-Sieg gegen Manchester, um Hoffnungen für das Spiel am Dienstag zu wecken.
Aussenverteidiger Michael Lang sagte nach dem Spiel gegen Lausanne in der Interviewzone zwar, wie «sensationell» ein gutes Resultat gegen Manchester wäre, «aber die Chancen dafür sind nicht gross». Tiefstapelei beim FC Basel, das hatte man lange nicht gehört. Warum auch, dieser Verein war während fast einem Jahrzehnt national beinahe unantastbar, und international hat er beispielsweise mit einem Einzug in den Europa-League-Halbfinal ein bleibendes Ausrufezeichen gesetzt.
Aber diese Erfolge haben Patina angesetzt. Sie gehören einer Vergangenheit an, mit der die aktuelle Mannschaft nicht viel gemein hat: Das Team strahlt nicht die Dominanz der letzten Jahre aus, so wenig, dass auch ein Heimspiel gegen den kriselnden und bis dato sieglosen FC Lausanne-Sport zur ersten Niederlage nach 16 Jahren gegen die Waadtländer führt. «Aufgrund der letzten drei Resultate können die Gefühle nicht gut sein», sagt Lang. Und sein Teamkollege Marek Suchy fügte unmittelbar nach dem Spiel an: «Das ist eine sehr schlechte Situation für uns. Aber jetzt kommt das erste Spiel in der Champions League, und dafür haben wir alle gearbeitet.»
Die Schwäche gegen kleine Teams
Der FCB besiegte Manchester einst, weil er einen herausragenden Tag erwischte. Marco Streller, damals Spieler, sagt noch heute, dass er an diesem Abend eine seiner besten Leistungen gezeigt hatte. Der FC Basel selbst lässt inzwischen Punkte oder verliert gar gegen kleine Teams, die nicht einmal einen besonders guten Tag einziehen. Stellvertretend dafür die Aussage von Lausannes Trainer Fabio Celestini, der nach dem Sieg im St.-Jakob-Park sagte: «Bei den letzten zwei Spielen in Basel hätten wir den Sieg verdient, sind aber immer mit einer Niederlage abgereist. Und heute haben wir fussballerisch vielleicht den schwächsten Match gezeigt.»
Gegen diesen FCB reichten Lausanne 42 Prozent Ballbesitz und drei Schüsse auf das Tor, um zwei Treffer zu erzielen. Auf Seiten der Basler genügten rund 50 Prozent mehr Ballbesitz und total fast doppelt so viele Abschlüsse (13 gegenüber 7) nicht zum Sieg. Das einzige Tor erzielte der Meister vom Elfmeterpunkt, zwei der letzten drei FCB-Tore waren Penaltys.
«Es passiert momentan zu einfach, dass wir uns von einer negativen Aktion aus der Bahn werfen lassen» – Michael Lang
Eines der Hauptprobleme ist, dass nur einer trifft: Ricky van Wolfswinkel. Der eine von zwei Zugängen dieses Sommers hat in sieben Ligaspielen zwar sieben Mal getroffen. Nur hilft es dem FCB wenig, wenn der 28-Jährige der einzige Erfolgreiche ist. Der Holländer ist ein Klumpenrisiko in Wickys Mannschaft, fällt er aus oder trifft er mal nicht, fehlt es dem FCB an offensiver Durchschlagskraft. In der kurzen Historie dieser Saison muss man bereits vier Spiele zurückblättern, bis man einen anderen Basler Torschützen als van Wolfswinkel findet: Beim 3:0-Auswärtssieg in der dritten Runde gegen den FC Thun waren Dimitri Oberlin und Kevin Bua erfolgreich.
Verschwunden sind die Abschlussqualitäten eines Michael Lang, der letzte Saison neun Tore erzielt hatte. Renato Steffen, letztes Jahr siebenfacher Torschütze, wartet auf seinen ersten Treffer. Und Mohamed Elyounoussi hat zwar einmal getroffen, liegt aber unter seiner Erfolgsquote der abgelaufenen Spielzeit, als er in jedem dritten Spiel erfolgreich war.
Es fehlen die erfahrenen Stürmer
Hinter van Wolfswinkel ist der 20-jährige Neftali Manzambi der älteste Stürmer. Noch fehlt dem Mann aus der eigenen Jugend aber die Durchschlagskraft für die Super League, das war nach seiner Einwechslung im Spiel gegen Lausanne augenscheinlich. Oberlin, auch er erst 19 Jahre alt, fehlte verletzt, deswegen hatte Wicky nur Manzambi auf der Bank. Die Offensive steckt momentan also nicht nur in einer Schaffenskrise, es fehlt dem Trainer zudem die Möglichkeit, in schwierigen Momenten Spieler mit Erfahrung auf den Platz zu schicken: Spieler wie Marc Janko oder Seydou Doumbia, die in der Super League 2016/17 zusammen 33 Tore erzielt hatten.
Zudem klebt den Baslern das Pech der Erfolglosen an den Füssen. Marek Suchy wurde mit einer hart gepfiffenen zweiten gelben Karte vom Platz gestellt, den anschliessenden Freistoss verwandelte Benjamin Kololli gegen Tomas Vaclik, der im Basler Tor seit Wochen keinen unüberwindbaren Eindruck hinterlässt. Die numerische Unterzahl und der Ausgleich brachten den Meister aus dem Gleichgewicht, oder wie es Michael Lang sagte: «Es passiert momentan zu einfach, dass wir uns von einer negativen Aktion aus der Bahn werfen lassen.»
Lang ist Teil einer Abwehr, die im Vergleich zur letzten Saison aktuell höchstens noch Durchschnitt ist. Wie er und Manuel Akanji sich vor dem 1:2 verhielten, muss als Warnzeichen dafür gelten, dass bei den Absprachen viel Arbeitsbedarf besteht. Die Szene nach drei Minuten, als sich Lang und Marek Suchy gegenseitig auf den Füssen standen und Lausannes Stürmer Francesco Margiotta ziehen liessen, sagt das Gleiche. Neun Gegentore in sieben Spielen liess diese Abwehr zu – fünf Teams weisen bessere Zahlen auf als die Basler.
Eine Menge Zweifel liegt in der Luft
Der FCB steht nach sieben Spielen mit zwei Niederlagen da und liegt auf Platz drei. «Zürich ist vor uns, YB ist vor uns, das merken wir. Es ist eine ungewohnte Situation für uns», sagte Michael Lang und fügte an: «Ich hoffe, dass es uns gut tun wird, wenn wir in Manchester für einmal nichts zu verlieren haben.»
In der aktuellen Verfassung erwarten wenige ein gutes Resultat des FCB in Manchester. Aber in der Liga muss Besserung her, denn schliesslich will der Basler Fan auch in den kommenden Jahren europäischen Fussball erleben. Dafür braucht es entsprechende Resultate in der heimischen Liga und beim «Teleclub» sagte Trainer Raphael Wicky: «Wenn du die Hausaufgaben nicht machst, ist irgendwann fertig.» Zuversicht klingt anders. Und Wickys Körpersprache nach der Niederlage gegen Lausanne interpretierten einige so, als läge eine ganze Menge Zweifel in der Luft.
Zweifel hatte wohl auch der Boxer Arnold Gjergjaj, als er die Reise zum Kampf gegen den übermächtigen David Haye antrat. Aber seine Hoffnung war darin begründet, dass im Schwergewichstboxen ein einziger Schlag einen Kampf beenden kann. Im Fussball braucht es andere Qualitäten: vor allem Konstanz über 90 Minuten. Und die hat der FCB momentan nicht.