Als Fussballgroteske entpuppt sich bei genauerem Hinsehen der 1:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft im Testspiel gegen Chile. Die Südamerikaner – ohne den Basler Marcelo Diaz – spielten jenen modernen Powerfussball, den ein an der Seitenlinie wie Rumpelstilzchen tobender Joachim Löw eigentlich von seiner Elf sehen will.
Das deutsche Actionprogramm an einem chilenischen Abend in Stuttgart lieferte nur einer: Joachim Löw. Die One-Man-Show des Bundestrainers bot alles, was fuchsteufelswilde Fussballlehrer in den Augenblicken, da sie sich vollkommen unverstanden fühlen, in ihrem Repertoire haben. Rumpelstilzchenhafte Wutausbrüche, Auf-und-Davonläufe heraus aus der eng begrenzten Coaching-Zone, still verzweifelte Glaub-ich-nicht-Gesten auf der Trainerbank und das finstere Mienenspiel eines Fachmanns, der die Betriebsanleitung für das Spiel, dem er die Richtung vorgab, verloren hat.
Am Mittwochabend war eine deutsche Fussballgroteske zu sehen, hatte doch Löws Nationalmannschaft ihr erstes Länderspiel im Weltmeisterschaftsjahr 2014 mit 1:0 gegen Chile durch Mario Götzes Linksschuss (16. Minute) gewonnen und verloren zugleich. Beim Schlusspfiff pfiff ein Grossteil der 54’449 Zuschauer das Team aus, das sich seinen Auftritt als vertrauensbildende Massnahme auf dem Weg zur Mission Titelgewinn vorgestellt hatte.
Chiles ultramodernes 3-5-2-System
Und dann das: ein Erfolg, der ein einziger Glücksfall war; ein Gegner, der die Deutschen mit seinem rasanten Umschaltspiel in der ultramodernen Variante des hierzulande seit Jahren eingemotteten 3-5-2-Systems vor unlösbare Probleme stellte; ein Ensemble des Deutschen Fussball-Bundes (DFB), das mit sechs Stars des Bundesliga- und Champions-League-Überfliegers Bayern München eine Achsenmacht darzustellen schien und dennoch nie auf Betriebstemperatur kam; und ein Bundestrainer, der zuvor zwar mit einem Weckruf an seine Spieler von sich reden gemacht hatte, als es jedoch galt, nicht in der Lage war, auf die chilenischen Alarmsignale richtig zu reagieren.
Wie Rumpelstilzchen: Joachim Löw hebt in seiner Coachingzone ab. (Bild: Reuters) (Bild: Reuters/MICHAEL DALDER)
103 Tage vor dem deutschen WM-Auftaktspiel gegen Portugal wirkten Löws Mannschaft und ihr Chef ratlos ob eines Gegners, der zu den zehn, fünfzehn besten Teams der Welt gehört, und in Südamerika die Nummer vier hinter Brasilien, Argentinien und Kolumbien ist.
«Es gibt nicht nur in Deutschland hervorragende Fussballer»
«Es ist mal ganz gut», lautete eine von Löws übergreifenden Erkenntnissen, «dass man gesehen hat, dass es nicht nur in Deutschland hervorragende Spieler gibt. Andere Nationen schlafen auch nicht.» Richtige Worte, die aber nicht von den vielen Fragen ablenken konnten, die sich Löw und seine Spieler nach diesem wertvollen Test stellen mussten.
Das fing schon bei der Aufstellung an, die älteste deutsche Startelf seit dem WM-Final 2008 mit einen Durchschnittsalter von 27,8 Jahren. Der Trainer hatte anfangs eine Formation gewählt, als müsste er in Stuttgart eine grosse Koalition unter Berücksichtigung möglichst aller zur Verfügung stehender Platzhirsche bilden. Die Statik des Spiels litt darunter, dass am Mittwoch nie so richtig zu erkennen war, wie die Ordnung im Mittelfeld eigentlich zwischen den Bayern-Regenten Lahm (war wohl als «Sechser» vorgesehen), Schweinsteiger (sollte wohl ein «Achter» sein) und Kroos (war anscheinend als «Zehner» eingeplant) aufgeteilt sein sollte.
Dass daneben auch der zurzeit formschwache Özil vor der Pause auf der rechten Seite, danach als Sturmspitze in das Offensivspiel eingebunden bleiben sollte, war ein weiterer Konstruktionsfehler der Löwschen Aufstellung, da Özil seine Stärken nur aus der Spielzentrale heraus entfalten kann, in der Kroos anders als beim FC Bayern aus seiner Regelungskompetenz zu wenig machte. Dazu durfte Klose zunächst als einzige Spitze anfangen, wirkte aber nach längerer Verletzung noch wie abwesend und wurde zur Pause gegen den genauso wirkungslosen Schürrle ausgewechselt.
Chile gehört das Spiel, den Deutschen der Sieg
Nur weil die Chilenen – bei ihnen sass der zuletzt angeschlagenen FCB-Spieler Marcelo Diaz auf der Bank – mit ihrem Dutzend an guten bis sehr guten Tormöglichkeiten unglaublich leichtsinnig umgingen, reichte den Deutschen der einzig spektakuläre Angriffszug zum 1:0. Özil demonstrierte einmal seine Klasse als Vorbereiter, und der sonst oft unkonzentrierte Götze liess einmal seine Abschlussqualität aufblitzen. Sonst aber mussten sich die deutschen WM-Mitfavoriten, die auf eine Reihe verletzter oder nicht fitter Stammkräfte verzichten mussten, abstrampeln, ihren Vorsprung irgendwie über die Zeit zu retten.
Löw, kein Meister des Coachings, konnte seinen Spielern am Mittwoch während des Spiels auch nicht helfen, die von Beginn an gegen die enorm schnellen und technisch ausgereiften chilenischen Balleroberer unter Druck gerieten und sich in ihren schwarz-rot gestreiften Auswärtstrikots oft sechs südamerikanischen Angreifern gegenübersahen.
Auch Löw selbst sucht noch nach seiner WM-Form
Im Nachhinein waren die Klagen des Bundestrainers nur allzu verständlich: «Wir hatten viele Ballverluste in der Vorwärtsbewegung, dadurch waren die Räume immens gross.» Oder: «Was uns zuletzt gegen Italien und England ausgezeichnet hatte, hat dieses Mal gefehlt: die Sicherheit im Passspiel.» Oder: «So einen Gegner muss man versuchen, laufen zu lassen, wir aber mussten unheimlich viel laufen.»
Chile gehörte das Spiel, Deutschland der Sieg: Darauf lässt sich nur dann aufbauen, wenn Löw und seine Mannschaft aus der von Innenverteidiger Per Mertesacker richtigerweise erkannten «Lehrstunde» die richtigen Schlüsse ziehen.
Das Spiel am Mittwoch hatte mit der von Löw beklagten fehlenden Fitness eines Teils seiner Profis, die in der Bundesliga Woche für Woche ihre Leistungsfähigkeit nachweisen, wenig bis nichts zu tun; eher bedarf es einer strategischen Neuorientierung angesichts der global erstarkten Konkurrenz – und dafür ist am Ende der Bundestrainer verantwortlich, der ebenfalls noch auf der Suche nach der optimalen WM-Form scheint.